Wissen vermitteln und das Interesse für Kultur wecken

Vor 32 Jahren hat alles begonnen, mit einer Vortragsreihe, die Lehrer Norbert Gräfe am Alexander-von-Humboldt-Gymnasium in Konstanz ins Leben gerufen hatte. Auf dieser Grundlage entstand 1990 das Hegau-Bodensee-Seminar (HBS), das in enger Kooperation mit der Universität Konstanz stattfindet. Was es genau mit dem HBS auf sich hat, erläutert die Leiterin Dr. Norina Procopan „Im Gespräch“.
© Privat | Leiten gemeinsam das Hegau-Bodensee-Seminar: Dr. Norina Procopan und Tobias Haas

Dr. Norina Procopan besuchte die deutschsprachige Schule, anschließend die Universität „Babes Bolyai“ in Klausenburg (Cluj), Rumänien. Sie wurde 2002 mit einer Arbeit zu „Hölderlins Donauhymnen“ bei Prof. Dr. Bernhard Böschenstein in Klausenburg promoviert. Seit 2008 ist Norina Procopan Lehrerin am Alexander-von-Humboldt Gymnasium in Konstanz für die Fächer Deutsch und Geschichte.

Tobias Haas besuchte das Thomas-Strittmatter-Gymnasium in St. Georgen und studierte danach die Fächer Englisch & Sport an der Universität Konstanz. Nach Beendigung des Referendariats am Gymnasium am Romäusring in Villingen 2009 folgte ein neunjähriges Engagement am Gymnasium Engen. Seit 2018 ist Tobias Haas Lehrer für die Fächer Englisch, Sport und Ethik sowie Teil der erweiterten Schulleitung am Alexander-von-Humboldt-Gymnasium in Konstanz. Er ist Co-Leiter des Hegau-Bodensee-Seminars.


Frau Dr. Procopan, das Hegau-Bodensee-Seminar gibt es seit 1990. Was ist das Ziel?

Dr. Norina Procopan: Wir geben begabten und besonders interessierten Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, einmal pro Woche außerhalb des Bildungsplans Themen zu bearbeiten, die sie interessieren – in AGs, die von Lehrkräften betreut werden. In diesen interdisziplinär angelegten AGs, deren Ergebnisse am Ende des Schuljahres im Landratsamt vorgestellt werden, lernen die Schülerinnen und Schüler kritisches Denken, das wissenschaftspropädeutischen Charakter hat. Anders als andere Begabtenseminare in Baden-Württemberg haben wir nicht ausschließlich MINT-Fächer im Programm, sondern sind sehr breit angelegt, das heißt, wir haben Angebote in Natur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Manche unserer Schülerinnen und Schüler werden nach unseren Seminaren Schülerstudentinnen und -studenten an der Universität Konstanz, das heißt, sie hören parallel zur Schule an der Universität Vorlesungen und absolvieren auch Prüfungen, die später im Studium angerechnet werden.

Des Weiteren organisieren wir Vorträge, Exkursionen, Autorenlesungen, Workshops und Rhetorik-Seminare. Wichtig für uns ist, dass das HBS permanent von kulturellen Veranstaltungen begleitet wird, die Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf ein universitäres Studium geht Hand in Hand mit humanistischer Bildung.
 

„Wir wollen, mit anderen Worten, Wissen vermitteln und das Interesse für Kultur wecken.“

Dr. Norina Procopan, Leiterin HBS

 

Sie wollen Lernen durch kritisches Denken ermöglichen, wodurch Fähigkeiten wie Beobachten, Denken, Gedächtnis und Transfer durch eine Fülle von strukturierenden Bildungsangeboten geschult werden. Erklärt sich dadurch die breite Themenpalette?

Die Herangehensweise in den AGs des Hegau-Bodensee-Seminars ist in dem Bereich Wissenschaftspropädeutik anzusiedeln. Jenseits der Eigenverantwortung wird auch die Verpflichtung auf wissenschaftliche Standards, das Reflektieren des eigenen Denkens und der eigenen Arbeitsweise eingeübt. Darüber hinaus soll aber auch das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass Wissenschaft in ihren Ergebnissen unsicher sein kann. Die Schülerinnen und Schüler machen die Erfahrung, dass forschendes Studieren nicht automatisch und immer zu endgültigen Antworten führt, sondern oft auch zu vorläufigen Ergebnissen.


Sie kooperieren mit der Universität Konstanz.

