„STAYIN‘ ALIVE – mit Seuchen leben“
Die Ausstellung „STAYIN‘ ALIVE – mit Seuchen leben“ öffnete am 30. Juli 2021 im Turm zur Katz in der Konstanzer Innenstadt nach fast einem Jahr der Planung und Vorbereitung ihre Pforten für BesucherInnen. Das von Studierenden auf die Beine gestellte Gemeinschaftsprojekt der Universität Konstanz, der Hochschule Konstanz für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG), der Staatlichen Hochschule für Musik (HfM) Trossingen sowie des Kulturamts Konstanz blickt aus verschiedenen Perspektiven auf das Thema „Pandemien und Seuchen in der Menschheitsgeschichte – von der Antike bis zur Gegenwart“. Wir sprechen mit Marlee Priesmeyer, Werner Rietzschel und Felix Musch von der studentischen Projektleitung, um mehr über die Konzeptionsphase, den Aufbau und die Exponate der Ausstellung zu erfahren.
„Uns war es wichtig, dass die BesucherInnen nicht einfach mit Informationen beliefert werden, sondern dass in gewisser Weise eine aktive Auseinandersetzung mit den Ausstellungsinhalten und ein Austausch stattfinden. Wir möchten zur Reflektion über die eigene Situation anregen und zum Nachdenken darüber, wie die Menschheit vielleicht in hundert Jahren auf die derzeitige Pandemie blickt und sich erinnert.“
Marlee Priesmeyer, Mitglied der studentischen Projektleitung
Ein interdisziplinäres Projekt zwischen Forschenden und Kreativen
Die Vorbereitungen zu der Ausstellung „STAYIN‘ ALIVE – mit Seuchen leben“ begannen im Herbst 2020, als die beteiligten Studierenden aus den Fachbereichen Architektur und Kommunikationsdesign (HTWG), Informatik und Geschichte (Universität Konstanz) sowie Musikdesign (HfM Trossingen) erstmalig in kleinen, interdisziplinären Teams zusammenkamen, um mögliche Konzepte für die Ausstellung zu entwickeln. Das aktuelle Sommersemester nutzte das studentische Team dann, um das finale Konzept, auf welches man sich gemeinschaftlich geeinigt hatte, auszugestalten und gemeinsam mit den weiteren beteiligten Projektpartnern, wie dem Kulturamt der Stadt Konstanz und den wissenschaftlichen Werkstätten der Universität Konstanz, zum Leben zu erwecken.
„STAYIN‘ ALIVE – mit Seuchen leben“ ist dabei nicht die erste Ausstellung im Turm zur Katz, die aus der hochschul- und fächerübergreifenden Zusammenarbeit hervorgegangen ist: Zuvor gab es bereits dreimal ähnlich entstandene Ausstellungen zu den Themen „Tell Genderes“, „Rebuild Palmyra?“ und „Link zur künstlichen Intelligenz“. Die Form der Veranstaltung hat sich bewährt und ohne die Synergien, die aus der Interdisziplinarität entstanden sind, wäre das aktuelle Ergebnis ein anderes gewesen, da ist sich Marlee Priesmeyer, Architekturstudentin an der HTWG, sicher: „Die Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen hat das Projekt immens bereichert – die unterschiedlichen Blickwinkel auf die Ausstellung und ihr Thema, die vielseitigen Expertisen. Gemeinsam in den Diskurs zu treten und die verschiedenen Perspektiven wahrzunehmen, war nicht nur hochinteressant, sondern auch essentiell für die Umsetzung der Ausstellung.“
Von der Architektur zum Konzept – und zurück
Die Räumlichkeiten der Ausstellung im Turm zur Katz erstrecken sich über vier Stockwerke. Diese Mehrstöckigkeit nutzte das Ausstellungsteam, um das Dachthema „Seuchen und Pandemien“ ebenso viel- beziehungsweise vierschichtig in Kernthemen aufzuteilen: Datenerfassung, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Innenarchitektonisch schafft die Ausstellung im Turm zur Katz durch zeitgemäße Gestaltung eine passende Atmosphäre, denn wer die Räumlichkeiten der Ausstellung betritt, verlässt die Konstanzer Altstadt und findet sich im fiktiven Forschungsinstitut IMPF – dem „Institut für mediale Pandemieforschung“ – wieder.
