Praktische Vorbereitung für die Feldforschung

Angenommen, Sie möchten kollektives Verhalten erforschen. Dann ist Feldforschung vermutlich ein wichtiger Bestandteil der Arbeit. Aber womit fängt man an, wenn man das noch nie zuvor gemacht hat?
© Gabriella Gall

Kollektives Verhalten von Tieren in ihrer natürlichen Umgebung zu untersuchen ist eine Herausforderung. Man benötigt genaue Kenntnis der verfügbaren Instrumente und Methoden zur Datenerhebung und -analyse. Das haben die BiologInnen Gabriella Gall und Vlad Demartsev vom Exzellenzcluster Kollektives Verhalten an der Universität Konstanz durch jahrelange Praxis gelernt. Um dem wissenschaftlichen Nachwuchs die nötigen Fähigkeiten zu vermitteln, beschlossen sie, jährlich einen entsprechenden Kurs im Forschungszentrum Kalahari Research Centre (KRC ) in Südafrika anzubieten. In diesem Interview sprechen sie über die Ziele des Kurses und geben Einblicke in Höhepunkte und auch Missgeschicke in ihrer eigenen Arbeit.

Sie forschen seit Jahren am Kalahari Research Centre (KRC) in Südafrika und halten dort auch Ihren Feldkurs ab. Was ist das Besondere dort? Und warum bieten Sie den Kurs speziell für Studierende südafrikanischer Universitäten an?

Vlad Demartsev und Gabriella Gall: Den Kurs am KRC anzubieten ermöglicht es den Studierenden, eine aktive Forschungsstation und die dortige Arbeit zu erleben. Sie können mit einem internationalen Forschungsteam vor Ort interagieren und bekommen Einblicke in eine mögliche Karriere in der Wissenschaft. Wir bieten die Kurse speziell für Studierende südafrikanischer Universitäten an, damit sie in ihrem eigenen Land forschen können und sehen, dass sie in einem späteren Stadium ihrer Laufbahn am KRC arbeiten können.

Das Kalahari Research Centre bietet die Möglichkeit, eine Vielzahl von Tierarten wie Erdmännchen, Borstenhörnchen oder Nashornvögel in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten und zu erforschen. Außerdem werden hier mehrere langfristige Forschungsprojekte durchgeführt, die wertvolle Daten zum Verständnis und Schutz dieser Arten und eines der faszinierendsten Ökosysteme der Welt liefern.

Was war das größte Missgeschick während Ihrer eigenen Feldforschung, über das Sie jetzt im Nachhinein lachen können? Und was war Ihr einprägsamstes Erlebnis?

Vlad Demartsev und Gabriella Gall: Feldforschung ist immer voller Überraschungen und Dingen, die schief gehen. Die beiden wichtigsten Eigenschaften, die ein Feldbiologe haben muss: man muss über Missgeschicke lachen können, und in der Lage sein, mit begrenzten Werkzeugen und Ressourcen Lösungen zu improvisieren.

Vlad Demartsev: Meine wahrscheinlich größte "Katastrophe" in der Feldforschung war, als wir eine ganze Gruppe von Erdmännchen im KRC mit Miniatur-Audio-GPS-Sendern versahen. Es war sehr aufwendig, alle einzelnen Tiere in der Gruppe zu besendern, und wir haben uns sehr gefreut, als wir es geschafft hatten. Allerdings hatten wir nicht bedacht, wie hart die Winter in der Kalahari manchmal sein können. In der Nacht bevor die Sender für die Datenerfassung programmiert wurden, fiel die Temperatur auf -14 Grad. Die Mini-GPS-Batterien froren ein und fast alle Sender ließen sich am Morgen nicht mehr starten. Wir mussten schnell eine Lösung improvisieren, die Sender mit neuen Batterien versehen und diese dann wieder an den Tieren anbringen.

Gabriella Gall: Eines der faszinierendsten Erlebnisse, die ich im KRC hatte, war ein regnerischer Tag im Winter (sie sind sehr selten). Eine Puffotter (Giftschlange) lauerte an einem Erdmännchenbau. Die größere Gruppe von Erdmännchen versuchte, die kleinere Gruppe auszugraben, während die kleinere sich durch einen Hintereingang hinausschlich und ein paar Mal zurückkam, um ihre Jungen zu retten. Die kleine Gruppe war die Gruppe, über die ich zu diesem Zeitpunkt versuchte, Daten zu sammeln (und an diesem Tag scheiterte).

"Man sollte einen soliden Plan haben, sich aber darauf einstellen jederzeit improvisieren zu müssen! Feldforschung mit frei lebenden Tieren ist unberechenbar."

Vlad Demartsev


Welche Tipps und Tricks würden Sie jemandem verraten, der zum ersten Mal Feldforschung durchführt?

Vlad Demartsev: Man sollte einen soliden Plan haben, sich aber darauf einstellen jederzeit improvisieren zu müssen! Feldforschung mit frei lebenden Tieren ist unberechenbar, da sie unsere sorgfältig erstellten Versuchsprotokolle nicht lesen, und möglicherweise nicht entsprechend mitmachen. Die Datenerhebung vor Ort dauert immer länger als ursprünglich angenommen, z. B. wegen des Wetters oder Geräteausfällen, und oft hat man einfach nur Pech. Sichern Sie Ihre Daten täglich oder so häufig wie möglich, denn jede Beobachtung oder jedes Experiment ist einzigartig und unersetzlich. Am wichtigsten ist es im Hinterkopf zu behalten, dass jeder Fehler macht. Lernen Sie aus den Fehlern, lachen Sie darüber, aber lassen Sie sich nicht entmutigen.

