Dimensionen des Invasionserfolgs von Pflanzen
Invasive Pflanzen sind Pflanzenarten, die in einer Umgebung außerhalb ihres ursprünglichen Lebensraums wachsen. Sofern sie dort erfolgreich selbsterhaltende Populationen etablieren - ein Ereignis, das als „Naturalisierung“ bezeichnet wird - können sie erhebliche negative Auswirkungen auf lokale Ökosysteme sowie Wirtschaft und Gesellschaft haben. Nicht alle Pflanzenarten sind jedoch gleich effektiv bei der Eroberung neuer Lebensräume. Daher untersuchte ein internationales Team von Forschenden unter der Leitung des Konstanzer Biologen Prof. Dr. Mark van Kleunen verschiedene Arten von „Invasivität“ sowie mögliche Faktoren, die den Invasionserfolg nichtheimischer Pflanzen in Europa bestimmen.
Die neue Studie, die in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht wurde, beschreibt die Invasivität von Pflanzenarten entlang der drei Dimensionen „lokale Häufigkeit“, „geografische Ausdehnung“ und „Breite an Lebensräumen“. In der aktuellen Studie wurden diese Größen im kontinentalen Maßstab für große Teile der gebietsfremden und heimischen Flora Europas erfasst. Hohe Werte in den Variablen charakterisieren die erfolgreichsten Invasoren unter den Pflanzen. Neben einigen biologischen Merkmalen spielt insbesondere die Invasionshistorie der Pflanzen eine wichtige Rolle für die Invasivität: Außereuropäische Herkunft, frühe Ankunft in Europa sowie schnelles Wachstum sind Merkmale, die sich viele „Superinvasoren“ teilen. Die Ergebnisse der Studie verbessern unser allgemeines Verständnis darüber, wie sich sowohl invasive als auch einheimische Pflanzenarten ausbreiten, und können helfen, zukünftige Invasionsereignisse besser vorherzusehen und diesen entgegenzuwirken.
Sind alle invasiven Pflanzen gleich?
Unter Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der Ökologie wird zunehmend anerkannt, dass der Begriff „invasiv“ nicht nur eine einzelne Eigenschaft beschreibt. Stattdessen gibt es verschiedene Merkmale in der Verbreitung eines Organismus, die ihn als invasiv oder nicht-invasiv charakterisieren können. Um mehr über die verschiedenen Möglichkeiten zu erfahren, wie eine Pflanze zur invasiven Art wird, verknüpften die Autoren der aktuellen Studie zwei umfangreiche Datensätze: die Global Naturalized Alien Flora (GloNAF) Datenbank und das European Vegetation Archive (EVA). Für die Analyse der kombinierten Daten übernahmen die Wissenschaftler ein dreidimensionales Bewertungsschema, welches zuvor bereits zur Beschreibung der „Seltenheit“ einheimischer Pflanzenarten verwendet wurde.
Die erste Beschreibung dieses Schemas durch Deborah Rabinowitz stammt aus den 1980er Jahren. Rabinowitz vertrat die Idee, dass eine „häufige“ Pflanzenart lokal in hoher Dichte vorkommen, über ein großes Gebiet verbreitet sein und viele verschiedene Lebensräume besiedeln muss. Neben dieser Form der absoluten „Häufigkeit“ gibt es sieben Formen der „Seltenheit“ als unterschiedliche Kombinationen von geringen Ausprägungen entlang der drei Dimensionen. Zum Beispiel kann eine „seltene“ Pflanzenart eine hohe lokale Häufigkeit haben, ist dafür jedoch auf ein kleines Gebiet beschränkt und wächst nur in einem bestimmten Typ Lebensraum.
Genau wie das Modell von Rabinowitz verschiedene Formen von Seltenheit bei einheimischen Pflanzen zulässt, eröffnet es bei Anwendung auf nichtheimische Arten die Möglichkeit verschiedener Arten von Invasivität. Die Betrachtung dieser Möglichkeit ist deshalb wichtig, weil verschiedene Formen invasiver Arten unterschiedliche Managementstrategien erfordern könnten. „Wenn eine nichtheimische Art beginnt, eine lokale Pflanzengemeinschaft zu dominieren, dabei aber nur ein geringes Potential zur geografische Ausdehnung hat und auf einen bestimmten Typ von Lebensraum spezialisiert ist, könnten sich die Gegenmaßnahmen darauf konzentriert, die Art lokal zurückzudrängen anstatt die Ausbreitung zu verhindern“, gibt Dr. Trevor Fristoe, Erstautor der aktuellen Studie, ein anschauliches Beispiel.