Mit dem Themenbereich Datenerfassung werden die BesucherInnen der Ausstellung im unteren Bereich der Ausstellung empfangen und buchstäblich in der Gegenwart abgeholt. Die Erhebung von Daten im Zusammenhang mit Pandemien wird insbesondere unter dem Aspekt der Digitalisierung betrachtet. „Unsere heutige, hochtechnische Welt hat natürlich ganz andere Möglichkeiten der Systematisierung, wie zum Beispiel der Meldung und Archivierung von Krankheitsfällen, als die Generationen vor uns. Die Digitalisierung stellt daher eine klare Zäsur in der Pandemieerfassung dar“, berichtet Werner Rietzschel, Geschichtsstudent an der Universität Konstanz.
© Organisationsteam der Ausstellung "STAYIN' ALIVE"Entwurf zur Ausstellungsgestaltung - Ebene Wissenschaft
Eine Reise durch die Pandemiegeschichte
In den höhergelegenen Stockwerken erwartet die BesucherInnen anschließend eine Reise durch die Pandemiegeschichte bis zurück in die Antike. Die einzelnen Themenbereiche bauen ebenso wie die Ebenen des Turms aufeinander auf. So folgt auf die Datenerfassung der Themenbereich „Wissenschaft und Forschung“ im ersten Obergeschoss. „Die Methoden der modernen Mikrobiologie standen der Menschheit zu Zeiten der antiken oder der mittelalterlichen Pest noch nicht zur Verfügung. Natürlich gab es aber auch schon zu früheren Pandemien und Seuchen Forschung mit dem Ziel, mehr über den Ursprung und die Verbreitung dieser Krankheiten zu erfahren“, berichtet Felix Musch, ebenfalls Geschichtsstudent an der Universität Konstanz.
Wie wird das von der Forschung generierte Wissen von der Politik für das Seuchenmanagement genutzt, um den großflächigen oder gar weltweiten Ausbruch von Krankheiten wieder einzudämmen und handhabbar zu machen? Und sobald politische Maßnahmen beschlossen werden, wie wirken sich diese auf die betroffene Gesellschaft und ihre Menschen aus? Das sind einige der Aspekte, mit denen sich die Ausstellung anschließend in den oberen Stockwerken beziehungsweise den Themenpunkten „Politik“ und „Gesellschaft“ epochenübergreifend auseinandersetzt.
Der Blick zurück nach vorn
Für die Recherche zum Ausstellungsmaterial hat sich das Team von „STAYIN‘ ALIVE“ nicht nur auf Quellen aus dem Internet, wie aktuelle Fachartikel und Medienberichte, verlassen, sondern auch historische Quellen aus der Universitätsbibliothek oder dem Stadtarchiv, wie zum Beispiel Pesttraktate oder Choleraberichte, durchforstet. Dadurch erwarten die BesucherInnen der Ausstellung neben einer globalen Perspektive, welche dem Thema „Pandemie“ zwangsweise innewohnt, zusätzlich auch Informationen mit sehr lokalem – sprich Konstanzer – Bezug. „Wir fanden es spannend, auch darauf einzugehen, wie hier vor Ort, in Konstanz und Umgebung, in der Vergangenheit mit Seuchen und Pandemien umgegangen wurde – zum Beispiel zu Zeiten der Pest oder der Spanischen Grippe“, erklärt Rietzschel.
