Der Korallenschutz, ein Menschenrecht

Um die Korallenriffe vor dem Klimawandel zu retten, schlagen WissenschaftlerInnen eine ungewöhnliche Idee vor: Der Korallenschutz soll zum Menschenrecht erklärt werden. Warum das funktionieren könnte, erklärt der Konstanzer Biologe Christian Voolstra, Präsident der International Coral Reef Society (ICRS).
© Sebastian Szereday, Coralku, Malaysia

Korallen sind vom Aussterben bedroht. Ein großflächiges Korallensterben im Great Barrier Reef sorgte jüngst in diesem Frühjahr für Aufsehen, doch schon in den Jahren zuvor führte die Erwärmung der Ozeane weltweit zu sogenannten Korallenbleichen. Korallenforscher Christian Voolstra von der Universität Konstanz geht davon aus, dass wir bis Ende des Jahrhunderts mehr als 90 Prozent aller Korallen verlieren werden: ein Massensterben von einem der wichtigsten Ökosysteme des Meeres, mit dramatischen Folgen für Millionen Tierarten und Mikroorganismen – und auch für den Menschen.

Christian Voolstra und seine MitstreiterInnen schlagen nun ein ungewöhnliches Mittel vor, um die Korallenriffe zu retten: Der Korallenschutz soll zum Menschenrecht erklärt werden. Im Interview verrät Voolstra, der zugleich Präsident der International Coral Reef Society (ICRS) ist, was Korallen mit Menschenrechten zu tun haben und warum die Maßnahme tatsächlich den Korallenschutz beschleunigen würde. Ein ausführlicher Artikel mit den detaillierten Empfehlungen wurde ferner in der Fachzeitschrift Global Change Biology veröffentlicht.

© Sebastian Szereday, Coralku, Malaysia

Herr Voolstra, was hat der Korallenschutz mit Menschenrechten zu tun?

Christian Voolstra: Die Existenz vieler Menschen ist von funktionierenden Korallenriff-Ökosystemen abhängig. Millionen von Menschen, insbesondere in Küstenregionen, sind für ihre Ernährung, ihren Lebensunterhalt und ihren kulturellen Reichtum auf Korallenriffe angewiesen. Der Schutz dieser Riffe sichert somit indirekt das Recht auf Nahrung, Wasser und Arbeit, besonders für indigene Gemeinschaften, die eng mit diesen Ökosystemen verbunden sind.

Insofern sind gesunde Korallenriffe direkt an das Schicksal und Wohlergehen vieler Menschen gekoppelt. Der Schutz von Korallenriffen als Menschenrecht würde den „One Health“-Ansatz fördern, dass die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen untrennbar miteinander verbunden ist.

Welche Effekte hätte es in der Praxis, wenn der Korallenschutz als Menschenrecht eingestuft würde?

Ganz pragmatisch existiert der Gesetzesrahmen für Menschenrechte bereits, die Implementierung und Kontrolle rechtlicher Konsequenzen (siehe unten) könnte also schneller vonstattengehen. Im Detail hätte dies in der Praxis weitreichende rechtliche, politische und gesellschaftliche Effekte. Hier sind einige mögliche Konsequenzen:

„Staaten wären völkerrechtlich verpflichtet, Maßnahmen zum Schutz von Korallenriffen zu ergreifen. Dies könnte zu strengeren Umweltgesetzen und einer besseren Durchsetzung bestehender Gesetze führen, um die Zerstörung von Korallenriffen durch Verschmutzung, Überfischung und Klimawandel zu verhindern.“

Christian Voolstra, Professor für Genetische Adaption in aquatischen Systemen an der Universität Konstanz und Präsident der International Coral Reef Society (ICRS)

Küstengemeinden, die stark von Korallenriffen abhängig sind, könnten ihre Rechte durch rechtliche Verfahren einfordern. Beispielsweise könnten indigene Völker und Fischergruppen ihre Lebensgrundlagen besser schützen, indem sie vor internationalen Gerichten Klagen gegen Regierungen oder Konzerne einreichen, die durch schädliche Praktiken die Riffe gefährden.

