Wenn Fliegenlarven Hunger haben

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Die Biologin Dr. Katrin Vogt untersucht an der Universität Konstanz, wie Hunger und andere innere Zustände das Verhalten steuern

Kommt Ihnen diese Situation bekannt vor? Sie gehen mit leerem Magen einkaufen und stellen an der Kasse fest, dass mehr und vor allem ungesündere Lebensmittel den Weg in Ihren Einkaufswagen gefunden haben als ursprünglich geplant. Unbewusst hat Ihnen Ihr Gehirn die Anweisung gegeben, dem Hunger durch den Kauf vieler und besonders kalorienhaltiger Lebensmittel, wie Schokolade und Tiefkühlpizza, entgegenzuwirken.
Wie das Gehirn in Abhängigkeit von Hunger und anderen inneren Zuständen unser Verhalten steuert, untersucht die Biologin Dr. Katrin Vogt in ihrer Nachwuchsarbeitsgruppe an der Universität Konstanz anhand von Taufliegenlarven. Sie findet dabei erstaunliche Parallelen zwischen Mensch und Fliege.

Die Taufliege als wissenschaftlicher Allrounder
Ihre Leidenschaft für Insekten und insbesondere die Schwarzbäuchige Taufliege (Drosophila melanogaster), die im Deutschen häufig auch gemeinhin als „Fruchtfliege“ bezeichnet wird, hat Katrin Vogt schon während ihres Studiums in Würzburg und München entwickelt. Im Rahmen ihrer Abschlussarbeiten untersuchte sie zum Beispiel das Erlernen von Düften und Farben bei den Tieren. Sie blieb der Taufliege als Modellorganismus an ihren weiteren beruflichen Stationen, wie der Tohoku Universität (Sendai, Japan), Harvard (Cambridge, USA) und nun der Universität Konstanz, stets treu. „Einmal Fliege, immer Fliege“, kommentiert sie lachend ihren bisherigen Werdegang. Sie betont aber auch, dass sie durch den in Konstanz breit aufgestellten Bereich der Verhaltensforschung in Zukunft die Möglichkeit hätte und in Betracht zieht, weitere Insektenarten in ihrer Forschung zu berücksichtigen.

Doch die Vorteile der Taufliege als Modellorganismus für die neurobiologische Verhaltensforschung, das Fachgebiet von Katrin Vogt, liegen klar auf der Hand: Die Schwarzbäuchige Taufliege ist eine der am gründlichsten erforschten Tierarten der Welt. Entsprechend sind aktuelle Methoden der biologischen Forschung für Taufliegen bereits etabliert und anwendungsbereit. Diese reichen von präzisen genetischen Werkzeugen, wie der „Genschere“ CRISPR/Cas, bis hin zu Methoden zur gezielten Aktivierung und Beobachtung einzelner Gehirnzellen, wie Optogenetik und Kalzium-Bildgebung. Außerdem ist die Larve der Taufliege einer der ganz wenigen Organismen, für die ein vollständiger Verschaltungsplan des Gehirns vorliegt, ein sogenanntes Konnektom.

„Die Möglichkeit, das detaillierte Wissen über den Aufbau des Larvengehirns mit verschiedenen hoch-präzisen genetischen und neurobiologischen Methoden gezielt zu kombinieren, ist eine Besonderheit der Taufliege. Das gibt uns die Möglichkeit, Fragestellungen von allen Seiten zu beleuchten.“

Dr. Katrin Vogt

Am Anfang stand das Konnektom
Im Rahmen ihrer aktuellsten Studie, die gerade in der Fachzeitschrift Science Advances erschienen ist und aus ihrer Postdoc-Zeit in Harvard stammt, untersuchte Katrin Vogt mit ihren Kolleginnen und Kollegen, wie Hunger das Verhalten von Taufliegenlarven beeinflusst und was dabei genau im Gehirn der Tiere passiert. Die Idee dafür kam ihr bei der Betrachtung des Schaltplans des Larvengehirns. „Aufgrund der Art und Weise, wie die Nervenzellen im Riechzentrum der Fliegenlarve, dem sogenannten Antennallobus, miteinander verschaltet sind, haben wir die Vermutung aufgestellt, dass es mindestens zwei unterschiedliche Aktivitätszustände des Riechsystems geben muss. Wir wollten wissen, was den Wechsel zwischen diesen Aktivitätszuständen bewirkt, und kamen auf Hunger als eine Möglichkeit“, schildert Katrin Vogt. Wie sich herausstellen sollte, hatten sie und ihre Mitforschenden dabei genau den richtigen Riecher.

Mithilfe von klassischen Verhaltensversuchen zeigte Katrin Vogt zunächst, dass hungrige Fliegenlarven bestimmte pflanzliche Geruchsstoffe anziehend finden, zu denen satte Larven lieber Abstand halten. Genau wie bei uns Menschen beim Einkaufen steuert hier also der Zustand des Hungers, ob bestimmte Nahrungsquellen angenommen oder abgelehnt werden. „Da das Fressen für Fliegenlarven vor der Verpuppung essenziell ist, ziehen hungrige Larven auch solche Nahrungsquellen in Betracht, die für eine satte Larve nicht interessant genug wären“, erläutert Katrin Vogt.

In mehrjähriger Forschungsarbeit und unter Verwendung der oben genannten Methoden gelang es Katrin Vogt und ihren Kolleginnen und Kollegen zusätzlich, den gesamten Steuerungsmechanismus der beobachteten Verhaltensänderung im Gehirn der Fliegenlarven aufzuklären und im Computermodell zu simulieren. Sie kamen dabei zu mehreren unerwarteten Erkenntnissen. So war zum einen der Ort der Verhaltenssteuerung im Larvengehirn, insbesondere die Beteiligung des Antennallobus, für die Fachwelt überraschend.

