Tatort Rosgartenmuseum: SherLOOK ermittelt
„Fälschung erkannt!“ Große Buchstaben prangen auf dem kleinen Bildschirm. Die Auswertung lässt keinen Zweifel.
Hab ich’s mir doch gedacht! Das kann unmöglich der originale Meteorstein sein, der da im Museum hängt. Damit bewahrheiten sich unsere schlimmsten Befürchtungen: Der Detaildieb hat wieder zugeschlagen, und das mitten im Konstanzer Rosgartenmuseum!
Seit November 2024 geht dieser Schuft schon im Museum um. Immer wieder tauscht er kleine Details aus Kunstwerken durch Fälschungen aus: den Ochs und Esel im Krippenbild. Den kleinen Meteoriten in der Mineraliensammlung. Die Seidenschuhe in der Vitrine.
Die gute Nachricht: Sherlock Holmes, seine Schwester Enola und Dr. Watson ermitteln bereits – und mit ihnen unsere ganze Familie. Am Museumseingang bekommen wir eine High-Tech-Lupe ausgehändigt, mit der wir uns sogleich auf Spurensuche im Museum begeben. Die Jüngsten voran, die Eltern hinterher.
Auf Spurensuche im Museum
© Universität Konstanz / Jürgen GrafMit SherLOOK entdecken wir die Ausstellungsstücke auf spielerische Weise.
Auf knarrenden Dielen bewegen wir uns behutsam durch die altehrwürdigen Räume, immer auf den Spuren des jüngsten Kriminalfalls. Wir folgen den Fährten, die der arglistige Detaildieb hinterlassen hat. Hier eine verräterische Nachricht, da ein paar Fingerabdrücke, schließlich dort ein verdächtiges Kunstwerk. Mit bloßem Auge wären die Unterschiede zwischen Original und Fälschung nicht zu erkennen, aber unserer High-Tech-Lupe entgeht nichts. Ochs und Esel auf einem Altarbild der Geburt Christi erscheinen uns verdächtig. Wir halten die Lupe davor, scannen behutsam das Bild ab. Das Ergebnis ist eindeutig: „Fälschung erkannt!“, meldet die Lupe.
Natürlich sind es nicht wirklich Fälschungen im Rosgartenmuseum. SherLOOK ist ein Detektivspiel, das Kunstwissenschaftler Steffen Bogen von der Universität Konstanz erdacht und mit Studierenden des Studiengangs Literatur – Kunst – Medien (LKM) entwickelt hat. Auf den Fährten von Holmes und Watson sollen die Besucher*innen das Museum spielerisch erkunden. „Wir wollen durch das Spiel die Neugierde fördern: Alle sollen das Museum als Ort erleben, an dem man eigene Entdeckungen machen kann“, erzählt Bogen.
Auf der Suche nach versteckten Details
Die kleinen oder größeren Details der Exponate zu entdecken soll Spaß machen, und das tut es. Man geht ganz anders durch’s Museum, wenn man dem Detaildieb auf der Spur ist. Wo man sonst von Vitrine zu Vitrine schlendert, schauen wir uns nun die Exponate viel intensiver an, immer auf der Suche nach den versteckten Details. So halten wir zum Beispiel erst Ausschau nach einer alten Münze, dann nach einem mysteriösen steinernen Hahnenfuß, schließlich nach einer Jakobsmuschel auf einem Relief, irgendwo an einer roten Wand. Wo könnte das nur sein?
„Ich weiß, wo das ist!“, ruft mein Sohn. Ob er sich die Räume bei einem normalen Museumsbesuch auch so gut eingeprägt hätte? Die rote Wand haben wir auf jeden Fall gefunden. Nun gilt es, ganz genau hinzusehen: Wo nur ist die gesuchte Muschel? Die Wunderlupe bestätigt uns bereits mit einem grünen Signallicht, dass wir ganz nah dran sein müssen. Und tatsächlich: An einem Relief aus dem frühen 16. Jahrhundert hängen um den Hals eines Mannes zwei Muscheln. Breitkrempiger Hut, Bart und Mantel – und eben die gesuchte Jakobsmuschel. Der Mann muss wohl ein Pilger sein: Wie uns die schlaue Lupe enthüllt, gilt die Jakobsmuschel doch immer noch als ein Symbol der Pilgerschaft. In einem klassischen Museumskatalog hätten wohl nur die wenigsten Kinder diese Info zum Relief freiwillig gelesen.
