Forschung mit Impact

Wie lassen sich Studierende dazu bewegen, an Befragungen teilzunehmen? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der AG Hochschulforschung an der Universität Konstanz haben die „Sag’s uns!“-Studierendenbefragung 2019 zum Anlass genommen, genau hier mit einem unkonventionellen Forschungsprojekt anzusetzen, das gleichzeitig verschiedenen gemeinnützigen Organisationen zugutekommt.

Dass die Forschung einen Mehrwert für die Gesellschaft schafft, steht außer Frage. Dass dieser allerdings mit ganz konkreten Werten zu Buche schlagen kann, das hätte sich Eberhard Klein vom NABU-Bodenseezentrum in Konstanz zunächst nicht träumen lassen. Gemeinsam mit humanitären Hilfsorganisation, weiteren Naturschutzorganisationen, oder „Fridays for Future“ gehört die Konstanzer Niederlassung des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) zu den Einrichtungen, für die im Rahmen der diesjährigen Konstanzer Studierendenbefragung „Sag’s uns!“ der Stabsstelle Qualitätsmanagement gespendet werden konnte.
 

Gutes tun und darüber sprechen

Die Idee zur Aktion stammt von der AG Hochschulforschung unter Leitung von Prof. Dr. Thomas Hinz und Prof. Dr. Susanne Strauß, das Forschungsprojekt wurde als Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Verwaltung gemeinsam mit Friedrich Haupt von der Stabsstelle Qualitätsmanagement umgesetzt. Die Arbeitsgruppe untersucht die Studiensituation und die studentischen Orientierungen an deutschen Hochschulen und bereitet zurzeit ein Forschungsprojekt im Rahmen der gemeinsamen Befragung „Eine für alle. Die Studierendenbefragung in Deutschland“ vor, die zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) und dem Deutschen Studentenwerk (DSW) durchgeführt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird.

Es handelt sich gewissermaßen um „Research in Progress“.

Dr. Frank Multrus, AG Hochschulforschung

Dabei sollen studentische Orientierungen unter folgenden Gesichtspunkten analysiert werden: Einstellungen zu Politik und Gesellschaft, Ungleichheit und Fairness in Studium und Gesellschaft sowie Einstellungen, Erwartungen und Probleme bei Übergängen ins Studium und innerhalb des Hochschulsystems.
 
Die Konstanzer Studierendenbefragung „Sag’s uns!“ ist mit ihren Fragen zu Studiensituation und Zufriedenheit zentral für die Qualitätssicherung und die universitären Akkreditierungsverfahren. An ihr wollten die Konstanzer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gewissermaßen im Vorfeld testen, ob und wie sich die Teilnahmebereitschaft der Studierenden erhöhen lässt. Projektmitarbeiterin Sandra Majer erklärt dazu: „Wir beobachten seit Jahren einen Rückgang bei der Befragungsteilnahme von Studierenden. Üblicherweise versucht man, diesem Rückgang mit positiven Anreizen in Form von Belohnungen zu begegnen. Wir wollten wissen, ob es vielleicht auch anders geht.“ Deshalb wurde den Studierenden im Rahmen der „Sag’s uns!“-Befragung 2019 die Möglichkeit geboten, einen kleinen Betrag an eine gemeinnützige Organisation ihrer Wahl zu spenden. „Es handelt sich hierbei gewissermaßen um 'Research in Progress'“, kommentiert Dr. Frank Multrus, der das Projekt gemeinsam mit Sandra Majer seitens der AG Hochschulforschung betreut hat.

Große Spendenbereitschaft unter den Konstanzer Studierenden
Insgesamt wurden 9.072 Studierende angeschrieben und zufällig vier verschiedenen Experimentalgruppen plus Kontrollgruppe zugeordnet. Der vorgegebene Spendenbetrag in der ersten Experimentalgruppe lag bei 0,50 Euro, in der zweiten und dritten Gruppe bei einem respektive 2,50 Euro und bei fünf Euro in Gruppe 4. Von den 9.072 angeschriebenen Studierenden beteiligten sich 2.072 an der Incentivierungsstudie der AG Hochschulforschung, wodurch eine Gesamtspendensumme von rund 4.474 Euro zustande kam (97 Teilnehmende entschieden sich für keine der zur Auswahl stehenden Organisationen). Davon entfielen ca. 1.297 Euro auf die humanitäre Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, die sich als die mit Abstand beliebteste Organisation erwies (585 Studierende entschieden sich dafür), 767 Euro auf Fridays for Future (337 Studierende), 570 Euro auf die SOS Kinderdörfer (253 Studierende) und ca. 416 Euro auf Amnesty International (174 Studierende). Nur geringfügig weniger, nämlich rund 406 Euro, gingen an Brot für die Welt (181 Studierende). Der Deutsche Tierschutzbund bildet mit rund 396 Euro das Schlusslicht der Gruppe (für ihn entschieden sich 172 Studierende).
 