Eine Anerkennung als Menschenrecht könnte zudem mehr internationale Gelder und Ressourcen für den Korallenschutz mobilisieren. Staaten und internationale Organisationen müssten Investitionen in den Schutz und die Wiederherstellung von Korallenriffen priorisieren, um ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nachzukommen.

Welche Auswirkungen hätte es auf die Klimapolitik?

Da Korallenriffe stark unter den Folgen des Klimawandels leiden, würde der Klimaschutz enger mit dem Menschenrecht auf Korallenschutz verknüpft. Dies könnte zu ambitionierteren Klimazielen führen, um die Erwärmung der Ozeane zu begrenzen und Korallenriffe zu erhalten.

Es geht aber auch um Transparenz und Rechenschaftspflicht: Regierungen und Unternehmen, die Maßnahmen ergreifen, die die Gesundheit der Korallenriffe bedrohen, könnten stärker zur Rechenschaft gezogen werden. Dies würde zu einer erhöhten Transparenz und möglicherweise zu restriktiveren Vorschriften für die Meeresnutzung führen.

Was muss passieren, damit der Korallenschutz zum Menschenrecht wird?

Ein zentraler Schritt wäre die Förderung und Unterstützung bestehender internationaler Initiativen, die das Recht auf eine gesunde Umwelt als Menschenrecht anerkennen. Die Vereinten Nationen (UN) haben bereits begonnen, dieses Thema auf die Agenda zu setzen. Länder könnten sich in multilateralen Foren wie der UN oder regionalen Menschenrechtsorganisationen (z. B. dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte) dafür einsetzen, dass der Schutz von Ökosystemen, einschließlich Korallenriffen, als spezifischer Bestandteil des Rechts auf eine gesunde Umwelt verankert wird.

Ein pragmatischer Schritt wäre auch die Erweiterung bestehender Umweltabkommen: Internationale Abkommen wie das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) und das Pariser Abkommen zum Klimaschutz könnten explizit den Schutz von Korallenriffen als Teil der globalen Verpflichtungen verankern. Regierungen könnten sich für stärkere, verbindliche Verpflichtungen einsetzen, um die Zerstörung von Korallenriffen zu verhindern.

© Sebastian Szereday, Coralku, Malaysia

Was könnte auf nationaler Ebene getan werden?

Auf nationaler Ebene könnten Länder Gesetze erlassen oder bestehende Gesetze erweitern, um den Schutz von Korallenriffen als Menschenrecht anzuerkennen. Dies könnte durch Verfassungsänderungen oder neue gesetzliche Regelungen geschehen, die den Schutz der Umwelt mit den Grundrechten der Bürger verknüpfen.

Politische Kampagnen könnten sich darauf konzentrieren, den Schutz von Korallenriffen mit der sozialen Gerechtigkeit zu verbinden, insbesondere für Küstengemeinschaften, indigene Völker und Länder des globalen Südens, die überproportional von der Zerstörung dieser Ökosysteme betroffen sind. Dies könnte in globalen Gerechtigkeitsdiskursen an Bedeutung gewinnen und politische Allianzen stärken.

Gesellschaftlich ginge es auch darum, Bildung und Bewusstsein zu schärfen:

„Eine der größten Herausforderungen im Korallenschutz ist es, das Bewusstsein für die Bedeutung von Korallenriffen und deren Schutz zu wecken. Bildungskampagnen könnten in Schulen, Universitäten und in der breiten Öffentlichkeit durchgeführt werden, um die Rolle von Korallenriffen für die Umwelt und das menschliche Wohlergehen zu verdeutlichen. Es wäre wichtig, auf die Verbindung zwischen Umweltzerstörung und Menschenrechten hinzuweisen.“

Christian Voolstra

Aber ganz pragmatisch gesehen: Der Korallenschutz als Menschenrecht ist keine abwegige Idee. Es gibt ja schon erfolgreiche Beispiele, wo ganz Ähnliches passiert ist, die wir auch in unserem Artikel nennen.
 

Jürgen Graf

Von Jürgen Graf - 02.10.2024