Das ICARUS-System wurde seit 2018 zunächst auf der Internationalen Raumstation (ISS) installiert. Nach einer Aufbau- und Testphase startete 2020 der wissenschaftliche Betrieb. Seitdem greifen weltweit Forschungsgruppen für ihre Projekte auf ICARUS zurück.
In Folge des Kriegs in der Ukraine wurde im März 2022 die bilaterale Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Luft- und Raumfahrtbehörde DLR mit der bis dahin beteiligten russischen Raumfahrbehörde Roskosmos eingestellt. Die weitere Nutzung der Antenne auf der Internationalen Raumstation (ISS) ist seitdem nicht mehr möglich.
„Wir haben innerhalb der vergangenen 20 Jahre in Europa rund 500 Millionen Singvögel verloren, und es weiß niemand genau, wo sie geblieben sind“
Elektronische Post aus Angola. Der Absender: Ein Kuckuck. Inhalt der Nachricht sind Wetter-, Bewegungs- und Lokalisationsdaten, die der Vogel während seines Flugs mit Sensoren, die an seinem Körper angebracht worden sind, erhoben hat. Zwei- bis dreimal am Tag schicken er und seine Artgenossen die Daten nach Konstanz. Besendert wurde er von einem internationalen Forschungskonsortium, das Tiere mit Sendern bestückt und die Daten auswertet.
Tierschwärme überall auf der Welt schicken bald Sensordaten zum Salzgehalt in der Karibik oder der Luftgeschwindigkeit über dem Atlantik, oder über Regionen, die sie fluchtartig verlassen, weil sich eine Naturkatastrophe anbahnt. Erstmals in der Geschichte kann dadurch ein ökologisches Gesamtbild des Planeten Erde gezeichnet werden.
Zusammengetragen werden die Daten in der internationalen Datenbank Movebank, die der Biologe Martin Wikelski zusammen mit seinem Team aufgebaut hat: Movebank sammelt Senderdaten von Tieren überall auf der Welt und bildet sie in nahezu Echtzeit ab. So entsteht nach und nach eine Karte verschiedenster Tierbewegungen. Unterstützt wird das Team um Martin Wikelski an der Universität Konstanz vom Kommunikations-, Informations- Medienzentrum (KIM), das die Forschungsdaten verwaltet, sowie durch die Arbeitsgruppe der Informatiker Daniel Keim und Falk Schreiber. Für die globale Interpretation der Daten ist das gerade genehmigte Exzellenz-„Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour´ unter der Leitung von Schwarmforscher Iain Couzin essentiell.
Anders als bei der traditionellen Beringung, beispielsweise von Vögeln, ist es mithilfe des von Martin Wikelski initiierten Satellitensystems ICARUS möglich, das Verhalten auch kleiner Tiere weltweit durchgehend zu beobachten. ICARUS – kurz für International Cooperation for Animal Research Using Space – besteht aus einem Onboard Computer und einer großen Antenne, die auf der internationalen Raumstation ISS angebracht ist und die Daten der an den Tieren befestigten Sender empfängt und sie auf die Erde zurücksendet, wo sie ausgewertet werden. Die Daten stehen nicht allein den Konstanzer WissenschaftlerInnen, sondern der gesamten Wissenschaftswelt zur Verfügung. Sie eröffnet eine neue Ära in der Tierforschung – und im Tierschutz.
Mit ICARUS wird es möglich, die Wanderbewegungen der Tiere über alle Kontinente hinweg zu verfolgen – in Echtzeit und in 3D. Darüber hinaus wird ICARUS es möglich machen, Umweltdaten wie Windstärke und -richtung, aber auch die Ausbreitung von Virenstämmen aus der Umgebung der besenderten Tiere zu erheben. Auf diese Weise macht ICARUS nicht nur das Zusammenspiel zwischen Tierwanderungen und dem globalen Ökosystem besser verständlich, sondern unterstützt auch Vorhersagen von Naturkatastrophen.
Die Tiere auf unserer Erde sind ständig in Bewegung — die einen fliegen, schwimmen oder wandern tausende Kilometer, andere bewegen sich nur wenige hundert Meter. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Über ihre Reisen ist kaum etwas bekannt. Die Icarus-Initiative soll das in den nächsten Jahren ändern. Mit dem Wissen über die Tiere können wir auch viel über den Zustand unseres Planeten lernen.
Das Forschungsmodul ICARUS befindet sich am russischen Modul der Internationalen Raumstation ISS zur weltraumgestützten Beobachtung von Tierbewegungen. Die russische Soyuz-Trägerrakete ist im Februar 2018 im Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan gestartet. Im Gepäck war die zusammengefaltete, drei Meter lange ICARUS-Antenne. Der Onboard Computer wurde bereits im Oktober 2017 auf die ISS geflogen. Nach 17 Jahren der Vorbereitung wurde die ICARUS-Antenne am 15. August 2018 erfolgreich an der Außenseite der ISS angebracht.
Damit jeder Handgriff sitzt und keine Schraube davonschwebt, trainierten die beiden russischen Kosmonauten die Anbringung der Antenne bereits auf der Erde in Wassertanks, um Schwerelosigkeit zu simulieren. Die über sechsstündige Montage der Antenne in einem „Spacewalk“ außerhalb der Raumstation wurde live übertragen. An Bord ist der deutsche Astronaut Alexander Gerst, inzwischen Kommandant der ISS, der für das ICARUS-Projekt Experimente durchführt.
Im Frühjahr 2019 soll der reguläre wissenschaftliche Betrieb beginnen. Die Antenne wird es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erlauben, weltweit die Wanderbewegungen und Umweltdaten von mit Sendern ausgestatteten Tieren zu beobachten – ob Zugvögel, Fledermäuse oder Meeresschildkröten.
Mit der bisherigen Technik wurden bisher jährlich rund 25.000 Tiere zu Lande, zu Wasser und in der Luft beobachtet. Mit der ICARUS-Antennenanlage sollen es zukünftig bis zu 200.000 Individuen sein.
ICARUS Computer
Die Positionsdaten der besenderten Tiere stehen nicht allein der Wissenschaft zur Verfügung, sondern buchstäblich allen. Mit dem Animal Tracker lassen sich die Routen von Wildtieren sogar mit dem Handy abrufen – in Echtzeit und weltweit. Der Animal Tracker ist eine App, die von Martin Wikelskis Team entwickelt wurde und unter „Citizen Science“ verbucht wird. Wissenschaft, die die aktive Unterstützung der interessierten Bürgerschaft in Anspruch nimmt.
Sie ruft die GPS-Positionsdaten, die an Wildtieren angebracht worden sind, ab und zeigt sie auf einer Karte auf dem Handy an. Dadurch können sie alle besenderten Wildtiere in ihrer Umgebung ausfindig machen und ihre Beobachtungen rückmelden. Martin Wikelski: „Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger als Wissenschaftler einbinden. Wenn zum Beispiel ein besenderter Storch gesichtet wird, helfen uns Beobachtungen wie diese: Wie viele andere Störche ohne Sender sitzen mit ihm auf der Wiese?“
Werden Sie Forscher, werden Sie ein Animal Tracker!