Ankommen in Konstanz – im Interview mit Chemikerin Lena Barra
Frau Barra, Sie kamen aus der Metropole Tokyo an den beschaulichen Bodensee. Was hat Sie dazu bewogen, sich in Konstanz zu bewerben?
Ich muss ehrlicherweise gestehen: Als gebürtige Norddeutsche hatte ich Konstanz als Ort auf der Landkarte erstmal nur grob auf dem Schirm. Ich kannte aber bereits einige der Konstanzer WissenschaftlerInnen beziehungsweise ihre Forschung und wusste, dass ich hier inhaltlich Anschluss finden würde. Und dann war da noch die Tatsache, dass in Konstanz die Fachbereiche Biologie und Chemie unglaublich eng verzahnt sind und fächerübergreifend an großartigen Projekten arbeiten. Das war für mich, die ich mich mit meinen Forschungsinteressen zwischen der Chemie und der Biologie bewege, ziemlich attraktiv. Denn schon mein eigenes Team ist sehr interdisziplinär und passt daher wunderbar in dieses Konzept: Wir haben eine Molekularbiologin, eine Chemikerin, jemanden, der chemische Biologie studiert hat, und eine Person mit pharmazeutischem Background.
Gab es weitere ausschlaggebende Punkte, die für die Universität Konstanz sprachen?
Dass ich den Ruf nach Konstanz letztendlich angenommen habe – ich war in der luxuriösen Situation, noch einen weiteren Ruf erhalten zu haben – hing auch mit meinen Erfahrungen während des Berufungsverfahrens zusammen. Ich war wirklich beeindruckt, wie das in Konstanz abgelaufen ist. Es wurde sich sehr viel Zeit genommen, und ich konnte sowohl die Studierendenschaft als auch viele zukünftige KollegInnen in Einzelgesprächen kennenlernen, beispielsweise Andreas Marx oder Jörg Hartig. Und so konnten wir uns im Vorfeld bereits austauschen, und ich habe nützliche Einblicke bekommen, was in Konstanz an Forschungsprojekten läuft und was die Vision der BiologInnen und ChemikerInnen hier ist. Und ich habe schnell gemerkt, dass ich da sehr gut reinpasse und dass auch echtes beiderseitiges Interesse an der jeweils anderen Person und ihrer Forschung besteht.
Lena Barra ist im Mai 2022 auf eine Tenure-Track-Professur für Systemische Chemische Biologie an die Universität Konstanz berufen worden und leitet dort seit 2023 die Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe „Identifizierung und biosynthetische Untersuchungen von NAD-abgeleiteten Naturstoffen“. Gefördert wird ihre Professur durch das Tenure-Track-Programm von Bund und Ländern.
Können Sie uns kurz skizzieren, worum es in Ihrer Forschung geht?
Sehr gerne. Ganz einfach gesprochen, interessiere ich mich für die Entdeckung neuer Enzymchemie. Enzyme könnte man als die ChemikerInnen der Zelle bezeichnen. Sie setzen in unseren Zellen chemische Substanzen um und bauen neue auf – und das sehr effizient. Das macht sie zum Beispiel als Biokatalysatoren für nachhaltige Herstellungsprozesse von Wirkstoffen und Feinchemikalien sehr interessant. Wenn man Enzyme jedoch als ernsthafte Alternative bzw. Ergänzung zur klassischen Chemie verwenden möchte, dann braucht es einen ganzen Werkzeugkasten mit vielen unterschiedlichen Enzymen und Reaktivitäten. Und danach suchen wir.
Und wo sucht man danach?
Hier kommt jetzt mein wissenschaftlicher Background als Naturstoff-Chemikerin ins Spiel, denn wir suchen in den Biosynthesewegen von Naturstoffen. Wie der Name erahnen lässt, sind das Stoffe oder Verbindungen, die man in der Natur findet und die zum Beispiel von Pflanzen, Bakterien oder Pilzen hergestellt werden. Es handelt sich dabei oft um sehr potente Wirkstoffe, weshalb viele Naturstoffe als Arzneimittel verwendet werden. Antibiotika sind beispielsweise fast zu drei Vierteln naturstoff-basiert. Naturstoffe zeichnen sich aber auch durch ihre interessanten und komplexen Strukturen aus. Da stellt sich bei Betrachtung unweigerlich die Frage: Wie macht die Natur das? Und dann schließt sich der Kreis zur Enzymchemie, denn die Herstellung dieser Naturstoffe in den Organismen, die wird durch Enzyme vermittelt. Und weil die Naturstoffe so komplexe Strukturen aufweisen, findet man häufig sehr ungewöhnliche Herstellungswege und eine super spannende enzymvermittelte Chemie dahinter. Die möchten wir finden, aufklären und im Idealfall auch für biokatalytische Anwendungen nutzen.
Das ist methodisch wahrscheinlich extrem aufwändig?
