Zum fünften Mal in Folge: Iain Couzin als Highly Cited Researcher ausgezeichnet

Fünf Fragen zur Zahl Fünf mit dem Kollektivverhaltensforscher Iain Couzin.

2018, 2019, 2020, 2021 und nun auch 2022: Der Konstanzer Kollektivverhaltensforscher Iain Couzin wird zum fünften Mal in Folge in die jährlich veröffentlichte Liste der Global Highly Cited Researchers aufgenommen, die von Clarivate Analytics organisiert wird. Diese Liste zeichnet die meistzitierten WissenschaftlerInnen ihres Forschungsbereichs aus, die mehrere Arbeiten veröffentlicht haben, die im Zitationsindex von Web of Science nach Fachgebiet und Veröffentlichungsjahr unter den besten 1 % der Zitationen rangieren.

Mit fünf Fragen zur Zahl Fünf führte campus.kn ein Interview mit Iain Couzin, Sprecher des Exzellenzclusters Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour (CASCB), Direktor des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie (MPI-AB) und Professor am Fachbereich Biologie der Universität Konstanz.
 

1. Herr Couzin, was verbinden Sie mit der Zahl Fünf?

Als spontane Assoziation kommen mir zwei ziemlich unterschiedliche Songs in den Sinn – die für mich beide eine wichtige Rolle spielten: „Five Years“ von David Bowie über eine bevorstehende Apokalypse und „Five Little Monkeys Jumping On The Bed“, was meine Kinder uns ununterbrochen singen ließen, als sie klein waren. Nur einer von beiden ist auf meiner Spotify-Playlist.

https://youtu.be/8gPSGrpIlkc

David Bowie - Five Years (Old Grey Whistle Test, 1972)

2. Welche fünf Techniken oder Einrichtungen sind aus Ihrer Sicht am wichtigsten, um kollektives Verhalten zu untersuchen?

1) Wir führen derzeit neuartige Experimente mit Heuschreckenschwärmen im Imaging Hangar durch und bauen eine Reihe neuer Technologien für die Untersuchung von Neurobiologie und Verhalten im Forschungsgebäude „Centre for Visual Computing of Collectives“ (VCC) auf. Dies ist die weltweit beste Forschungseinrichtung für Tierverhalten, ohne Ausnahme.

Centre for Visual Computing of Collectives VCC

2) Als ich mir selbst das Programmieren beibrachte, hatte ich keine Ahnung, dass es so kreativ und lohnend sein würde. Es ermöglicht dir, deine Vorstellungen in unerwarteter und faszinierender Weise zu erweitern.

3) Immersive „holografische“ virtuelle Realität für Tiere ermöglicht uns, radikal neue Einblicke in die Art und Weise zu gewinnen, wie Tiere Raum und Zeit verstehen.

4) Das automatisierte Tracking aller Tiere, auch in großen Kollektiven und in freier Wildbahn, ist in den letzten Jahren möglich geworden. Software wie „TRex“ – entwickelt in Konstanz – hat die Grenzen dessen, welche kollektiven Phänomene wir untersuchen können, durchbrochen.

5) Der Biergarten – ein Ort, an dem Bier und Ideen freien Lauf nehmen können. Nicht so gut wie ein britischer Pub, aber dicht dahinter.

Biergarten der Universität Konstanz

3. Kollektives Verhalten ist überall um uns herum oder sogar in uns. Welche fünf kollektiven Situationen würden Sie gerne noch erkunden?

1) Die Zusammenführung unseres Verständnisses von kollektivem Verhalten, von den kollektiven Prozessen von Neuronen bis hin zur individuellen und kollektiven Entscheidungsfindung. Dies erfordert eine umfassende Zusammenarbeit mit den NeurowissenschaftlerInnen unserer Universität Konstanz.

2) Ich wollte schon immer das kollektive Verhalten von Büffeln untersuchen, da sie so außergewöhnliche kollektive Verhaltensweisen zeigen, einschließlich einer koordinierten Verteidigung gegen Löwen.

3) Die Geschwindigkeit und Koordination der kollektiven Reaktion in riesigen Meeresfischschwärmen ist bemerkenswert, und ich würde gerne die sensorische Grundlage ihrer Reaktion verstehen. Ich vermute, dass sie überraschende neue Mechanismen der Wahrnehmung und Reaktion untereinander anwenden, die unser Verständnis von Kollektiven verändern könnten.

4) Seit langem habe ich vor zu untersuchen, wie Tiere das kollektive Gedächtnis durch die Modifikation ihrer Umwelt kodieren können. Besonders interessant ist die artübergreifende und generationenübergreifende Kommunikation, indem zum Beispiel in einem dynamischen Prozess gemeinsame Wegesysteme angelegt werden.

