Labore auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit

Ohne Wissenschaft wüssten wir kaum etwas über den Klimawandel. Und gleichzeitig ist Forschung selbst sehr ressourcenintensiv. Biochemikerin Bianca Schell berät die naturwissenschaftlichen Labore der Universität Konstanz darin, wie sie nachhaltiger arbeiten können.
© Universität Konstanz, Marion Voigtmann

Bianca Schell arbeitet an der Universität Konstanz in dem wissenschaftlichen Pilotprojekt EFFEKTIVA mit, das energiesparende Forschung zum Ziel hat. Außerdem hat sie – zusammen mit Nico Bruns von der TU Darmstadt – eine Studie herausgegeben, die Labornachhaltigkeitsprogramme vergleicht. Den Handlungsbedarf weltweit bezeichnet Schell als sehr hoch, beispielsweise was Recycling betrifft: „Aktuell wird Laborplastikmüll in chemischen und biologischen Laboren nur in geringstem Umfang recycelt. Grund dafür sei, dass kontaminierter Müll als Sonderabfall gelte und als solcher verbrannt werde. „In den letzten Jahren ist allerdings das Bewusstsein gewachsen, dass in Laboren mehr auf Nachhaltigkeit geachtet werden muss – und kann“, sagt sie. Hier ihre Ratschläge, worauf es dabei ankommt:

Müll besser trennen
Für besonders wichtig hält Schell es, Müll so weit wie möglich zu reduzieren und den Teil, der nicht vermieden werden kann, dem Recycling zuzuführen. „Labormaterialien werden häufig nicht getrennt. Werden Papiertücher, Einweghandschuhe und Plastik gemeinsam entsorgt, ergibt das einen Klumpen, der nicht mehr wiederverwertet werden kann“, erklärt die Biochemikerin. „Unser Ansatz ist es, die Materialien aus den Plastiksorten Polystyrol und Polypropylen, die lediglich biologisch kontaminiert sind, separat zu sammeln. Beide Gruppen werden anschließend getrennt dekontaminiert. Die sortenrein getrennten Materialien können nämlich recycelt werden.“

© Universität Konstanz, Marion Voigtmann

Das getrennte Sammeln von Laborplastik Polystyrol und Polypropylen (hier im Eimer zu sehen) ermöglicht eine getrennte Dekontamination und ein anschließendes Recycling.

Energieverbrauch senken
In Forschungseinrichtungen brauchen laut Schell naturwissenschaftliche Labore – neben den Rechenzentren – besonders viel Energie, fünf bis zehnmal so viel wie vergleichbare Büroflächen, und fünfmal mehr Wasser. 30 bis 70 Prozent der Energie wird durch die Lüftungsanlagen verbraucht. Deshalb sieht die Biochemikerin hier ein besonders großes Potenzial, um Energie zu sparen. Das Herabsenken der Luftwechselraten in Laboren beispielsweise, also wie oft die Luft pro Stunde ausgewechselt wird, kann zu Einsparungen von 25 Prozent der Energie des gesamten Gebäudes führen und kann in vielen Laboren ohne Sicherheitseinschränkung durchgeführt werden.

„Bei Ultratiefkühlgeräten kann die Temperatur von -80°C auf -70°C heraufgesetzt werden, ohne die gekühlten Proben zu beeinträchtigen. In einigen Laboren der Universität Konstanz wird dies bereits umgesetzt. Und eine Datenbank zeigt weltweit keine Qualitätseinbußen bei einer Probenlagerung von nur -70°C.“

Bianca Schell

Neben Energieverbrauch verursacht laut Schell der Einkauf den größten CO2 Abdruck in der Forschung. Daher sei nachhaltiger Einkauf eine weitere wichtige Maßnahme, bei der Labore ansetzen sollten.

Labornachhaltigkeitsprogramme im Vergleich
In der Studie „Lab Sustainability Programs LEAF and My Green Lab: impact, user experience & suitability“ vergleichen Bruns und Schell die beiden marktführenden Nachhaltigkeitsprogramme für Labore. Beide Programme – Laboratory Efficiency Assessment Framework (LEAF) und My Green Lab (MGL) – enthalten einen umfangreichen Katalog an Maßnahmen, um nachhaltiger in Laboren zu arbeiten und bieten am Ende eine Zertifizierung an. „Ein wissenschaftlicher Vergleich der beiden Programme fehlte bislang“, erklärt Schell. Die Studie führt die Stärken und Schwachstellen der Programme auf, das Gesamtergebnis ist jedoch für beide Programme positiv: „Wenn man die von den Programmen vorgeschlagenen Maßnahmen ernsthaft angeht, ist das Einsparpotential von Energie, CO2 und Müll riesig“, stellt Schell fest, „und beide Programme motivieren die Mitarbeiter enorm, mehr auf Nachhaltigkeit zu achten.“

Zertifizierungsstufe grün für Labor an der Universität Konstanz
Aktuell nutzen ca. 4000 Labore LEAF und 3000 MGL weltweit, in Deutschland jedoch nur sechs Institutionen LEAF und vierzehn MGL. „Die aktuell noch überschaubare Teilnahme deutscher Forschungseinrichtungen wächst rasant“, beobachtet Schell, „zumal auch deutsche Fördergesellschaften einschließlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beginnen, Nachhaltigkeitskriterien in ihre Anträge aufzunehmen. In Großbritannien werden diese schon verlangt.“ Umso bemerkenswerter ist, dass das Labor der Arbeitsgruppe von Patrick Müller, Professor für Entwicklungsbiologie an der Universität Konstanz, nicht nur an dem MGL-Programm teilnehmen konnte, sondern auch die höchste Zertifizierungsstufe „grün“ erreichte. Dies gelang durch zahlreiche energiesparende Umstellungen und unter anderem durch die Teilnahme am Laborplastik-Recycling-Projekt der Universität.

„In vielen Fällen sind wir uns der Möglichkeiten zum Energiesparen gerade im Laborumfeld nicht bewusst, daher gibt es hier noch großes Einsparpotenzial. Eine Zertifizierung, wie im Falle von der AG von Patrick Müller hilft, systematisch die Energieverbräuche und Reduktionsmöglichkeiten zu identifizieren und umzusetzen. Gestalten auch Sie ihre Labortätigkeit so nachhaltig wie möglich. Das spart Geld und hilft der Umwelt und ist in vielen Fällen ohne Einschränkungen möglich“, sagt Lukas Schmidt-Mende, Professor für Experimentalphysik und Projektleiter von EFFEKTIVA.

Marion Voigtmann

Von Marion Voigtmann - 27.11.2024