Tennisclub trifft Wissenschaft
Skippings, Counter-Movement-Jumps, Tappings – wer hier nur Bahnhof versteht, dürfte sich in der Mehrheit befinden. Auch den Mitgliedern des Tennisclubs Dettingen-Wallhausen dürfte es so ergangen sein, als sie Bekanntschaft machten mit den Sprungelementen. Die Übungen sind Teil eines Trainings, das in der Arbeitsgruppe des Sportwissenschaftlers Markus Gruber ursprünglich für die Raumfahrt entwickelt wurde, wo wenig Platz und Zeit für Körpertraining bleibt. Doch es muss sein, um der Rückbildung von Muskulatur in der Schwerelosigkeit entgegenzuwirken.
„Ich fand die Idee phantastisch und habe die anderen motiviert mitzumachen. Die Bereitschaft dazu war gleich sehr hoch. Die Leute waren begeistert.“
Annelise Beck-Frick, Erste Vorsitzende des Tennisclubs Dettingen-Wallhausen und Studienteilnehmerin
Das gleiche gilt auch für die Menschen, die der Schwerkraft ausgesetzt sind. Bewegung ist unerlässlich für die Gesundheit. Das Problem: Hinter der scheinbar einfachen Wahrheit stecken denkbar komplexe Funktionen, die noch viel Forschung benötigen. „Medikamente werden in bestimmten Dosen verabreicht, die im Vorfeld in kostenintensiven und langwierigen klinischen Studien herausgearbeitet wurden. In der Sportwissenschaft könnte man den Begriff Dosis als Produkt von Trainings- und Belastungsvariablen wie Intensität, Dauer, Häufigkeit und Sportart verstehen. Der Zusammenhang von Dosis und ihrer Wirkung, von körperlicher Aktivität und einigen Gesundheitsergebnissen vor allem auf individueller Ebene, muss weiter erforscht werden“, umschreibt es Maria Moreno. Zumal wenn es sich um den Personenkreis Ü-60 handelt, den die Biologin im Fach Sportwissenschaft mit ihrer aktuellen Pilotstudie fokussiert hat.
ProbandInnen gesucht und gefunden
Eine nicht unwesentliche Rolle spielt in dem Zusammenhang, dass die Ex-Leistungssportlerin zu den Mitgliedern des Tennisclubs Dettingen-Wallhausen gehört. Irgendwann ließ sie im Club des Konstanzer Vororts die Bemerkung fallen, dass sie ProbandInnen für eine Studie suche, die die Effizienz eines Sprungtrainings für die Gesundheit älterer Menschen testet. Das kam Anneliese Bek-Frick, der Ersten Vorsitzenden, zu Ohren, die ihr ab sofort keine Ruhe mehr ließ: „Ich fand die Idee phantastisch und habe die anderen motiviert mitzumachen. Die Bereitschaft dazu war gleich sehr hoch. Die Leute waren begeistert," erinnert sie sich. Für die Wissenschaftlerin ein Luxus, auf derart motivierte Studienteilnehmenden zurückgreifen zu können.
Gleichgewicht, Kraft, Herzkreislauf, Lungenkreislauf, Sauerstoff, Gangmuster, Konzentration, Gedächtnis, Blutdruck und sogar Schlafqualität – so lauten nur einige der Parameter, die mit der Studie untersucht werden. „Ich hatte ein Problem mit dem Knie. Nach den Übungen habe ich kaum noch Schmerzen und kann auch besser Treppen steigen“, sagt Studienteilnehmerin Marianne Rinke. Und Helmut Grathwohl meint: „Ich habe mich gefreut, bei dieser Geschichte mitmachen zu können. Weil es mir persönlich ganz gutgetan hat.“
„Ich hatte ein Problem mit dem Knie. Nach den Übungen habe ich kaum noch Schmerzen und kann auch besser Treppen steigen."