Gabriella Gall: Das Wichtigste aus meiner Sicht, woran man junge Forschende erinnern sollte, die zum ersten Mal ins Feld gehen, ist, dass sie nicht nur an die Forschung denken sollten – die natürlich im Mittelpunkt steht – sondern auch gut für sich selbst zu sorgen: Man sollte gutes Schuhwerk und Kleidung anziehen, und etwas zum Lesen mitbringen. Was die Forschung betrifft: Wie Vlad sagt, sollte man versuchen, sich gut vorzubereiten und Rettungsaktionen einzuplanen, falls etwas schief geht. Und wenn man dann draußen ist, gibt man einfach sein Bestes und genießt das Erlebnis!

"Das Wichtigste aus meiner Sicht, woran man junge Forschende erinnern sollte, die zum ersten Mal ins Feld gehen, ist, dass sie nicht nur an die Forschung denken sollten – die natürlich im Mittelpunkt steht – sondern auch gut für sich selbst zu sorgen."

Gabriella Gall

Was hat Sie dazu inspiriert, einen speziellen Feldforschungskurs für kollektives Verhalten zu entwickeln und durchzuführen?

Vlad Demartsev und Gabriella Gall: Wir wollten die nächste Generation von Forschenden mit dem Gebiet des kollektiven Verhaltens vertraut machen und sie mit den Instrumenten und Fähigkeiten ausstatten, die sie zur Durchführung ihrer eigenen Forschung benötigen. Unsere eigenen Erfahrungen bei der Feldforschung haben gezeigt, wie wichtig die praktische Ausbildung ist. Einen Kurs mit Fokus auf Feldforschung und Datenerhebungsmethoden zu organisieren erschien uns als die perfekte Lösung zur Überbrückung der Kluft zwischen theoretischem Wissen und praktischer Erfahrung in diesem spannenden Bereich.

Sie haben den Kurs im Jahr 2024 zum zweiten Mal durchgeführt. Was ist Ihnen besonders wichtig im Kurs zu vermitteln?

Vlad Demartsev und Gabriella Gall: Während des Kurses vermitteln wir, wie wichtig die klare Formulierung von Forschungsfragen und Vorhersagen, genaue Beobachtung und solide Analysetechniken sind. Wir zeigen auch, welche Herausforderungen und Vorteile die Beobachtung von Tieren in ihrer natürlichen Umgebung hat. Das positive Feedback und der Enthusiasmus der Teilnehmenden an den bisherigen Kursen sowie die überwältigende Unterstützung von Kollegen und Kolleginnen motivieren uns, dieses einzigartige Training weiterhin anzubieten.

https://youtu.be/qJD1tOXZYZY

Von den Teilnehmenden wird erwartet, dass sie am Ende des Kurses ihr eigenes Forschungsprojekt durchführen. Ich würde gerne wissen, welche Ideen sie hatten.

Vlad Demartsev und Gabriella Gall: Ein besonders interessantes Projekt befasste sich mit den kollektiven Flügen in geselligen Weberkolonien, wobei vorhergesagt wurde, dass größere Kolonien mehr Zeit benötigen, um den Abflug aus den Nestern zu koordinieren. Ein anderes beeindruckendes Projekt befasste sich mit der Aktivität und dem Verhalten von Termiten in verschiedenen Lebensräumen unter Berücksichtigung von Veränderungen der Umgebungstemperatur.Wir waren beeindruckt von der Fähigkeit der Studierenden, die im Kurs erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten auf ihre eigenen Forschungsfragen anzuwenden. Insgesamt waren alle acht Projekte der letzten zwei Jahren faszinierend. Die Studierenden bewiesen großes Interesse am Verhalten von Tieren und zeigten das Potenzial für innovative Forschung auf diesem Gebiet.

Wie lässt sich ein solcher Feldkurs durchführen?

Vlad Demartsev und Gabriella Gall: Ein Hauptgrund für den Erfolg dieses Kurses sind die großartigen Menschen, die uns bei der Organisation und Durchführung helfen. Sowohl Chanel Rhampartab von der University of Witwatersrand als auch Kyle Finn von der University of Pretoria bringen ihre einzigartigen Fähigkeiten und Kenntnisse in ihren Modulen ein, die wir selbst nicht unterrichten könnten. Syiabonga Sangweni, ein Student, der 2023 dabei war, kam 2024 als technischer Assistent zu uns. Wir danken auch den Leitenden des KRC, Marta Manser und Tim Clutton-Brock, für die Unterstützung dieser Initiative und die Möglichkeit, den Kurs vor Ort zu organisieren. Eine zentrale Rolle für die positiven Erfahrungen der Studierenden in dem Kurs spielen auch die Forschenden und Mitarbeitenden des KRC. Sie empfingen uns mit offenen Armen, waren für die Studierenden immer ansprechbar und erzählten ihnen gerne von ihrer Arbeit am KRC. Zu guter Letzt danken wir der Universität Konstanz, der Association for the Study of Animal Behaviour und dem Exzellenzcluster Kollektives Verhalten an der Universität Konstanz für die Finanzierung des Programms in den letzten beiden Jahren, da sie erkannt haben, wie wichtig die Beseitigung finanzieller Hindernisse für die Teilnahme an diesem Kurs ist.

Elisabeth Böker (Interview) und Nadja Geiger (Mitarbeit und Video)

Von Elisabeth Böker (Interview) und Nadja Geiger (Mitarbeit und Video) - 25.11.2024