„Warum eigentlich nicht mal Wieland?“

Studierende der Universität Konstanz haben ein Film-Projekt der Christoph Martin Wieland-Stiftung und der Akademie der Bildenden Künste München unterstützt. Die Dozentin Dr. Sarah Seidel und fünf Studierende aus dem Fachbereich Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften berieten fachlich bei der Konzeption der Verfilmung von Christoph Martin Wielands Verserzählung Musarion oder Die Philosophie der Grazien (1768). Campus.kn ist mit zwei Konstanzer Studentinnen und ihrer Dozentin Sarah Seidel ins Gespräch gekommen.
© Johny Venegas/Akademie der Bildenden Künste München

Warum Wieland? Was fasziniert an diesem Autor und warum eignet er sich besonders gut für den literarischen Einstieg ins 18. Jahrhundert?

Sarah Seidel: Eigentlich eignet er sich gar nicht gut (lacht). Seine Texte sind sehr anspruchsvoll – nicht nur gemessen an literarischen Texten im Allgemeinen, sondern auch gemessen an dem, was sonst in Deutschland im 18. Jahrhundert geschrieben wurde. Wenn man dann aber einmal im dem Sound angekommen ist, dann hat Wieland einen erstaunlich guten Humor. Davon abgesehen ist er enorm wichtig für das 18. Jahrhundert, das er fast vollständig durchlebt hat – nämlich von 1733 bis 1813. Dabei hat er unterschiedliche literarische Epochen mitgemacht und mitgeprägt und war Mitvorbereiter der Weimarer Klassik.

„Sich in die Perspektive von Filmstudierenden hineinzuversetzen war für mich unglaublich spannend.“

Christina Merker, BA-Studentin an der Universität Konstanz

Wie sind Sie auf Wieland aufmerksam geworden?

Sarah Seidel: Die enge Zusammenarbeit mit der Christoph Martin Wieland-Stiftung in Biberach und das gemeinsame Seminar „Das 18. Jahrhundert erlebbar und begreifbar machen. Fachdidaktik trifft Literaturwissenschaft“ sind aus meiner früheren Tätigkeit als Praktikumskoordinatorin hier am Fachbereich heraus entstanden. Ich war damals auf der Suche nach einer Einrichtung, bei der Studierende ihre literaturwissenschaftliche Expertise einbringen und umsetzen konnten. Dabei bin ich auf die Wieland-Stiftung gestoßen. Davor hatte ich eigentlich wenige Berührungspunkte mit Wieland selbst, aber viele mit dem 18. Jahrhundert. Ich habe mir gedacht: Warum eigentlich nicht mal Wieland?

Christoph Martin Wieland wurde am 5. September 1733 in Oberholzheim bei Biberach geboren und starb am 20. Januar 1813 in Weimar. Er studierte zunächst Jura in Tübingen, verbrachte dann einige Jahre in der Schweiz und wurde 1760 in Biberach zum Senator und Kanzleiverwalter gewählt. Es folgte die Heirat mit Anna Dorothea von Hillenbrand, aus der 14 Kinder hervorgingen. Von 1769 bis 1772 lehrte Wieland Philosophie in Erfurt, anschließend war er bis 1775 Prinzenerzieher am Weimarer Hof. Dank einer lebenslangen Pension konnte sich Wieland ab 1775 als freier Schriftsteller in Weimar etablieren und trug wesentlich zur Entwicklung der Stadt als bedeutendes literarisches Zentrum bei. Mit Goethe, Schiller und Herder komplettiert er das „Viergestirn der Weimarer Klassik“. Quellen: Wieland-Stiftung und Reclam.

Frau Merker, Sie haben Frau Seidels Wieland-Seminar belegt. Wie haben Sie die Arbeit mit und an Wieland erlebt?

Christina Merker (studiert Deutsche Literatur und Politik im siebten Semester): Ehrlich gesagt habe ich das Seminar damals primär wegen der Uhrzeit gewählt (lacht). Dann habe ich Wieland auf gut Glück mal bei Google eingegeben, weil ich den Namen noch nie gehörte hatte – obwohl ich schon Romantik- und Aufklärungs-Seminare belegt hatte. Als ich dann las, dass Wieland einer der Männer der Zeit war, fand ich das unglaublich spannend. Dazu kam die Kooperation mit der Wieland-Stiftung, was nach Abwechslung klang. Ich habe meine Wahl absolut nicht bereut.

Wie ist es zu dem gemeinsamen Projekt mit der Akademie der Bildenden Künste München gekommen?

Sarah Seidel: Mit Kerstin Bönsch habe ich schon einige Wieland-Seminare gemeinsam veranstaltet. Sie sprach mich an, ob ich Interesse hätte, mit meinen Studierenden bei einer Kooperation, die sie mit der Akademie der Bildenden Künste habe, fachlich zu unterstützen. Ihr ging es darum, ein interdisziplinäres Kulturprojekt von jungen Leuten zu Wieland zu machen. Geplant war ein Film zu Wieland, der von Kunststudierenden aus der Klasse von Professor Julian Rosefeldt betreut werden sollte. Julian Rosefeldt hat sich unter anderem als Filmkünstler und Regisseur mit der Filminstallation „Manifesto“ (2015), in der Cate Blanchett in 13 verschiedenen Rollen zu sehen ist, einen Namen gemacht. Natürlich habe ich nicht lange überlegt und zugesagt.