Marianne Rinke, Studienteilnehmerin
„Ich habe mich gefreut, bei dieser Geschichte mitmachen zu können. Weil es mir persönlich ganz gutgetan hat.“
Helmut Grathwohl, Studienteilnehmer
Die rekrutierten 18 Clubmitglieder gehören besagter Altersgruppe über 60 an. Sie absolvierten für die Pilotstudie zu Hause das High Intensity Interval Training, kurz HIIT, das ursprünglich nur Astronauten fit machen sollte.
Je kürzer das Training ist, desto besser
Die Zielgruppe vom Maria Moreno sind eigentlich ältere Menschen, die aus welchen Gründen auch immer wenig Bewegung haben, nicht Aktive wie die Clubmitglieder des TC Dettingen-Wallhausen. „Wir denken an Ältere, die vielleicht ein bisschen abseits wohnen und vielleicht kein Auto haben, um in eine Sportstunde zu fahren. Leute, die sich bewegen würden, wenn es nicht mit so viel Umständen für sie verbunden wäre. Sie müssen die Übungen von der Zeit und von der Anstrengung her als machbar empfinden. Wir wollen so wenig Hürden aufbauen wie möglich. Deshalb: Je kürzer das Training ist, desto besser.“ So erklärt die Biologin das Konzept dahinter.
Nochmals: Bewegung im Alter ist im Grunde genauso wichtig wie in der Raumfahrt. Wolfgang Zintl, Tennisclub-Mitglied und Allgemeinmediziner im Ruhestand, der neben seiner Studienteilnahme auch seine Expertise in die medizinische Betreuung der Testteilnehmenden einbrachte, beschreibt es so:
„Je inaktiver ältere Menschen sind, desto größer ist die Gefahr von Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen sowie Kraftminderung. Von dem Training kann solch eine inaktive Gruppe sehr profitieren. Die Beweglichkeit und Sicherheit im Alltag bleiben länger erhalten."
Wolfgang Zintl, Studienteilnehmer und medizinischer Betreuer
Ein Trainingsvideo hilft beim Training
„Unser Training ist nicht so aufwändig, es braucht nicht viel Zeit, die Menschen müssen nicht außer Haus und brauchen kein Gerät. Es geht darum, dass das Herz bei diesen Übungen auf sein maximales Level kommt“, sagt Maria Moreno. Und das idealerweise dreimal die Woche für 20 Minuten. Das HIIT sieht je 20 Sekunden Belastung durch fünf Sprungübungen vor, nach denen je 40 Sekunden Pause folgen.
Die Studienteilnehmenden wurden zunächst ins Training eingeführt, dann konnten sie die Übungen selbst zu Hause machen, auch mit Hilfe eines von der Studentin Anna-Lena Öchsle selbsterstellten Trainingsvideos. Clubmitglied Patricio Muñoz war zunächst skeptisch:
„Am Anfang habe ich gelacht. 20 Sekunden aktiv und 40 Sekunden Pause. Richtig was für Rentner. Aber dann fand ich es so gut, dass ich auch nach der Studie weitergemacht habe.“
Patricio Muñoz, Studienteilnehmer
Das Training ist mit Absicht in reduzierter Form konzipiert, um auch die weniger motivierte und weniger bewegungsaktive Kontrollgruppe, mit der nun die Studie fortgesetzt wird, nicht zu überfordern. Dass es sich bei dem Sprungtraining nicht um ein klassisches Ausdauertraining handelt, ist nicht nur wegen der größeren Barrierefreiheit gewollt. Die Studie soll nachweisen, dass das Training, das kürzer und intensiver als zum Beispiel Joggen ist, genauso gut den Kreislauf fördert. Deshalb war bei den Belastungstests im neuen Human Performance Research Centre (HPRC) der Arbeitsgruppe Gruber auch immer der Kardiologe Helmut Schott anwesend, ebenfalls ein Freiwilliger.
https://www.youtube.com/watch?v=CDSFoLt96Q0
Neben der AG für Trainings- und Bewegungswissenschaft von Markus Gruber gehören auch die AG für Sportpsychologie von Julia Schüler und – über die technische Assistentin Petra Thimm – der Fachbereich Biologie zu den kooperierenden Einrichtungen.
