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Stress im Weltall

© Bild: privat

Die Konstanzer Biologin Dr. María Moreno bringt an der Universität Konstanz Sportstudierenden Taekwondo bei und forscht bei der NASA dazu, wie die Raumschiffbesatzung auf einer künftigen Marsmission bei Gesundheit gehalten werden kann.

María Moreno ist 2001 als Biologie-Studentin an die Universität Konstanz gekommen. Da lagen bereits zehn Jahre in Deutschland hinter ihr, in denen sie unter anderem eine Ausbildung als Zytologie-Assistentin gemacht hatte. In uni’kon, Ausgabe 57, ist mehr über María Moreno zu lesen.

© Image taken at NASA JSC

Als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe des Sportwissenschaftlers Prof. Dr. Markus Gruber an der Universität Konstanz kann sie all das zusammenbringen, was ihr in ihrem professionellen Leben wichtig ist. Was ihre Stelle jedoch zu einem geradezu perfekten Job macht, ist die Möglichkeit, ihre Forschung bei der NASA fortsetzen zu können. Mitte Februar 2020 ist sie zu ihrem (vorerst) letzten Forschungsaufenthalt zu der amerikanischen Weltraumbehörde in dem Johnson Space Center aufgebrochen.
 

© Bild: NASA

Im Johnson Space Center gehört sie seit 2015 zu den Frauen und Männern, die die Marsmission der NASA wissenschaftlich vorbereiten. Sie erforscht dort, wie sich die langwierige Stresssituation der Astronautinnen und Astronauten auf die Gesundheit auswirkt. Angesichts der mindestens 21 Monate, die alles in allem für eine Marsmission hin und zurück veranschlagt werden, ist das ein Forschungsfeld, das es in sich hat. Neben den Faktoren Schwerelosigkeit und kosmische Strahlung, die dem menschlichen Körper zusetzen, sind es insbesondere die psychischen Stresssituationen, die in den Fokus der Forschung von María Moreno gerückt sind. Zur Wirkung von psychischem Stress auf die DNA-Schädigung und entsprechenden Reparaturmechanismen hat sie bereits in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Alexander Bürkle gearbeitet.

Dort hat María Moreno auch das automatisierte Diagnosegerät zur Blutmessung von DNA-Schädigungen entwickelt. Für ihre Idee, wie das Gerät an die Schwerelosigkeit angepasst werden kann, erhielt sie vom Johnson Space Center 10.000 Dollar, die sie direkt vor Ort dazu nutzte, ihre Erfindung gemeinsam mit ihrer amerikanischen Kollegin Stephanie Krieger für den Weltraum fit zu machen. „In Houston waren sie begeistert von der Methode“, erinnert sich die Biologin. In den zweieinhalb Jahren, in denen sie von 2015 bis 2018 am Stück und später immer wieder zeitweise in Houston war, hat sie vor allem bei Experimenten mitgewirkt, die die Bedingungen einer Raumfahrtmission simulieren. Weitere Informationen zum Projekt „Human Exploration Research Analog“ (HERA)

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Viermal im Jahr probt jeweils eine Crew von vier Personen für sechs Wochen den Ernstfall. Die Männer und Frauen, die sich zuvor nicht kannten, leben wie eine richtige Besatzung: Sie haben ein sehr ähnliches Arbeitspensum und einen sehr ähnlichen Schlafrhythmus und sind außer dem Kontakt mit den Leuten von der Mission Control und einem wöchentlich Kontakt mit der Familie völlig isoliert – das alles auf engstem Raum. „Sie schlafen im Viereck, Nase an Füße“, beschreibt es die Wissenschaftlerin. Die in Konstanz im Übrigen in der Arbeitsgruppe Trainings- und Bewegungswissenschaft von Markus Gruber an der Entwicklung von Maßnahmen gegen die Auswirkungen von Inaktivität im Weltraum arbeitet.

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Zu wissen, wie diese Vier-Personen-Konstellation aussehen muss, damit es menschlich passt, wäre auch für eine Mission überlebenswichtig, die weniger als knapp zwei Jahre dauert. María Morenos Forschungspart besteht darin herauszufinden, was Stress unter diesen konkreten Bedingungen mit dem Immunsystem der Besatzung macht – um letztlich Gegenmaßnahmen zu entwickeln. „Im ersten Projekt ging es um die Empfindlichkeit des Immunsystems nach Schlafentzug“, berichtet die Biologin, die im Rahmen eines wissenschaftlichen Austauschs der Universität Konstanz mit der NASA zwischen Houston und Konstanz pendelt.
 