Es sind einfach sehr viele Ebenen, die es zu betrachten gilt. Da geht es dann zum Beispiel um die Identifizierung neuer Naturstoffe, die Aufklärung der genetischen und enzymatischen Basis ihrer zellulären Herstellung und die anschließende Untersuchung der spezifischen Enzym-Mechanismen. Und jede dieser Ebenen ist mit ganz speziellen Forschungsmethoden verknüpft. Deshalb ist mein Team selbst ja auch bereits sehr breit aufgestellt. Es gibt an der Universität Konstanz aber auch geteilte Forschungsinfrastruktur, die sogenannten Core Facilities, wie unser Proteomics Centre oder unsere Sequencing Analysis Core Facility. Dadurch habe ich Zugriff auf Geräte und Know-how, die ich mir alleine gar nicht leisten könnte. Und dann sind da natürlich auch noch die diversen Kooperationsmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, dass hier das gegenseitige Interesse so groß ist und die Wege an der Universität Konstanz so kurz und unkompliziert sind.
Wir möchten beispielsweise mit der Strukturbiologin Olga Mayans aus der Biologie zusammenarbeiten, die die gesamte Infrastruktur und das Know-how für die Erforschung der räumlichen Struktur neu-entdeckter Enzyme mitbringt und die mir von Beginn an Interesse an einer Forschungskooperation signalisiert hat. Eine weitere Kooperation ist mit Tanja Gaich aus der Chemie geplant, bei der wir organisch-chemische Methoden mit enzymatischen Reaktion kombinieren und so neue und nachhaltige Ansätze für die Herstellung von Wirkstoffen erforschen wollen. Oder Dieter Spiteller aus der Biologie. Der interessiert sich genau wie mein Team und ich für Naturstoffe, allerdings aus ökologischer Sicht. Für Fragen wie: Was ist die Funktion dieser Moleküle im biologischen Kontext? Dieter Spiteller ist da methodisch sehr breit aufgestellt und wir dürfen großartigerweise vieles in seinem Labor mitbenutzen.
Dann stehen Sie also mit einem Bein im Fachbereich Biologie?
Ja, ohne Frage, und mit dem anderen fest in der Chemie: Es gibt zum Beispiel eine Anbindung an die Arbeitsgruppe von Jörg Hartig, der an ähnlichen Enzym-Familien interessiert ist wie ich. Oder an die Gruppe von Andreas Marx. Wir haben beispielsweise eine ganz bestimmte Naturstoffklasse im Blick, deren Vertreter aus Nikotinamidadenindinukleotid (NAD) aufgebaut werden und die ich während meines Postdocs entdeckt habe. Es gibt Bakterien, die NAD als Baustein nutzen, um diese Naturstoffe herzustellen. NAD spielt aber auch im Zusammenhang mit Proteinmodifikationen eine wichtige Rolle, für die sich wiederum Andreas Marx in seiner Forschung interessiert. Sie sehen also: Es gibt tatsächlich große Überlappungen und deshalb viele Anknüpfungspunkte für gemeinsame Projekte.
© Lena BarraLena Barra hat einen neue Klasse von Naturstoffen entdeckt, die aus NAD als Grundbaustein bestehen.
Es gibt auch für uns NachwuchswissenschaftlerInnen bereits sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten. Wir sind zum Beispiel Teil aller wichtigen Besprechungen – seien es die regelmäßigen Professorien oder Treffen zur Planung und Gestaltung zukünftiger Großprojekte und Forschungskonsortien. Ich bin jetzt seit knapp eineinhalb Jahren hier und hatte von Anfang an das Gefühl, sämtliche Freiheiten bezüglich meiner eigenen Forschung zu haben, aber genauso das große Ganze mitgestalten zu dürfen – und das ist hier nicht nur möglich, sondern auch erwünscht."Was aber auch ganz klar hilft, sind die flachen Hierarchien hier an der Universität Konstanz. Die Türen der anderen ArbeitsgruppenleiterInnen stehen mir immer offen – selbst die der etabliertesten Kolleginnen und Kollegen. Und man fühlt sich mit seiner eigenen Meinung und Expertise ernstgenommen und wertgeschätzt."
Lena Barra
Würden Sie also sagen, Sie sind an der Universität Konstanz „angekommen“?
Auf jeden Fall. Ich bin hier allerdings auch auf großartige Hilfsbereitschaft und tolle Unterstützungsangebote getroffen. Und da spreche ich nicht nur von den FachkollegInnen, sondern von der gesamten Universität. Das fängt an beim Facility Management, das bei der Einrichtung meiner Laborräume von sich aus auf mich zukam, um mich zu unterstützen, und reicht bis zum Referat für Gleichstellung, Familienförderung und Diversity, das mir proaktiv Dual-Career-Optionen angeboten hat, oder sehr spezialisierten Einrichtungen, wie dem Welcome Center, das mich bei der Rekrutierung internationaler MitarbeiterInnen unterstützt. Das spart unfassbar viel Zeit und Energie – zwei äußerst wertvolle Ressourcen, wenn sich die eigene Arbeitsgruppe gerade im Aufbau befindet.
Außerdem gibt es ein finanzielles Instrument für NachwuchswissenschaftlerInnen an der Universität Konstanz, von dem ich sehr profitiert habe – den Young Scholar Fund. Das ist so eine Art Startup-Finanzierung für größere Drittmittelprojekte. Mir hat der Fund ganz konkret dabei geholfen, direkt nach meiner Berufung loszulegen bzw. weiterzuarbeiten, während ich auf eine Entscheidung zu meinem Emmy-Noether-Antrag gewartet habe. Als da dann die Begutachtung anstand, konnte ich schon Vorarbeiten hier in Konstanz vorweisen, und das war sicherlich hilfreich. Das „Ankommen“ wurde mir hier also in vielerlei Hinsicht auch leicht gemacht.