Den Nanokosmos erschließen

In den Core-Facilities der Universität Konstanz stehen seit Kurzem zwei neue Großgeräte zur Verfügung: ein Ionen- und ein Elektronenmikroskop. Beide sind technologisch auf dem allerneusten Stand. Welche Möglichkeiten sich daraus für die Forschenden der Universität ergeben, beleuchten wir anhand zweier Projekte aus der Physik und der Biologie.
© Gilian Killiani

Die Nanowelt ist die Welt des unfassbar Kleinen: Ein Nanometer entspricht gerade einmal einem Milliardstel Meter. In diesem Bereich dominieren quantenmechanische Effekte – und die physikalischen, chemischen oder mechanischen Eigenschaften eines Materials können sich auf der Nanoebene deutlich von denen unterscheiden, die wir mit bloßem Auge wahrnehmen. Phänomene auf der Nanoskala zu erforschen, ist daher von zentraler Bedeutung – etwa für die Entwicklung funktionaler Nanomaterialien, hochpräziser Sensorik oder quantenbasierter Technologien. 

Um den Nanokosmos zu erschließen, bedarf es moderner Forschungsapparaturen. Zwei solcher Geräte – ein Elektronen- und ein Ionenmikroskop der neuesten Generation – stehen seit diesem Jahr (2025) im Nanostrukturlabor beziehungsweise im Electron Microscopy Center der Universität Konstanz bereit. Dort können sie fachübergreifend von allen Forschenden der Universität genutzt werden. „Unser neues Ionenmikroskop ist weltweit das erste seiner Bauart, das den Forschungsbetrieb aufgenommen hat“, berichtet Matthias Hagner, Leiter des Nanostrukturlabors. 

„Mit den Fähigkeiten der beiden neuen Geräte sind wir an der Universität Konstanz technisch für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre hervorragend aufgestellt.“

Matthias Hagner, Leiter des Nanostrukturlabors

Analytik und Fertigung im Nanobereich
Doch was genau leisten die neuen Geräte? „Beide lassen sich sowohl für die Nanoanalytik als auch für die Nanofertigung einsetzen. Das heißt, wir können mit ihnen Nanostrukturen sichtbar machen und analysieren – aber auch gezielt Objekte im Nanomaßstab herstellen“, erklärt Hagner. Beim Elektronenmikroskop kommt dabei ein Elektronenstrahl zum Einsatz, der die Oberfläche des jeweiligen Untersuchungsobjektes für die Analytik Punkt für Punkt abtastet und so ein hochaufgelöstes Bild der Objektoberfläche erzeugt. Ein besonderes Positioniersystem des neuen Geräts ermöglicht es, bei sehr hoher räumlicher Auflösung vergleichsweise große Objekte zu untersuchen. 

Zusätzlich kann der Elektronenstrahl verwendet werden, um spezielle Lacke – sogenannte Resists – chemisch zu verändern. Dabei rastert er das mit Lack beschichtete Substrat ab und belichtet hochpräzise die bestrahlte Oberfläche. Anschließend werden die belichteten Bereiche mit einem Entwickler gelöst, sodass eine Art Schablone zurückbleibt. Durch diese kann dann wiederum die gewünschte Nanostruktur auf das Substrat aufgedampft werden – beispielsweise in Form einer dünnen Goldschicht. Wird nun auch noch der unbelichtete Lack entfernt, bleibt lediglich die aufgedampfte Nanostruktur auf dem Substrat zurück. Dieses und verwandte Verfahren werden aufgrund ihrer Ähnlichkeit zum Steindruck der Spätmoderne auch als Elektronenstrahl-Lithographie bezeichnet. 

