Ankommen mit Fragezeichen

Was bewegt Menschen dazu aufzubrechen? Wie kommen sie an? Und was heißt es, angekommen zu sein? Studierende der HTWG Konstanz, der Universität Konstanz und der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen zeichnen in der multimedialen Ausstellung „Ankommen? Migration, Glaube und Identität“ Jahrhunderte übergreifend Migrationsgeschichten nach. Bis 23. Oktober 2025 ist die Ausstellung im Konstanzer Turm zur Katz in Kooperation mit dem Kulturamt der Stadt Konstanz zu sehen.
© Felix Stoffel

Ohne Registrierung kein Eintritt. Schon am Eingang der Ausstellung „Ankommen? Migration, Glaube und Identität“ werden die BesucherInnen mit hineingenommen in die Erfahrungswelt von Migrantinnen und Migranten. Da heißt es, in der „Meldebehörde“ Namen, Geburtsdatum, Herkunfts- und Aufenthaltsort anzugeben, um in den Innenraum des Turms zur Katz zu gelangen.

In der ersten Station ZUHAUSE begegnen wir sechs Avataren – fiktiven Personen, die zwischen später Antike und Jetztzeit leben und eine einschneidende Wende aufgrund von Migration erleben. All ihre Wege haben etwas mit der Stadt Konstanz zu tun, ob diese nun Ausgangs- oder Endpunkt darstellt: Der römische Legionär Lucius Cassius Martialis wird im Kastell Constantia (Konstanz) stationiert. Um den Aufbau einer jüdischen Gemeinschaft zu unterstützen, zieht es den Stoffhändler Schlomo Ben Chaim in die Stadt des Konzils, welche Hugo Wochner, Anhänger der Täuferbewegung, knapp zweihundert Jahre später verlässt. Hedwig Bartsch wird als Kind an der Ostfront von sowjetischen Soldaten vertrieben. Hakan Gündoğdu kommt als Gastarbeiter nach Deutschland, während Rana al-Hassam mit ihrer Tochter Nour aus dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Aleppo flieht. Ihre Beispiele zeigen, dass Migration ein epochenübergreifendes und universelles Phänomen ist – und so unterschiedlich die Beweggründe sein mögen, Menschen werden nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich durch sie bewegt.

„Die Idee, fiktive Personen zu begleiten, hat uns erlaubt, die Geschichten der rezenten und der weiter zurückliegenden Vergangenheit in gleicher Weise historisch authentisch und differenziert darzustellen.“

Stefan Hauser, Professor für Mediterrane und Vorderasiatische Archäologie und Ideengeber für das Thema der Ausstellung.

Hör- und Fragestationen, virtuelle Realität und Videos mit KI-generierten Charakteren veranschaulichen die jeweilige Migrationsgeschichte den Besucherinnen und Besuchern, die wiederum – mit ihrem „Ausweis in der Hand“ – immer wieder zum Nachdenken angeregt werden: „Welche Gründe würden dich dazu bewegen auszuwandern?“ „In welches Land könntest du dir vorstellen auszuwandern?“

Unsicherheit reist mit
Über die steile Treppe des Turms zur Katz erreichen die BesucherInnen die nächste Phase, befinden sich UNTERWEGS mit den sechs Figuren. Auf Screens können die Wege und Stationen jeder und jedes einzelnen nachverfolgt werden. Wenn Rana beispielsweise im August 2015 fünfzehn Stunden mit dem Bus von Aleppo an die Grenze zur Türkei fährt, mit dem Boot über Stunden nach Lesbos übersetzt, tagelang dort festsitzt, bevor sie über das serbische Belgrad und Hogroš an der Grenze zu Ungarn nach München und schließlich Konstanz kommt. Zwei Monate nach Beginn ihrer Flucht.