Die Ausstellung ermöglicht durch ihre Vielseitigkeit einen Zugang zum Thema Seuchen und Pandemien, der tiefreichender ist als die derzeit bestehende Omnipräsenz der „Corona-Pandemie“ in den Medien. Insbesondere durch die historische Perspektive bietet die Ausstellung in der aktuellen Situation vielleicht sogar etwas Tröstliches, so Priesmeyer: „Wer unsere Ausstellung besucht, wird feststellen, dass das, was wir gerade durchleiden – die Ungewissheit, die Isolation, die Zunahme sozialer Ungleichheit – kein Alleinstellungsmerkmal der Corona-Pandemie ist. All das haben Gesellschaften vor uns bereits ähnlich durchgemacht und letztendlich erfolgreich überwunden.“ Der Blick auf vergangene Seuchen und Pandemien und das, was darauf folgte, liefert so womöglich auch Anregungen und Perspektiven für unsere eigene Gegenwart und Zukunft.
Neue Formen der Wissensvermittlung
Was die BesucherInnen der Ausstellung trotz der teils historischen Perspektive laut Organisationsteam nicht erwartet, ist eine „eingestaubte“ Museumsatmosphäre. „Die Ausstellung bietet einen sehr jungen Zugang zum gewählten Thema. Dabei haben wir Museum und Ausstellung ästhetisch und modern gedacht – mit Technikeinsatz unter Einbezug der neuen Medien“, beschreibt Musch das Design- und Kommunikationskonzept von „STAYIN‘ ALIVE“.
Tatsächlich werden alle BesucherInnen im Empfangsbereich des IMPF zunächst mit einem Tablet ausgestattet, welches es ermöglicht, die Ausstellung interaktiv zu erleben. Selbstredend werden die Tablets dabei zwischen einzelnen BesucherInnen gründlich gereinigt und desinfiziert. Die Tablets ergänzen die analogen Ausstellungsexponate gleich mehrfach: Bei Interesse an einem speziellen Ausstellungsthema, das über die Texttafeln an den Exponaten hinausgeht, können die BesucherInnen über das Tablet zum Beispiel auf weiterführende Informationsebenen zugreifen.
Über die Kamera im Tablet besteht an manchen Exponaten außerdem die Möglichkeit, diese durch „Augmented Reality“ – also eine computergestützte Erweiterung der Realität – zu erleben. So befindet sich zum Beispiel auf der Ebene „Wissenschaft“ – im ersten Obergeschoss – eine schaufensterpuppenähnliche Körperattrappe, auf die sich Informationen zu den Symptomen unterschiedlicher Krankheiten projizieren lassen.
BesucherInnen werden Teil der Ausstellung
Darüber hinaus können die BesucherInnen der Ausstellung mithilfe des Tablets sogar ihre eigenen Gedanken preisgeben – sofern sie das möchten. Insbesondere auf der Ausstellungsebene „Gesellschaft“ wird durch Fragen zu Schlagwörtern wie „Spaltung“, „Isolation“, „Zweifel“ aktiv zum Gedankenaustausch animiert. Zusätzlich gibt es eine digitale Pinnwand, auf der die BesucherInnen ihre Meinungen und Kommentare zur Ausstellung und dem behandelten Thema für andere sichtbar hinterlassen und so selbst Teil der Ausstellung werden können.
„Uns war es wichtig, dass die BesucherInnen nicht einfach mit Informationen beliefert werden, sondern dass in gewisser Weise eine aktive Auseinandersetzung mit den Ausstellungsinhalten und ein Austausch stattfinden. Wir möchten zur Reflektion über die eigene Situation anregen und zum Nachdenken darüber, wie die Menschheit vielleicht in hundert Jahren auf die derzeitige Pandemie blickt und sich erinnert“, schließt Priesmeyer.
Die Ausstellung „STAYIN‘ ALIVE – Mit Seuchen leben“ kann noch bis zum 03. Oktober 2021 immer dienstags bis sonntags im Turm zur Katz (Wessenbergstraße 43, 78462 Konstanz) besucht werden. Informationen zu den genauen Öffnungszeiten und tagesaktuelle Informationen zu möglichen Änderungen der Zugänglichkeiten entnehmen Sie bitte der offiziellen Website der Ausstellung www.stayin-alive.info oder des Turm zur Katz www.turmzurkatz.de.