Ja, das ist in der Tat eine sehr fruchtbare Kooperation. Die Universität ist gleich dreifach involviert: über Vorträge, die von Professorinnen und Professoren der Universität gehalten werden, über eine Projektwoche und über die Universitätstage, die wir seit Jahren in Kooperation mit dem Zukunftskolleg der Universität Konstanz veranstalten. Gerade bei der Kooperation mit dem Zukunftskolleg arbeiten junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die weltweit angeworben werden, in Workshops mit Schülerinnen und Schülern zusammen. Letztere werden dabei sehr intensiv betreut und können so die Angst vor der Begegnung mit der Universität verlieren – sie erfahren, wie ein Studium läuft und sind gleichzeitig am Puls der Forschung. Mein ganz besonderer Dank gilt an dieser Stelle Prof. Dr. Giovanni Galizia, dem Direktor des Zukunftskollegs, sowie dessen Geschäftsführerin Anda Lohan.


Was beeindruckt Sie bei der Kooperation am meisten?
 

„Das konstante Entgegenkommen und das Engagement der Universitätsvertreterinnen und -vertreter sowie die Freude der Schülerinnen und Schüler an diesen Begegnungen und Erfahrungen.“

Dr. Norina Procopan, Leiterin HBS

 

Es ist einfach toll, dass wir durch die Kooperation mit der Universität Konstanz immer wieder neue Ideen und damit einhergehend Themenbereiche für das HBS erschließen können.


Gibt es Seminare, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?

An alle Universitätstage denke ich sehr gerne zurück, haben doch diese Veranstaltungen immer einen interdisziplinären Charakter aufgewiesen, da sie sowohl geistes- als auch natur- und gesellschaftswissenschaftliche Themen vereint haben.

In besonderer Erinnerung ist mir ein Workshop zum Thema „Das Schöne in der Kunst“ geblieben, ein Vortrag über die chemische Beschaffenheit von Lasuren, die in der Keramik ihre Verwendung finden, sowie Vorträge über „Wolken und Gewässer in der Kunst“. Bei letzterem hat eine Künstlerin aus Wien mit Wasserproben aus Flüssen und Ländern den europäischen Gedanken in Form von Wasser dargestellt. Toll fand ich auch den Plenumsvortrag von Prof. Dr. Karin Leonhard, früher Kuratorin des Nationalmuseums Amsterdam, die beim Universitätstag im Schuljahr 2018/2019 mit dabei war. Und, und, und.

 

„Alle diese Beispiele zeigen, wie breit die Kooperation der HBS mit der Universität Konstanz aufgestellt ist.“

Dr. Norina Procopan, Leiterin HBS

 

Professorin Aleida Assmann von der Universität Konstanz, mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und dem Balzan-Preis ausgezeichnet, hat zum Thema „Die Europäische Union und ihre Nationen“ gesprochen. Weitere Themen in den vergangenen Jahren reichten von „Biochemische Waffe gegen den Buchsbaumzünsler“ über „Rhetorik“ und „Nagellackherstellung“ bis hin zu „Auswirkungen und Gefahren des Klimawandels im Alpenraum hautnah erfahren und entdecken“. Wie verläuft die Themenfindung?

Aufgrund der bisher erfolgreichen Zusammenarbeit mit der Universität Konstanz und auch mit der Hochschule Konstanz für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) arbeiten wir mit Dozenten zusammen, die uns auch Themenvorschläge unterbreiten. Natürlich besprechen wir mit den Schülerinnen und Schülern, welche Themen sie für die Unitage interessant finden.


Wie lange dauert die Vorbereitung?

Bereits jetzt ist das Programm für das Schuljahr 2021/2022 komplett organisiert – es gibt also einen langen Vorlauf. Das Schöne an den Vorträgen ist, dass sie auch für Konstanzerinnen und Konstanzer offen sind.