Vielversprechende Ergebnisse
Die Ergebnisse der sechswöchigen Pilotstudie sind für Maria Moreno, die im HPRC das Labor für Leistungsphysiologie leitet, und ihr Team in vielerlei Hinsicht vielversprechend und empfehlen das HIIT für ältere Menschen als pragmatische Alternative. „Im Durchschnitt zeigen unsere Daten eine verbesserte kognitive Leistung und Herz-Kreislauf-Funktion. Besonders hervorzuheben ist die Verbesserung der Bewegungsgeschwindigkeit und der Koordination des Unterkörpers. Die Kraft der Beinmuskulatur hat sich verbessert, was für ältere Menschen sehr wichtig ist, weil davon abhängt, wie gut und sicher sie laufen und, falls Sie dennoch einmal stolpern, wie gut sie sich abfangen können.“ Auch kognitive Parameter etwa zum Arbeitsgedächtnis oder zur Einstellung gegenüber Anstrengung haben sich nach dem aktuellen Erkenntnisstand verbessert.
© Maria MorenoMaria Moreno (links) leitet das Labor für Leistungsphysiologie am Human Performance Research Centre der Universität Konstanz. Hier ist sie gemeinsam mit der Studentin Anna-Lena Öchsle (rechts), die auch das Trainingsvideo produziert hat, bei gemeinsamen Auswertungsarbeiten.
Letztlich geht es Maria Moreno aber um die komplexen Funktionen, die hinter der Binsenwahrheit stecken, dass Sport die Gesundheit fördert. So gilt ebenso als gesichertes Wissen, dass Sport bestimmten Krebserkrankungen vorbeugt und bei Krebstherapien hilft. Eine Chemotherapie zum Beispiel schlägt besser bei Menschen an, die Sport treiben. Die Biologin möchte die molekularbiologischen Zusammenhänge solcher Phänomene verstehen. Insbesondere bei älteren Menschen ist hier der Forschungsbedarf groß.
https://www.youtube.com/watch?v=KA2bxLJ42NA
Was ihre Studie einzigartig macht: Sie sucht nach bestimmten molekularen Signalwegen und zellulären Regulationsmechanismen, die anzeigen, wie das menschliche Immunsystem auf Sport reagiert. Das gibt es bislang nicht. Wie wirkt dieses Training bzw. in welcher Verbindung stehen diese zellulären Mechanismen mit dem Immunsystem? „Dass das Immunsystem besser reagiert, wenn man Sport macht, ist kein Geheimnis. Aber warum sollte eine Zelle im Immunsystem gestärkt werden, wenn ich laufe? Wie ist die Verbindung zwischen sportlicher Aktivität und Immunsystem? Welche Moleküle spielen dabei eine Rolle?“ Fragen, denen die Biologin nachgehen wird. Vielleicht lässt sich doch irgendwann einmal genau sagen, wie viele Skippings, Counter-Movement-Jumps oder Tappings gut für den Kreislauf und das Immunsystem sind.
Titelbild: Nicht nur die Mitglieder des Tennisclubs Dettingen-Wallhausen waren begeisterte Studienteilnehmende. Auch das von Maria Moreno geleitete wissenschaftliche Team aus der Sportwissenschaft, Biologie und Sportpsychologie profitiert von den zahlreichen Messungen. Untere Reihe: Francisco Campoverde (Masterstudent), Petra Thimm (technische Assistentin im Fachbereich Biologie), Anna-Lena Öchsle (Masterstudentin), Maria Moreno, Jonas Thimm (HiWi). Obere Reihe: Jonathan Wientges (HiWi); Wolfgang Zintl (Tennisspieler), Philipp Barzyk (Doktorand), Patricio Muñoz (Tennisspieler), Marianne Rinke (Tennisspielerin), Anneliese Bek-Frick (Tennisspielerin und Club-Vorsitzend), Helmut Grathwohl (Tennisspieler). Copyright: Maria Moreno