„Bisher sind wir davon ausgegangen, dass der Antennallobus hauptsächlich eine Art Durchgangsstation für sensorische Informationen auf dem Weg tiefer ins Gehirn ist. Wir konnten jedoch zeigen, dass hier bereits umfangreiche Informationsverarbeitung, wie eben die Integration des Hungerstatus, stattfindet“, macht Katrin Vogt deutlich. Des Weiteren stellte sich heraus, dass die Aktivität einer einzigen Nervenzelle für die Umschaltung vom satten in den hungrigen Zustand des Antennallobus und damit für die beobachtete Verhaltenssteuerung verantwortlich ist.

Vom Insekt zum Säugetier
Vom Gehirn der Fliegenlarve, mit seinen rund 10.000 Neuronen, zu dem des Menschen, mit der etwa zehnmillionenfachen Anzahl an Nervenzellen, ist es ein großer Schritt. Für die Beantwortung der Frage, ob unser Gehirn unser Einkaufsverhalten bei Hunger auf dieselbe Weise steuert, wie das Gehirn der Fliegenlarven ihr Fressverhalten, bedarf es daher weiterer Forschung. Es gibt jedoch deutliche Anzeichen für Parallelen in der Verschaltung von Nervenzellen zwischen Insekt und Säugetier.

So nutzt die einzelne Nervenzelle, welche das beobachtete Hungerverhalten bei den Taufliegenlarven steuert, den Botenstoff Serotonin. Dieser hat bei den meisten Tieren eine ähnliche Funktion und reguliert die Stimmung. Vergleichbar zu dem serotonergen Neuron der Fliegenlarve, welches von tief im Gehirn in das Riechzentrum des Insekts ausstrahlt, gibt es auch bei Säugetieren serotonerge Nervenzellen, die vom Hirnstamm auf unser Riechzentrum zurückgeschaltet sind.

„Es bestehen ähnliche Verschaltungsmuster bei Insekten- und Säugetiergehirnen. Und auch wenn sich diese Schaltkreise im Detail in ihrer Funktion unterscheiden mögen, so könnten die grundlegenden Mechanismen der neuronalen Verarbeitung von inneren Zuständen wie Hunger durchaus ursprünglicher Natur sein und bei unterschiedlichen Tiergruppen nach gleichen Prinzipien funktionieren“.
 

Dr. Katrin Vogt

Wie es von hier aus weitergeht
Wie jede Neurowissenschaftlerin oder jeder Neurowissenschaftler verfolgt auch Katrin Vogt mit ihrer Forschung das Ziel, zu verstehen, wie Gehirne funktionieren. „Ich habe in meinem letzten Forschungsprojekt viel darüber gelernt, wie Hunger, als einer von mehreren inneren Zuständen, die Geruchswahrnehmung und das Fressverhalten der Fliegenlarven beeinflusst. Meiner Meinung nach ist es jetzt an der Zeit, das Gehirn der Larven mehr herauszufordern“, sagt Katrin Vogt.

Mit ihrer neugegründeten Konstanzer Arbeitsgruppe möchte sie daher in Zukunft untersuchen, wie sich Konfliktsituationen auf das Verhalten der Larven auswirken: Wie zum Beispiel gehen sie mit einem attraktiven Geruchsreiz in einem hell beleuchteten Areal um, welches die lichtempfindlichen Larven normalerweise meiden würden? Wie fällt das Gehirn in solch widersprüchlichen Situationen eine Entscheidung? Oder welchen Einfluss haben auch hier Hunger und andere innere Zustände, wie Müdigkeit oder Stress, auf die Entscheidungsfindung?

Neben dem Erkenntnisgewinn für die neurobiologische Grundlagenforschung sieht Katrin Vogt auf mittel- bis langfristige Sicht auch klare Anwendungsmöglichkeiten für ihre Forschung, zum Beispiel im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI). Aktuelle KIs sind häufig den reizverarbeitenden Zentren des Säugetiergehirns nachempfunden und daher besonders gut in bestimmten, sich wiederholenden Aufgaben, wie der Bilderkennung oder Sprachverarbeitung. Echte Gehirne leisten jedoch mehr, sie sind flexibel und anpassungsfähig, selbst wenn unbekannte oder widersprüchliche Situationen eintreten.
 

„Diese Plastizität ist es, die echte Gehirne so faszinierend macht und die aktuellen KIs fehlt. Ich denke, dass die Informatik und die Computerwissenschaften hier noch viel vom Insektengehirn lernen können. Denn auch das Insektengehirn ist zu erstaunlich flexiblen Leistungen im Stande, obwohl es mit deutlich weniger Nervenzellen arbeitet als das der Säugetiere.“

Dr. Katrin Vogt

Bildunterschriften:

  • Startseite / Schlussbild: Kopf der Fliegenlarve unter dem Mikroskop.
  • Seite 2: System zur Duftpräsentation während der Kalzium-Bildgebung.
  • Seite 4: Reagenzgläser: Eine Generation der Fliegenzucht von der Eiablage (rechts) über verschiedene Zwischenstufen (mittig) bis zur Verpuppung (links).
  • Seite 8: Tracking: Bewegungsbahnen von 15 satten (links) und 15 hungrigen (rechts) Fliegenlarven. Beiden Gruppen wurde der gleiche Duft präsentiert. Satte Larven bewegen sich vom Duft weg, hungrige Larven auf den Duft zu.
  • Seite 10: Gefärbte Riechzellen, welche die Duftinformation von der Nase der Larve bis in den Antennallobus transportieren.
  • Copyright aller Fotos: Katrin Vogt

 

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