Nicht allzu verschieden
Bei einheimischen Pflanzenarten hatten Wissenschaftler bereits zuvor herausgefunden, dass die drei Dimensionen der Häufigkeit nicht völlig unabhängig voneinander sind: Arten, die lokal häufig vorkommen, zeigen oft auch eine weite geographische Verbreitung sowie eine breite Spanne an möglichen Lebensräumen. „Für die invasiven Pflanzenarten war unsere Erwartung, dass diese drei Größen hier ebenso miteinander verknüpft sind, wie bei den heimischen Arten. Letztendlich sind invasive Pflanzen andernorts ja auch einheimische Arten“, beschreibt Fristoe eine wichtige Annahme der Studie.
Tatsächlich fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Verknüpfungen zwischen den drei Dimensionen – lokale Häufigkeit, geografische Ausdehnung und Breite an Lebensräumen – bei den invasiven Arten Europas sehr dem Muster ähneln, das bei den einheimischen europäischen Arten gefunden wurde: Pflanzen, die in einem der Merkmale erfolgreich sind, neigen dazu, in den anderen Merkmalen ebenfalls erfolgreich zu sein. „Diese Parallelen legen nahe, dass es dieselben biogeografischen und ökologischen Mechanismen sind, welche die Verbreitung bei einheimischen und invasiven Pflanzenarten bestimmen“, schließt Fristoe aus den Ergebnissen.
Mögliche Ursachen des Invasionserfolgs
Trotz dieser Ähnlichkeiten zwischen heimischen und invasiven Pflanzen gibt es auch entscheidende Unterschiede zwischen den beiden Gruppen: Anders als bei einheimischen Pflanzenarten hat sich die evolutive Entwicklung der invasiven Arten nicht in den von ihnen neubesiedelten Lebensräumen abgespielt. Stattdessen fand diese in anderen Teilen Europas oder sogar auf anderen Kontinenten statt. „Unabhängig davon, ob die Dimensionen der Invasivität generell miteinander verknüpft sind oder nicht, wollten wir die Ursachen von Erfolg und Misserfolg in jeder der Dimensionen identifizieren. Neben eher ökologischen oder biologischen Faktoren betrachteten wir hierzu außerdem die Invasionshistorie der Pflanzen“, erklärt Fristoe das zweite Ziel der Studie.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Pflanzen mit hohen Werten in allen drei Variablen tendenziell von anderen Kontinenten, wie Asien oder Amerika, stammen. Nichteinheimische Pflanzen aus anderen Teilen Europas zeigen hingegen eine geringere Invasivität. Die außereuropäischen Superinvasoren besitzen außerdem oft biologische Merkmale, die ihnen – auf Kosten ihrer Abwehrmechanismen – ein schnelles Wachstum ermöglichen. Zusammen stützen diese Ergebnisse eine Hypothese, die im Englischen als „enemy release hypothesis“ bezeichnet wird.
„Die allgemeine Idee hinter dieser Hypothese ist, dass invasive Arten, wenn sie in neue Umgebungen eindringen, viele ihrer natürlichen Feinde, wie Krankheitserreger, Pflanzenfresser oder konkurrierende Arten, zurücklassen. Dadurch kann ihre Verbreitung buchstäblich ‚außer Kontrolle geraten‘. Dieser Effekt könnte besonders stark sein, wenn für die Neubesiedlung von Lebensräumen Kontinentalgrenzen wie Ozeane oder Gebirgsketten überschritten wurden.“
Trevor Fristoe
Ausnahmen von der Regel
Die Wissenschaftler fanden auch Ausnahmen von dem allgemeinen Muster, dass Pflanzen, die in einer Dimension erfolgreich sind, dies auch in den anderen sind und identifizierten mögliche Gründe für diese Ausnahmen. Zum Beispiel weicht eine nichtheimische Pflanze umso eher von der Regel ab, je kürzer die Besiedlung durch sie zurückliegt. „Sie sind neu. Sie brauchen noch Zeit, um die Bedingungen auszuloten“, liefert Fristoe eine Erklärung für diese Beobachtung und fährt fort: „Das ist von hoher Bedeutung. Wenn man eine invasive Pflanze findet, die nur in einer der Dimensionen erfolgreich, aber auch neu ist, sollte dies Anlass zur Sorge geben: Sie könnte später auch in den anderen Dimensionen erfolgreich werden.“ Das verwendete Bewertungsschema ist also nicht nur ein nützliches Werkzeug, um aktuelle Muster der Naturalisierung zu erklären und unser Verständnis für die Dynamik der Artenverbreitung im Allgemeinen zu verbessern. Es kann auch dazu dienen, zukünftige Invasionsereignisse vorherzusehen und maßgeschneiderte Managementstrategien zu entwickeln, um invasive Pflanzenarten besser zu kontrollieren.
Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Czech Science Foundation (CACR) und der Tschechischen Akademie der Wissenschaften (CAS), dem Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), dem Belmont Forum und BiodivERsA mit dem nationalen Geldgeber Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), der baskischen Regierung, der National Research Foundation of Korea (NRF) und der koreanischen Regierung (MSIT), der Universität Lettlands und den Velux Foundations gefördert.