Ausblick auf das Programm 2021/2022:
Insa Pijanka, Intendantin der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz, wird im kommenden Schuljahr über den Komponisten Dmitri Schostakowitsch sprechen, die Soziologin und Privatdozentin Dr. Silvana Figueroa von der Universität Konstanz wird über das Thema Konkurrenz referieren. Prof. Dr. Malte Drescher von der Universität Konstanz wird im Fachbereich Chemie einen Vortrag im Themenbereich der Chemie halten. Dr. Michael Quetting vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie wird über das Leben der Wildgänse sprechen, die Theologin Prof. Dr. Lydia Maidl von der Ludwig-Maximilians-Universität München thematisiert die „Transgenerationale Weitergabe von Traumata“. Zudem ist ein Vortrag von Prof Dr. Benno Rothstein, HTWG Konstanz, im Fachbereich Geowissenschaften eingeplant. Darüber hinaus stehen eine Lesung von Prof. Dr. Christian Lehnert, Theologieprofessor der Universität Dresden, zum Thema „Ins Innere hinaus – über die Macht der Engel“ und eine Lesung mit der mehrfach ausgezeichneten Schriftstellerin Iris Wolf zu ihrem Buch „Die Unschärfe der Welt“ auf dem Programm. Auch mit Dorothea von Choltitz ist eine Lesung geplant – es wird um Konstanz im Mittelalter gehen.
Neben den Vorträgen gibt es zwei Rhetorikseminare, eine Projektwoche, eine große Exkursion nach Neapel sowie an die Amalfi-Küste, so das coronabedingt möglich ist.

Wie stark werden Sie durch Corona behindert?

Im vergangenen Jahr war die Digitalisierung noch nicht so weit vorangeschritten. Deshalb mussten die Projektwoche, der Unitag und einzelne Lesungen ausfallen. Dieses Jahr versuchen wir, alles im Online-Modus zu machen. Die Zahl der Projekttage werden wir reduzieren und die verbliebenen ebenfalls im Online-Modus abhalten.


Es gibt auch Universitätstage. Welche Aktivitäten sind dafür vorgesehen?

Früher gab es die Universitätstage nicht jedes Jahr. Wegen des Lockdowns mussten wir allerdings im vergangenen Jahr den inzwischen alljährlich stattfindenden Universitätstag absagen. Dieses Programm holen wir dieses Jahr am 23. April nach. Das Thema lautet „Verhaltensforschung“. Wir bieten Workshops zu den Themen „Die Rolle von Individuen in Tiergruppen“ mit Dr. Jolle Jolles (Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie), „Wie der ,Markt‘ verteilte Informationen aggregiert“ mit Dr. Irenaeus Wolf (Universität Konstanz) sowie „Was ist das Schöne“ mit Mathias Günther (Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour), Dr. McKenna Kelly (Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie) und Hemal Naik (Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie) an.

Programm für das Schuljahr 2020/2021
„Mathematik und der Stellenwert an Gymnasien“ lautet der Titel eines Vortrags am 6. März 2021 von Rüdiger Sandmann, Alexander-von-Humboldt-Gymnasium Konstanz. Patentanwalt Dr. Ulrich Stützel spricht am 20. April zum Thema „Außergewöhnliche Zeiten eröffnen außergewöhnliche Möglichkeiten bei der Berufsfindung“. Der Titel des Vortrags von Prof. Dr. Stefan Leue, Universität Konstanz, am 4. Mai lautet „Programmieren oder Lernen – wie wir die Systeme der Zukunft entwickeln“. Prof. Dr. Günter Figal, Universität Freiburg, spricht am 10. Mai über „Japan im Westen“. Die Lesung „Der Wal“ mit Ally Klein (Berlin/Wien) ist für den 15. Juni vorgesehen. Der Titel einer Exkursion am 2. Mai, „Singvögel am Bodensee“, eine weitere zum Vitra Design Museum (Weil am Rhein) und in den Zoologischen Garten Basel ist für den 9. Juli geplant (dies alles nur soweit möglich). Am Meeresbiologischen Abend am 17. Juni geht es mit Holger Seitz um „Abyssal – Reise in die Tiefsee“. Auch Kleist-Preisträgerin Ilma Rakusa ist am 10. Juni mit von der Partie. In Kooperation mit der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft Bodensee und dem HBS konnte sie für eine Lesung gewonnen werden. Auch Rhetorikseminare stehen wieder auf dem Programm.

Weitere Informationen unter: www.avh-konstanz.de

Was wünschen Sie dem HBS?

Dass wir diese Zeit gut überstehen. Danach sieht es auch aus, denn das Programm steht, wir haben alle Zusagen. Ich wünsche dem HBS weiterhin, dass wir für unsere Veranstaltungen wie bisher auch interessierte Schülerinnen und Schüler sowie Dozenten gewinnen können, die Freude an der Begegnung mit jungen Menschen haben. Erfreulich wäre natürlich auch, wenn wir ehemalige Schülerinnen und Schüler des HBS als Referierende gewinnen könnten – wie ein Patentanwalt, der dieses Jahr einen Vortrag bei uns hält. Last but not least geht mein Dank an Tobias Haas, mit dem ich seit Kurzem das HBS zusammen leite.

Maria Schorpp

Von Maria Schorpp - 10.03.2021