Pilger-Relief
© Universität Konstanz / Jürgen GrafPilger mit Jakobsmuschel im Rosgartenmuseum, auf einem Relief des hl. Jakobus aus dem frühen 16. Jahrhundert.
Magische Momente – und die Technik dahinter
Aber woher in aller Welt wusste die Wunderlupe, dass wir nahe am gesuchten Bild dran sind? Verblüffend, wie sie mit der Umgebung interagiert. „Wir wollten, dass es ein bisschen magisch funktioniert“, erzählt Marcel Indlekofer von den Wissenschaftlichen Werkstätten der Universität Konstanz. Sein Kollege Thomas Schuchhardt und er sind die Köpfe hinter der Wunderlupe. Gemeinsam entwickelten sie das technische Konzept, das uns durch die Kriminalfälle im Museum führt. Das Geheimnis der Lupe sind rund 20 Bluetooth-Sender, die überall im Museum versteckt sind. Diese senden ein unsichtbares Leuchtfeuer, das nur von den Technik-Lupen wahrgenommen wird.
„Die meiste Arbeit war die Bilderkennung“, sind sich Indlekofer und Schuchhardt einig. Die Lupe soll ja genau das richtige Objekt erkennen, zum Beispiel exakt den richtigen Quarz, der jedoch zwischen optisch sehr ähnlichen Mineralien liegt. Damit es mit der Bilderkennung auch wirklich klappt – selbst bei schwachem Licht und aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln –, programmierten die beiden Elektroingenieure einen lernfähigen Algorithmus. „Rund 35.000 Fotos kamen zum Einsatz, um das neuronale Netz zu trainieren – alle mit demselben Tablet fotografiert, das am Ende auch als High-Tech-Lupe zum Einsatz kam“, erzählt Schuchhardt. Sie arbeiteten dabei intensiv mit den Studierenden und Hilfskräften zusammen, beteiligten sich an den Seminardiskussionen, vermittelten technische Lösungen für die Ideen aus dem Seminar.
Die beiden Techniker zeichnen sich auch für das markante, geschwungene Design der Lupe aus Acrylglas verantwortlich. „Die Lupe sollte etwas Individuelles haben. Etwas Griffiges. Etwas Taktiles.“ Und tatsächlich, die Lupe hat ein elegantes Handling. Auch mein Jüngster geht ganz intuitiv mit ihr um, trägt sie mal einhändig, mal in beiden Händen durch die Ausstellungsräume. „Es sollte kein Fremdkörper im Museum sein“, war Indlekofer und Schuchhardt dabei wichtig, „schließlich müssen die Museumsmitarbeiter täglich damit umgehen.“
Zwischen Museumpädagogik und Game-Design
Rund 50 unterschiedliche Kriminalfälle gibt es schon heute in SherLOOK zu lösen. Im Sommersemester soll die Anzahl durch 50 neue Rätsel auf eine Kombinatorik von über 400 Fällen erweitert werden, die alle in drei Schwierigkeitsstufen gespielt werden können. Da gibt es viel zu entdecken, der Wiederspielreiz ist hoch. Eine erste Fassung von SherLOOK wurde bereits 2022 im Kunstmuseum St. Gallen installiert. „Ich fand es sehr reizvoll, SherLOOK nun auch für das Rosgartenmuseum umzusetzen, wo Stadtgeschichte und Kunstgeschichte zusammenkommen“, schildert Bogen. Die Atmosphäre im Rosgartenmuseum trägt zum Zauber bei: „Im Leiner-Saal fühlt man sich von Anfang an wie in einem Detektivfall“, freut sich Bogen. Beim Museumsteam um Lisa Foege habe er mit seiner Idee offene Türen eingerannt, erzählt der Kunstwissenschaftler. Das war der Startschuss für eine enge Kooperation, um SherLOOK gemeinsam zu entwickeln: In den folgenden drei Semestern fanden mitten im Rosgartenmuseum wöchentliche Seminarsitzungen des Studiengangs Literatur – Kunst – Medien statt. Kuratorin Lisa Foege begleitete das Projekt durchgehend; das Museum stellte den Studierenden seine Sammlung und sein Wissen zur Verfügung. Selbst die hauseigene Technik in den Ausstellungsräumen wurde für SherLOOK neu angepasst. Das Museum richtete sogar eigens ein Detektivbüro im Erdgeschoss ein.