Und wohin fließen die Spendengelder? – Beispiel NABU
Der NABU gehört mit knapp 624 Euro Spendenerlös zum oberen Mittelfeld der Siebenergruppe. Insgesamt spendeten 273 Studierende für den Verein. Über die so zustande gekommene Summe freut sich Eberhard Klein, Leiter des erst 2018 eröffneten NABU-Bodenseezentrums in der Gemeinde Reichenau, aus mehreren Gründen ganz besonders: „Es sind gerade solche zweckungebundenen Spendengelder, mit denen wir viel bei der Basisarbeit für die Schutzgebiete bewegen können.“ Dementsprechend sind die Spenden der Konstanzer Studierenden bereits verplant: „Wir möchten bessere Kontrollen im Wollmatinger Ried und den anderen 27 Schutzgebieten einrichten“, so Klein. Die Naturschutzgebiete bieten vielen Pflanzen und Tieren eine Heimat, die auf der roten Liste der bedrohten Arten stehen. „Es ist uns nicht nur wichtig, den Menschen die Natur generell wieder näher zu bringen, indem wir etwa weitere Naturerlebnispfade einrichten. Wir möchten die Leute auch dafür sensibilisieren, wie sie sich in einem sensiblen Habitat verhalten müssen, um keinen Schaden anzurichten.“


Erste Forschungsergebnisse
Diese wurden am 6. November 2019 im Rahmen der offiziellen Präsentation der „Sag’s uns!“-Ergebnisse durch die Stabsstelle Qualitätsmanagement vorgestellt. Insgesamt beteiligten sich an der Studierendenbefragung 2.585 Studierende, was einem Rücklauf von 28,5 Prozent entspricht.

Die Kernergebnisse der „Sag's uns!“ 2019 im Überblick: 79 Prozent der Befragten waren mit den Studienbedingungen (sehr) zufrieden, nur zwei Prozent sehr unzufrieden oder unzufrieden. Zwei Drittel bewerteten die Betreuung und Beratung durch die Lehrenden als (sehr) gut, 71 Prozent den Aufbau und die Struktur ihres Studiengangs. Spannende Ergebnisse ergaben die Fragen zum Digitalisierungs-Schwerpunkt: Eine sehr große Mehrheit der Studierenden (80 Prozent) fühlt sich demnach kompetent im Umgang mit digitalen Medien. Gleichzeitig ist die Offenheit für mehr Wissen darüber weiter groß – über die Hälfte kann sich etwa die Teilnahme an einem freiwilligen Zusatz-Zertifikat zu Digitalkompetenzen vorstellen. Auch eine stärkere Thematisierung von Digitalisierungs-Themen in Bezug auf das eigene Studienfach wird mehrheitlich gewünscht. Den Schutz der privaten Daten bewerten 89 Prozent als wichtig, bei der Frage nach der Einschätzung des digitalen Wandels sahen 31 Prozent eher Chancen für die Gesellschaft, 61 Prozent sowohl Chancen als auch Risiken und acht Prozent eher Risiken. Die Hälfte der Studierenden kennt digitale Lernplattformen (außerhalb des universitären Angebots), aber nur eine Minderheit nutzt sie auch regelmäßig. Weitere Ergebnisse in Kürze unter uni.kn/qm/befragungen.


Und wie hat sich der Anreiz der Spendenoption auf die Teilnahmebereitschaft der Studierenden ausgewirkt? „Gar nicht“, so Sandra Majer. „Interessanterweise hatte weder die Möglichkeit zur Spende selbst einen Einfluss auf die Teilnahmebereitschaft, noch deren Höhe.“ Dass der Gesamtrücklauf fast den Vorjahresstand (2.647 Studierende) erreichte, werten die Wissenschaftler vor dem Hintergrund generell nachlassender Teilnahme allerdings als positives Signal. „Deutliche Unterschiede zeigen sich bei der Wahl der Spendenorganisationen“, ergänzt Frank Multrus, „wobei jedoch die zufällig zugewiesene Experimentalgruppe und die damit verbundene vorgegebene Spendenhöhe keinen Einfluss auf die Wahl der Organisation hatte.“ Dafür kamen fachbereichs- und disziplinabhängige Präferenzen zum Vorschein: So wählten etwa Studierende der Biologie deutlich häufiger als alle anderen den Naturschutz, was auf von der Fachkultur geprägte Interessen und Werte schließen lässt. Insgesamt nahm die Teilnahmebereitschaft bei Studierenden ab dem siebten Studiensemester deutlich ab, wobei Studentinnen häufiger an der Befragung teilnahmen als Studenten. Auch bei der Wahl der Spendenorganisation zeigt das Experiment geschlechtsspezifische Vorlieben auf: „Studenten wählten im Vergleich zu ihren Kommilitoninnen seltener den Tierschutz und SOS Kinderdörfer, dafür häufiger Fridays for Future und Ärzte ohne Grenzen“, so Multrus weiter.

Dr. Tullia Giersberg

Von Dr. Tullia Giersberg - 13.11.2019