5) Ich hoffe, dass wir in der Lage sein werden, vielschichtige Studien über Heuschrecken durchzuführen, die es uns ermöglichen, besser vorherzusagen, wo und wann sich Schwärme bilden und wie sie kontinentweit wandern. Angesichts der Tatsache, dass Heuschrecken den Lebensunterhalt von einem von zehn Menschen auf unserem Planeten beeinträchtigen, ist dies ein gutes Beispiel dafür, wie Wissenschaft einen großen gesellschaftlichen Einfluss haben kann.
 

4. Zum fünften Mal in Folge werden Sie nun als Highly Cited Researcher ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen dieser Erfolg?

Ich freue mich, dass unsere Forschung immer wieder als einflussreich anerkannt wird. Es unterstreicht auch, wie Interdisziplinarität uns dabei helfen kann, die Welt durch neue Augen zu sehen.

Iain Couzin

 

5. Was sind Ihre fünf meistzitierten Forschungsartikel?

© Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie

1) Couzin, I. D., Krause, J., Franks, N. R., & Levin, S. A. (2005) Effective leadership and decision-making in animal groups on the move. Nature433(7025), 513-516.
Hier zeigten wir, wie Führung in Gruppen entstehen kann und wie mobile Tiergruppen effektiv eine fluidähnliche Recheneinheit sind, die in der Lage ist, hochwirksame Konsensentscheidungen zu treffen, selbst wenn Einzelpersonen nicht zählen, nicht abstimmen, sich nicht gegenseitig anerkennen oder sogar nicht wissen können, ob jemand anderes in der Gruppe ihnen zustimmt oder widerspricht.

2) Couzin, I. D., Krause, J., James, R., Ruxton, G. D., & Franks, N. R. (2002) Collective memory and spatial sorting in animal groups. Journal of Theoretical Biology218(1), 1-11.
Von angeseheneren Zeitschriften zuvor abgelehnt, mit den brutalsten Rezensionen, die ich je hatte, wurde dieses Paper inzwischen über 2.000 Mal zitiert. Die Publikation ist heute als „Couzin-Modell“ bekannt. Sie zeigt, wie einfache, lokale Regeln die Bildung unterschiedlicher Gruppenstrukturen erklären können und wie die Gruppe Informationen speichert – also ein vom individuellen Gedächtnis unabhängiges Kollektivgedächtnis aufweist – und wie interindividuelle Verhaltensunterschiede es Individuen ermöglichen können, ihren Aufenthaltsort innerhalb von Gruppen durch „Selbstsortierung“ zu regulieren, ohne dass sie ihre tatsächliche Position kennen müssen.

3) Buhl, J., Sumpter, D. J., Couzin, I. D., Hale, J. J., Despland, E., Miller, E. R., & Simpson, S. J. (2006) From disorder to order in marching locusts. Science312(5778), 1402-1406.
Wir haben gezeigt, dass massive, koordinierte Gruppen – wie Heuschreckenschwärme, die zur Plage werden – spontan entstehen, sobald eine kritische Bevölkerungsdichte erreicht ist, und dass Richtungsinformationen über große Entfernungen fließen können, selbst wenn die sozialen Interaktionen äußerst lokal sind.

4) Katz, Y., Tunstrøm, K., Ioannou, C. C., Huepe, C., & Couzin, I. D. (2011) Inferring the structure and dynamics of interactions in schooling fish. Proceedings of the National Academy of Sciences108(46), 18720-18725.
Dies war die erste anspruchsvolle experimentelle Studie zur Struktur von Interaktionen in Fischschwärmen. Wir zeigten, dass traditionelle Modelle des kollektiven Verhaltens sowohl zu kompliziert als auch unfähig waren, wichtige biologische Befunde zu erklären. Dies ermöglichte es uns, anschließend eine verbesserte Kollektivtheorie zu entwickeln.

5) Berdahl, A., Torney, C. J., Ioannou, C. C., Faria, J. J., & Couzin, I. D. (2013) Emergent sensing of complex environments by mobile animal groups. Science339(6119), 574-576.
In dieser Arbeit haben wir eine neue Form der kollektiven Wahrnehmung entdeckt, die wirklich emergent ist. Diese Wahrnehmung findet auf Ebene des Kollektivs statt, obwohl kein Individuum der Gruppe dazu allein in der Lage wäre. Dies ermöglicht es Individuen in Gruppen, sehr starke, weitreichende Umweltgradienten (wie chemische Hinweise, Temperatur und Licht) zu spüren. Später wurde festgestellt, dass dies ein Mechanismus ist, durch den Zellen kollektiv wandern können. Darüber hinaus lieferte der Mechanismus die Grundlage für ein hochwirksames Kontrollgesetz, das heute allgemein bei Robotern für deren kollektive Wahrnehmung eingesetzt wird.

Bildnachweis: Elisabeth Böker, Universität Konstanz / Axel Giersch, Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie

 

Elisabeth Böker

Von Elisabeth Böker - 25.11.2022