Die Psyche der Täter verstehen

Gilda Giebel hat an der Universität Konstanz forensische Psychologie studiert und später Sexualstraftäter in der Sicherheitsverwahrung betreut. Wie haben Studium und Forschung sie auf die herausfordernden Situationen des Arbeitsalltags vorbereitet? Ein Einblick in eine sonst verschlossene Welt.

Psychopathen, Pädophile, Narzissten – die Psychologin Gilda Giebel hat ihnen allen schon gegenübergesessen, mit ihnen gesprochen und sie analysiert. Das Besondere an ihren vornehmlich männlichen Patienten ist jedoch die Tatsache, dass es sich bei ihnen um mehrfach verurteilte Straftäter handelt. PsychologInnen im Strafvollzug arbeiten intensiv mit den Verurteilten, um die Gefahr eines Rückfalls bei Freilassung zu reduzieren. Haben Täter ihre eigentliche Strafe abgesessen, sind aber in der Vergangenheit mit so vielen schweren Straftaten auffällig geworden, dass sie noch immer eine große Gefahr für andere darstellen, kommen sie auf unbestimmte Zeit in die sogenannte Sicherungsverwahrung.

Gilda Giebel hat an der Universität Konstanz im Fach Psychologie promoviert und einige Jahre im Bereich der forensischen Psychologie als Postdoktorandin in der Forschung gearbeitet, bevor sie eine Stelle als Psychologin in eben dieser Sicherungsverwahrung annahm. Die Entscheidung hierzu fiel bewusst:

„Man hat ja nicht Psychologie studiert, um dann immer nur vor den Akten zu sitzen. Ich wollte direkt mit den Menschen arbeiten, statt nur über sie zu lesen.“

Gilda Giebel

Und dabei machte sie keine halben Sachen, denn in der Sicherungsverwahrung hatte sie direkt mit den schwersten Fällen zu tun. Diese Männer waren ausnahmslos Wiederholungstäter mit wenig Hoffnung auf Entlassung, ihre Taten allesamt von besonderer Grausamkeit geprägt. Natürlich gibt es auch Frauen, die zu extremen Taten neigen. Die Haftanstalt, in der Gilda Giebel tätig war, beherbergte jedoch ausschließlich Männer. Giebels Job war es nun, danach zu fragen, was diese Menschen antreibt und wer genug an sich selbst gearbeitet hat, um sich vielleicht weitere Lockerungen zu verdienen.

Von ihren Erfahrungen, die sie in dieser Zeit gemacht hat, erzählt sie in ihrem Buch „Triebhaft“, das am 17. September 2024 veröffentlicht wurde. So viel sei verraten: Es ist spannend, aber manchmal auch schockierend. Und ohne Zweifel muss man den Hut vor jemandem ziehen, der freiwillig so tief in menschliche Abgründe schaut. Die Charaktere, die sie beleuchtet, sind extrem und schockierend.

Anhand der Fallakten beschreibt Giebel im Buch die jeweiligen Taten, bevor sie von den persönlichen Zusammentreffen berichtet. Das entspricht auch der Reihenfolge, die sie während des Studiums gelernt hat: erst informieren, dann vorbereitet in die Begegnung gehen. „Ich habe Kolleginnen und Kollegen kennengelernt, die ohne eine solche spezifische Ausbildung in forensischer Psychologie im Strafvollzug gearbeitet haben. Das war nicht unbedingt von Vorteil“, erzählt sie.

Das Buch:
Gilda Giebel: „Triebhaft – Zwischen Narzissten, Sadisten und Psychopathen“
Hardcover, 256 Seiten
erschienen am 17. September 2024 im Riva-Verlag
ISBN: 978-3-7423-2755-0
Preis: 22,00 €
Link zum Buch

Als sie ihr Masterstudium an der Universität Konstanz 2008 aufnahm, waren es noch einzelne Kurse, die im Bereich forensische Psychologie angeboten wurden – heute kann der konsekutive Masterstudiengang „Forensische Psychologie“ studiert werden. Seminare zu Bedrohungsmanagement, forensischer Diagnostik oder deliktpräventiven Therapien bereiteten damals wie heute gezielt auf die Arbeit mit Straftätern vor. „So habe ich zum Beispiel gelernt, dass man immer erst die Fallakten studieren muss, bevor man ins Gespräch geht. Die Gefangen sind teils so intelligent und geschickt, dass sie einen sonst ganz charmant um den Finger wickeln können“, sagt Giebel.