Im Rahmen des Seminars „Das 18. Jahrhundert erlebbar und begreifbar machen. Fachdidaktik trifft Literaturwissenschaft“ entstand unter der Leitung von Dr. Sarah Seidel (Fachbereich Literatur-, Kunst-, Medienwissenschaften), Christian Heigel (Binational School of Education) und Dr. Kerstin Bönsch (Wieland-Stiftung) eine Printpublikation mit dem Titel „Köpfe der Aufklärung … und Christoph Martin Wieland“. Sie porträtiert rund 20 Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Zeit der Aufklärung und deren Verbindung zu Christoph Martin Wieland. Das Buch wurde am 28. November 2019 von Dr. Kerstin Bönsch und Dr. Sarah Seidel sowie Studierenden der Universität Konstanz im Rathausfoyer in Biberbach vorgestellt.

Wie haben Sie die Münchener Studierenden unterstützt?

Sarah Seidel: Es gab zwei Termine, an denen sich die Münchener mit jeweils vier Studierenden aus Konstanz getroffen haben. Beim ersten Treffen in Biberach im Haus der Wieland-Stiftung haben wir –zusammen mit Kerstin Bönsch - in kurzen Impulsvorträgen den Autor Wieland und seine Zeit vorgestellt. Es gab beispielsweise Referate zu Themen wie „Kosmopolitismus“ oder „Freimaurertum“, aber auch zu übergeordneten Themen wie „Aufklärung“, „Französische Revolution“ oder „Kolonialismus“. Beim zweiten Treffen in München haben sich dann die ersten konkreten Projektideen herauskristallisiert. Eine Gruppe wollte etwas zu Mode und Wieland machen, die andere etwas zu Sound und Musik in Wielands Agathon (gilt als der erste deutsche Bildungsroman, veröffentlicht 1766/1767). Am Ende ist dann nur ein Projekt übrig geblieben…

„Warum ist Musarion heute noch aktuell? Die Erzählung handelt von zeitlosen Themen. Wie gehe ich mit Herausforderungen um, wie mit Enttäuschungen? Diese Fragen sind auch heute noch präsent in der Gesellschaft.“

Eileen Ehringer, Absolventin des BA Literatur-Kunst-Medien

Eileen Ehringer (hat bereits ihren Bachelor-Abschluss in Literatur-Kunst-Medien): … und es war nicht das Modeprojekt, obwohl mir das damals etwas leid tat, weil ich schwerpunktmäßig eher aus der Kunstrichtung komme. Geplant war eine Art Fusion von Aufklärung und Moderne: Eine Überlegung war, Mottos und Zitate aus der Zeit oder von Wieland selbst auf T-Shirts drucken zu lassen, um das Ganze modern zu interpretieren. Letztlich ist es dann ein Filmprojekt geworden, für das zunächst Agathon als Vorlage im Raum stand.

Sarah Seidel: Wir mussten alle teilweise sehr hart argumentieren, dass Agathon für ein Filmprojekt ungeeignet ist. Als wir uns dann aber für Musarion entschieden hatten, ging alles recht schnell. Die Münchener Studierenden entwickelten ein Storyboard und einen Budgetplan für das Projekt, das auf 50.000 Euro begrenzt ist und von der Wieland-Stiftung finanziert wird. Dabei haben sich schon auch Unterschiede gezeigt: An der Akademie werden freie Künste studiert, es wird ganz anders studiert. Als Kerstin Bönsch und ich mit einem Seminarplan um die Ecke kamen, sind wir erst einmal auf fragende Gesichter gestoßen (lacht).

Eileen Ehringer: Insgesamt war aber das Interesse an dem, was wir zu sagen hatten, sehr groß – es hat ein wirklicher fachlicher und inhaltlicher Austausch stattgefunden, der weit über die Ästhetik oder Umsetzung des Projektes hinausging. Dass die Münchener dann auch tatsächlich für die Dreharbeiten bis nach Griechenland gefahren sind – noch dazu mit einem Budget von nur 50.000 Euro – hat uns wirklich überrascht.

Frau Ehringer, Frau Merker, Sie studieren beide nicht schwerpunktmäßig Filmwissenschaft. Haben Sie von der Erfahrung, eng über disziplinäre Grenzen hinweg zu arbeiten, profitiert?

Eileen Ehringer: Auf jeden Fall. Mir persönlich haben die Diskussionsrunden mit den Münchenern unglaublich viel Spaß gemacht. Der kreative Austausch, die Art, wie man an der Akademie studiert, hat mir gut gefallen. Den eigenen Horizont zu erweitern, etwas Neues kennenzulernen und gleichzeitig mitzuerleben, wie das, was man studiert hat, handfeste Form annimmt, war eine tolle Erfahrung für mich. Das hatte für mich persönlich auch viel damit zu tun, den Spaß am Studieren ganz neu zu entdecken.
 
Christina Merker: Ich war nur bei dem ersten Treffen dabei. Bei der kurzfristigen Vorbereitung der Referate – ich hatte das Thema „Freimaurertum“ – war für mich besonders reizvoll, nicht nur die wichtigen Fakten herauszuarbeiten, sondern mir auch zu überlegen, was für einen Filmstudierenden interessant sein könnte. Sich in diese andere Perspektive hineinzuversetzen hat mir auch eine neue Sichtweise auf die Literatur eröffnet.

 

Der rund 30-minütige Kunstfilm soll im ersten Halbjahr 2020 in Biberach und an weiteren Stationen in Deutschland gezeigt werden. Die Dreharbeiten in der griechischen Hauptstadt Athen und im Umland sowie in München sind abgeschlossen, die Postproduktion hat bereits begonnen. Der Film wurde von der Christoph Martin Wieland-Stiftung in Auftrag gegeben und finanziert. Weitere Förderung erhält das Projekt von der Deutschen Schillergesellschaft, der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Bruno-Frey-Stiftung, der Stiftung BC – gemeinsam für eine bessere Zukunft sowie der Wieland-Gesellschaft e.V.

Dr. Tullia Giersberg

Von Dr. Tullia Giersberg - 13.12.2019