© Franziska GirkeSteffen Bogen ist Professor für Kunstwissenschaft/Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Lehre an der Universität Konstanz und freischaffender Spieleautor. Seine Brettspiele erhielten zweimal die renommierte Auszeichnung Spiel des Jahres („Camel Up“, 2014) bzw.
Kinderspiel des Jahres („Schnappt Hubi!“, 2012). Sein jüngstes Brettspiel „Campus Galli“ lässt uns die gleichnamige Klosteranlage bei Meßkirch spielerisch erkunden und nachbauen.
Hinter dem lockerleichten Museumsspiel stecken detaillierte Überlegungen an der Schnittstelle von Kunstgeschichte, Museumspädagogik, Game-Design und Technik: Wie erzählen wir den Kriminalfall? Anhand welcher Spuren lotsen wir die Besucher*innen durch’s Museum? Welche Ausstellungsstücke sind für den Krimi geeignet? Und wie gelingt es uns, ganz nebenbei Wissenswertes über die Exponate einzustreuen? Es galt, Museumsräume spielerisch zu denken – und aus den Räumen heraus das Detektivspiel zu entwickeln. Am Ende wurden die Ergebnisse mit Schulklassen evaluiert und Rätsel für Rätsel ausgewertet. Die Motivation bei den Studierenden war hoch, bestätigt Bogen. Woche für Woche verbrachten sie im Museum, fotografierten unzählige Exponate, katalogisierten sie in der SherLOOK-Datenbank, feilten an den Kriminalfällen und ließen den verruchten Detaildieb allmählich Gestalt annehmen.
Aber wer ist denn nun dieser Schuft, der all die Details im Museum gestohlen hat? Am Ende des Detektivspiels gilt es, den Langfinger dingfest zu machen. Wir haben die Steckbriefe von drei Verdächtigen vor uns. Nur haben alle drei leider schon mal Objekte aus dem Museum mitgehen lassen. Wer ist es diesmal? Kann es wirklich sein, dass die unscheinbare Katinka Antiqus die hinterhältige Diebin ist? Oder ist es der arg von sich selbst überzeugte Schorm Roderick? Wir werden regelrecht zu Profilern, gehen nochmals alle Spuren durch, vergleichen unsere Notizen mit den Steckbriefen, bevor wir den Langfinger schließlich verhaften. Wer es am Ende war? Das ist bei jedem Spiel anders. Finden Sie es selbst heraus, zusammen mit SherLOOK im Rosgartenmuseum.
SherLOOK kann zu den normalen Öffnungszeiten des Rosgartenmuseums (Rosgartenstraße 3-5, Konstanz) ohne Aufpreis gespielt werden: dienstags bis freitags von 10 bis 18 Uhr; samstags, sonntags und an Feiertagen von 10 bis 17 Uhr. Wer einen Fall richtig löst, bekommt einen „Spürnasenausweis“. Nach fünf gelösten Fällen wartet eine kleine Überraschung im Café des Museums auf die erfolgreichen Spürnasen.
Über das Rosgartenmuseum:
Das Rosgartenmuseum Konstanz ist eines der ältesten Museen Baden-Württembergs. 1870/71 öffnete es in dem erstmals 1324 erwähnten gotischen Zunfthaus „Zum Rosgarten“ seine Pforten. Als Grundstock des Museums dienten bei seiner Gründung die vielseitigen Sammlungen des Apothekers, Naturwissenschaftlers und Stadtrats Ludwig Leiner (1830 - 1901). Hinzu kamen bald andere bürgerliche Stiftungen und Schenkungen. Die Sammlung des Rosgartenmuseums ist kunst- und kulturgeschichtlich ausgerichtet. Sie bezieht sich auf Vergangenheit und Gegenwart der einstigen Bischofs- und Reichsstadt Konstanz als historischem Zentrum am Bodensee. In der ständigen Ausstellung findet man die größte ältere Sammlung zur Stein- und Bronzezeit aus der Region, z.B. die berühmte Ritzzeichnung eines Rentieres auf einem Geweih von 11.000 v. Chr. In der vorgeschichtlichen Abteilung ist auch eine der ersten Dokumentationen zur Pfahlbaukultur am Bodenseeufer zu entdecken. Neben der ständigen Sammlung führt das Rosgartenmuseum auch regelmäßig Wechselausstellungen durch, die sowohl Themen der regionalen Geschichte aufgreifen als auch Aspekte der eigenen Sammlung wissenschaftlich vertiefen.