„Wir haben nur wenig Raum für uns, aber ich bin trotzdem erleichtert. Hier werden Nour und ich erst einmal bleiben können.“

Rana Al Hassam (Avatar)

Dass die ANKUNFT aber keineswegs ein Selbstläufer ist, wird im nächsten Stockwerk thematisiert. Sagen die flüsternden Einheimischen in der unvertrauten Sprache etwas Freundliches oder Ablehnendes? Wohin soll man gehen, um anzukommen? Im nächsten Raum der Ausstellung geht es um die Rolle der Religion, die nicht nur identitätsstiftend wirkt, sondern auch Gemeinschaft schafft, welche die Angekommenen aufnimmt. Mittels VR-Brillen können die BesucherInnen in liebevoll modellierte Kultstätten und religiöse Orte eintreten und mehr über deren Bedeutung erfahren.

Auch die Gebäudemodelle selbst begeistern: ein Mithräum (Tempel des römischen Mithras-Kults), eine Mikwe (jüdisches Tauchbad zur rituellen Reinigung, Münzgasse 4), ein Bruderhof (gemeinschaftliches Anwesen der Täufergemeinde), die Mevlana Moschee (Reichenaustraße 26) und eine Hinterhofmoschee (Kreuzlinger Straße 42). Diese sehr komplexen und aufwendigen 3D-Drucke wurden von Architekturstudierenden und InformatikerInnen im FabLab der Universität Konstanz zusammen erstellt.

Konstanz auf dem Prüfstand
Wer ins oberste Stockwerk der Ausstellung ANGEKOMMEN? vordringt, darf den sechs Charakteren Fragen stellen – ob sie sich in Konstanz zu Hause fühlen, ob sie Diskriminierung erfahren haben. Ihre Antworten ergeben ein gemischtes Bild, das gute wie schlechte Erfahrungen wiedergibt – und letztlich zeigt, dass das Ankommen ein langwieriger Prozess mit Errungenschaften wie Rückschlägen ist.

Am Ende der Ausstellung steht die Stadt Konstanz auf dem Prüfstand: „Wie tolerant ist die Stadt wirklich? Was sind die Bedingungen, unter denen Flüchtlinge heute leben?“ Hier wird gezeigt, dass – wie anderswo in Baden-Württemberg – auch in der Region Konstanz BürgerInnen sich gegen die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften stellten. Und dass Menschen mit Migrationshintergrund bis heute Diskriminierung und Rassismus erfahren.

Rund 80 Studierende der HTWG Konstanz, der Universität Konstanz und der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen aus Architektur, Kommunikationsdesign, Geschichte, Informatik und Musikdesign arbeiteten bei diesem Ausstellungsprojekt zusammen. Unterstützt wurden sie dabei von acht Professor*innen dieser Hochschulen sowie NachwuchswissenschaftlerInnen der Arbeitsgruppe „Mensch-Computer-Interaktion“ der Universität Konstanz. So zeugen die Räume von architektonischer Gestaltungskraft und die Avatare von der Programmierkunst der InformatikerInnen. Studierende der Geschichte wiederum werteten zahlreiche historische Quellen aus und führten Interviews mit Migrantinnen und Migranten, aus denen die Migrationsgeschichten der Avatare konstruiert wurden.

© HTWG Konstanz

„Die Kooperation von fünf Studiengängen aus drei Hochschulen ist eine ziemlich einzigartige Erfahrung. Die Ausstellung wurde maßgeblich durch die unterschiedlichen Perspektiven der Studierenden definiert, welche in interdisziplinären Arbeitsgruppen zusammenarbeiteten. Es ist zwar herausfordernd, sich tagtäglich auf fremde Ansätze einlassen zu müssen, aber am Ende gibt es keine bessere Vorbereitung für das Berufsleben.“

Jan Werner, Geschichtsstudent. Er hat zusammen mit Katharina Vahlenkamp von der HTWG viele organisatorische Aufgaben übernommen.

Die Ausstellung „Ankommen? Migration, Glaube und Identität“ ist bis 23. Oktober im Turm zur Katz (Wessenbergstraße 43, Konstanz) in Kooperation mit dem Kulturamt der Stadt Konstanz zu sehen. Aktuelle Informationen, auch zu Öffnungszeiten und Führungen, sind online unter ankommen-ausstellung.de zu finden.


 

Marion Voigtmann

Von Marion Voigtmann - 31.07.2025