Die gesamte Raumschiff-Crew darf in der Simulation eine Nacht lang nicht schlafen und wird am Morgen zusätzlich unter Stress gesetzt. In der Realität des Orbits könnte das so aussehen: Eine schlaflose Nacht und am anderen Morgen schleudert ein Sonnenwind Partikel durch das All, die aufgrund ihres Strahlungspotenzials eine Gesundheitsgefahr für den Menschen darstellen. Die Frage ist, wie der Körper mit der Bestrahlung klarkommt, wenn er wegen der Übernächtigung ohnehin schon gestresst ist. Die Studie geht noch einen Schritt weiter: „Wir wollten auch rausfinden, ob es Menschen gibt, die in solch einem Fall resistenter sind als andere, und, wenn ja, warum.“
 

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Die Bestrahlung wird in vitro simuliert. Vom Blut, das den Versuchsteilnehmenden nach der schlaflosen Nacht entnommen wurde, werden die Immunzellen isoliert und bestrahlt. Anschließend untersucht María Moreno die DNA-Stränge auf Schäden. Das Ergebnis ist nicht ganz überraschend: Bei denjenigen Personen, die nach Schlafentzug im Stresstest kognitiv besser abgeschnitten haben, hatten sich die Immunzellen schon zuvor strahlenresistenter gezeigt. „Im Moment wissen wir nur, dass es – und auch nur bei den untersuchten Personen – so ist, wir wissen aber noch nicht, wie es funktioniert“, sagt sie. Ergebnisse der Untersuchungen

Nach einer schlaflosen Nacht sind alle Menschen gegenüber Bestrahlung empfindlicher, so die Hypothese. Doch dann kommt die Überraschung: Im Durchschnitt bekamen die Immunzellen nach dem Schlafentzug weniger Strahlenschäden ab als vor dem Schlafentzug.
 

© Rotierendes Gefäß für Visualisation von Zellen in der Schwerelosigkeit (Photo in NASA JSC)

„Wir wissen, dass der Körper nach Schlafentzug kompensiert und schützende antioxidative Reaktionen zeigt. Wir erklären unsere Ergebnisse entsprechend damit, dass die Antioxidantien die Antwort des Körpers auf den akuten Schlafentzug sind und sie der Strahlenschädigung entgegenwirken.“

María Moreno
© Bild: Universität Konstanz, Labor Prof. Dr. Bürkle

Auszeichnungen
Für die Entwicklung und Anwendung des automatisierten Messverfahrens wurde Maria Moreno bereits mehrfach ausgezeichnet: 2011 erhielt sie für die Methode, die ohne Tierversuche auskommt, den Ursula M. Händel-Tierschutzpreis (gemeinsam mit Alexander Bürkle) und 2014 den Umweltpreis der Stiftung „Umwelt und Wohnen an der Universität Konstanz“. Im selben Jahr 2014 wurde sie auch als „Frau des Jahres“ der Region Murcia in Spanien geehrt.

 

Beim Nachfolgeprojekt ist die Fragestellung etwas verlagert. Hier geht es nicht mehr um punktuellen Schlafentzug und Stress, sondern um chronischen Stress aufgrund von andauernd zu wenig Schlaf. Studien berichten, dass eine reale Besatzung durchschnittlich nicht mehr als fünf bis sechs Stunden Schlaf pro Nacht hat. „Die Leute sind richtig gestresst, das geht auf die Substanz“, so die Forscherin. „Wir glauben aber nicht, dass die Erklärung mit den Antioxidantien auch bei Dauerstress funktioniert.“

https://www.youtube.com/watch?v=OEGxW0UO4H4&feature=youtu.be

Video by Dr. María Moreno, biologist at the University of Konstanz | Images taken at NASA JSC HERA (https://www.nasa.gov/analogs/hera)

Music: https://www.bensound.com

Es gibt ein weiteres Projekt, bei dem DNA-Schäden gemessen werden. Hier wird das Blut der Besatzung der Raumstation ISS entnommen und mit einer Sojus-Kapsel oder einem Shuttle per Express auf die Erde befördert – via Russland nach Houston. Gerade mal 40 Stunden dauert es, bis das Blut von der über 400 Kilometer über der Erde und mit über 28.000 Kilometer im Orbit kreisenden ISS im NASA-Labor angekommen ist. „Weil das Blut auf diesem Weg zu uns gelangt, kostet es Tausende von Dollar. Wir zittern schon ein bisschen, wenn wir es untersuchen“, sagt María Moreno.

Die Datenerhebung des zweiten Testdurchlaufs ist abgeschlossen. Nun geht es für die zweite Publikation an die Datenanalyse, für die María Moreno im Februar nach Houston geflogen ist. Bei ihrem sechswöchigen Aufenthalt lautet die Aufgabe, die Ergebnisse der DNA-Schäden mit Daten anderer Projektbeteiligter – darunter aus der Psychologie, Physik, Medizin und Sportwissenschaft – zu koordinieren. Dieses Mal wird auch das Essverhalten ein Untersuchungsfaktor sein. Hat der Verzehr von Gemüse Einfluss auf Stressreaktionen?
 

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Ob es nach den sechs Wochen für María Moreno bei der NASA weitergeht, hängt von einigem ab. „In Konstanz lehren und in Houston forschen, das ist beides sehr intensiv“, so María Moreno.

Morgens Studierenden die Kunst des Taekwondo beibringen, nachmittags im Labor den Einfluss von Bewegung auf DNA-Schäden in Immunzellen untersuchen, so stellt sich die Biologin ihr ideales Arbeitsleben vor. Und vielleicht ab und an bei der NASA vorbeischauen.