Risikobewertung neu denken: tierversuchsfrei und über Fachgrenzen hinaus
Prof. Dr. Daniel Dietrich und sein Team möchten herausfinden, was zur Toxinbildung innerhalb der Blaualge und zu den toxischen Blaualgenblüten führt und wie sich daraus eine Risikoabschätzung für den Menschen erstellen lässt. „Wir versuchen beispielsweise mittels größerer Projekte in der Antarktis herauszufinden, ob der Klimawandel zur Vermehrung von toxinproduzierenden Spezies führen kann und ob wir deshalb künftig vermehrt mit Blaualgenblüten zu rechnen haben.“ Hierzu arbeiten er und sein Team eng mit dem Umweltbundesamt in Berlin und der WHO in Genf zusammen. Unter anderem war Daniel Dietrich maßgeblich an der Erstellung der neuen Richtlinie der WHO zu Cyanobakterientoxinen beteiligt.
© PixabaySee mit Blaualgen
Um zu erforschen, wie sich diese und weitere Substanzen in welcher Konzentration auf den menschlichen Organismus auswirken und mit ihm interagieren, ist der Einsatz von Organoiden unerlässlich: „Tierversuche reichen in diesem Fall nicht aus. Ratten beispielsweise scheiden Ochratoxin-A innerhalb von 20 Stunden aus“, sagt Daniel Dietrich. „Beim Menschen dauert das über 500 Stunden. Ebenso bei den Microcystinen: Der Mensch reagiert hier um ein Wesentliches empfindlicher als Mäuse oder Ratten, was die traditionelle Risikoabschätzung aufgrund von Tierversuchen erheblich infrage stellt.“ Um die Auswirkungen auf den menschlichen Körper bestimmen und geeignete Maßnahmen zur Risikominimierung ergreifen zu können, müssen die entsprechenden Substanzen daher auch am menschlichen System getestet werden. Auch aus diesem Grund strebt Daniel Dietrich einen noch engeren Schulterschluss mit seinen KollegInnen an der Universität Konstanz an, um gemeinsam Techniken und Technologien im Zusammenhang mit Organoiden zu entwickeln und zu nutzen.
Auch auf dem Gebiet der in-silico-Methoden findet diese Zusammenarbeit bereits statt. So kooperiert die AG Dietrich mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Falk Schreiber (Fachbereich Informatik und Informationswissenschaft an der Universität Konstanz), um anhand von entsprechenden Computermodellen vorherzusagen, welche Reaktionen die einzelnen, über 275 Strukturvarianten von Microcystinen im menschlichen Körper hervorrufen. In langjähriger Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Valentin Wittmann (Fachbereich Chemie an der Universität Konstanz) entwickelt Daniel Dietrich außerdem eigene synthetische Strukturvarianten der betreffenden Toxine, um eine bessere Analytik zu ermöglichen: „Wir möchten möglichst genau nachvollziehen, wie ein bestimmter Stoff im Körper verteilt wird und sich dort auswirkt“, so Daniel Dietrich. „Ziel ist hier wie grundsätzlich, innerhalb des Fachbereiches Biologie und über die Fachbereichsgrenzen hinaus weiter zu denken, um so auch als Universität schlagkräftig agieren und eine wirkliche Verbesserung für betroffene Menschen erzielen zu können.“
Um die bereits erwähnte Problematik der mangelhaften Voraussagekraft von Tiermodellen bei der Entstehung von Nierentoxizität zu begegnen, ist das Team der AG Dietrich seit ca. acht Jahren in einem Kooperationsprojekt mit dem Unternehmen Boehringer-Ingelheim in Biberach an der Riß entwickelnd und forschend tätig. Dabei geht es um die Entwicklung von menschlichen Nierenmodellen unter Durchfluss-Bedingungen (Microfluidics), welche die menschliche Niere in ihrer Funktion und Reaktion auf Giftstoffe so realistisch wie möglich abbilden. Hierbei werden auch komplett neue Wege beschritten, wie der Einsatz von physiologischem Umgebungssauerstoff in den Kulturkammern, eine Technik welche in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Baker-Ruskinn weiterentwickelt wurde.
Die hierfür erforderlichen menschlichen Zelltypen wurden im Kooperativen Promotionskolleg InViTe (siehe „Toxikologie und Zelltodforschung an der Universität Konstanz – ein Überblick“) charakterisiert und die entsprechend notwendigen ersten Microfluidics Prototoypen sind in der Produktion. Dieses neue Nierenmodell wird zur Erfassung der Nierentoxizität von „repurposed Drugs“ (siehe „Der Zelltod als Krankheitsbeschleuniger“) im EU-ITN „DrugTrain“ Projekt verwendet. Diese Pharmaka sollen zur Behandlung von polyzystischer Nierenerkrankung (PKD), eine vererbbare Erkrankung des Nieren-Sammelgangs, zum Einsatz kommen.
Das Projektkonsortium, unter der Leitung des medizinischen Zentrums in Leiden, Holland, hat zum Ziel, mittels in-silico, in-vitro und microfluidics Ansätzen eine neue Behandlung von PKD mit möglichst geringen Nebenwirkungen in der Niere zu entwickeln. Von großem Interesse ist aber auch die Erforschung der glomerulären und tubulären Effekte von Diabetes mellitus Typ 2 bzw. der zur Behandlung genutzten Therapeutika, sowie die Erfassung der Nierentoxizität von Kontrastmittel und Tumortherapeutika, welche in einer Kollaboration mit Boehringer-Ingelheim und weiteren Pharmaunternehmen untersucht wird.