Dabei ticken nicht alle Straftäter gleich. Die einen haben eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und können kaum anders als sich selbst immer im besten Licht darzustellen. „Das macht es umso wichtiger, sich gut auf die Gespräche vorzubereiten. Sie verdrehen ihre Erzählungen oft zu ihren eigenen Gunsten und sind dabei so überzeugend, dass man sonst schnell versucht ist, ihnen alles zu glauben“, erzählt Giebel. Andere fallen in die Kategorie der Psychopathen, sind manipulativ und kennen keine Empathie. „Eine Einsicht, dass sie anderen Menschen Leid zugefügt haben, ist bei den Tätern meist nicht vorhanden“, sagt sie.

Während ihres Studiums und der späteren Forschungsarbeit hat Giebel gelernt, psychologische Profile anhand von Checklisten zu erstellen. Sie schildern Verhaltensweisen, an denen man psychologisch auffällige Persönlichkeitstypen erkennen kann. In ihrem Buch gibt sie einen kleinen Einblick in diese Listen und ordnet die beschriebenen Strafgefangenen anhand dieser Persönlichkeitstests verschiedenen Profilen zu. „Für jedes bestätigte Kriterium gibt es einen oder mehrere Punkte. Zusammengezählt ergeben sie einen Wert, der auf eine geringere oder größere Ausprägung eines psychologischen Profils, wie beispielsweise des Rückfallrisikos, hinweist“, erklärt sie. Die Listen, die allen PsychologInnen als Hilfsmittel dienen, sind das Ergebnis jahrelanger, oft sogar jahrzehntelanger Forschungsarbeit. Viele Studien fließen darin ein und neuere Forschung versucht stets, sie zu konkretisieren. Weiterbildungen sind daher ein fester Bestandteil der Arbeitswelt von PsychologInnen.

Doch wozu überhaupt die Mühe, werden sich viele fragen. Sollte man nicht zumindest Wiederholungstäter in der Sicherungsverwahrung nicht besser für immer hinter Gittern lassen? „So einfach ist das nicht“, gibt Giebel zu bedenken. „In der Sicherungsverwahrung muss regelmäßig geprüft werden, ob von einem Verwahrten weiterhin Gefahr ausgeht oder ob man ihn nicht doch wieder freilassen kann.“ Denn das Recht auf Freiheit ist im deutschen Grundgesetz verankert und der Staat muss regelmäßig prüfen, ob der Entzug dieser Freiheit noch gut zu begründen ist. Wird festgestellt, dass von einem Menschen keine Gefahr mehr ausgeht, muss er freigelassen werden. Giebel sieht es daher als wichtige Aufgabe der PsychologInnen in der Sicherungsverwahrung, eine möglichst verlässliche und realistische Einschätzung zu geben.

„Der Weg aus der Sicherungsverwahrung in die Freiheit ist sehr lang und steinig und führt über viele, viele Zwischenstufen.“

Gilda Giebel

Viele Verwahrte scheitern an diesen Zwischenstufen, weil sie zum Beispiel die hart erarbeiteten Lockerungen missbrauchen. Sie schaffen es nicht, entgegen ihres eingeschliffenen Verhaltensmusters zu handeln. Daher ist es wichtig, dass es spezifisch geschulte PsychologInnen wie Gilda Giebel gibt, die darauf Acht geben, dass die Verwahrten nur dann ihre Freiheit wiedererlangen können, wenn von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht.
 

Mandy Haugg

Von Mandy Haugg - 10.10.2024