Elektronik am raum-zeitlichen Limit
Eine Arbeitsgruppe, die das neue Elektronenmikroskop bereits intensiv für die Elektronenstrahl-Lithographie nutzt, ist die von Alfred Leitenstorfer vom Fachbereich Physik. Im Rahmen eines Projekts aus dem Sonderforschungsbereich „Fluktuationen und Nichtlinearitäten in klassischer und Quantenmaterie jenseits des Gleichgewichts“ (1432) stellt das Team mit dem Verfahren winzige Bowtie-Antennen aus Gold her. Diese bestehen aus zwei dreieckigen Goldschichten mit wenigen hundert Nanometern Kantenlänge, deren Spitzen direkt aufeinander zeigen und nur durch eine klitzekleine Lücke voneinander getrennt sind. Von jedem Dreieck geht eine dünne Leiterbahn ab, die schließlich über haarfeine Golddrähte zu einem Messgerät führt. Auch hier zahlt sich das besondere Positioniersystem des neuen Elektronenmikroskops aus: Es ermöglicht die Herstellung besonders langer und trotzdem extrem glatter Leiterbahnen.

© AG Leitenstorfer, Universität Konstanz

Elektronenmikroskopische Aufnahme einer optischen Nanoantenne, die mittels Elektronenstrahl-Lithographie aus einem dünnen Goldfilm auf einem Quartzglas-Substrat hergestellt wurde. Die beiden vertikalen Strukturen sind elektrische Leitungen, über welche die Elektronen abfließen können, die durch einen extrem kurzen Lichtimpuls über die Lücke im Zentrum der beiden Dreiecke hinweg transportiert wurden.

Mit Hilfe ihrer Nano-Antennen erforschen die Konstanzer Physiker die Bewegung einzelner Elektronen auf der kleinsten räumlich-zeitlichen Skala, auf der elektronische Festkörperbauelemente überhaupt denkbar sind – der atomaren Skala. „Räumlich bewegen wir uns da sogar noch knapp unterhalb der Nanoskala, und zeitlich befinden wir uns im Bereich von Femto- und Attosekunden – also Billiardstel oder gar Trillionstel Sekunden“, erklärt Leitenstorfer. Die atomare Längenskala erreichen die Forscher mit folgendem Trick: Direkt nach der Herstellung im Elektronenmikroskop sind die beiden Dreiecke der Antenne noch über einen dünnen Steg verbunden. Durch Anlegen von Spannungsimpulsen wird dieser Steg Atom für Atom verdampft, bis schließlich eine Lücke entsteht, die den Durchmesser eines einzelnen Goldatoms (0,288 Nanometer) haben kann.

Jenseits der klassischen Physik 
Die entstandene Lücke ermöglicht es den Forschern, Quantenphänomene wie sogenannte Tunnelströme zu studieren. „Tunneln ist ein quantenmechanischer Prozess, bei dem Teilchen – in unserem Fall Elektronen – eine Energiebarriere überwinden, die sie nach den Gesetzen der klassischen Physik nicht überwinden könnten“, erklärt Leitenstorfer. „Das funktioniert nur auf extrem kleinen Längenskalen, weil das Teilchen in der Quantenmechanik nie exakt lokalisiert werden kann. Trifft es auf eine energetische Barriere wie unsere Lücke, hat es daher nur eine endliche Wahrscheinlichkeit, auf der Seite der Barriere zu sein, von der es gekommen ist. Ebenso besteht aber aufgrund der Quantenunschärfe auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es sich auf der anderen Seite befindet und damit die Barriere bereits überwunden hat.“

Um den Tunnelstrom „zum Fließen zu bringen“, nutzt das Team maßgeschneiderte optische Laserimpulse, die aus nur einem Schwingungszyklus des elektrischen Feldes bestehen und damit nur wenige Femtosekunden dauern. „Wir fokussieren diese Feldimpulse direkt auf unsere Bowtie-Antenne. Aufgrund der nichtlinearen Eigenschaften des Tunnelkontaktes fließt dabei der Strom nur während eines Bruchteils des intensivsten Halbzyklus des elektromagnetischen Impulses. Das ist dann in etwa so, als würden wir für die Dauer von weniger als einer Femtosekunde eine Batterie an das System anlegen“, veranschaulicht Leitenstorfer. Mit diesem Aufbau können die Wissenschaftler grundlegende Fragen zur Bewegung von Elektronen auf atomarer raum-zeitlicher Skala untersuchen – etwa wie wahrscheinlich es ist, dass innerhalb der Dauer des Laserpulses zwei statt nur ein Elektron tunneln, obwohl jedes Gold-Atom immer nur ein Elektron auf einmal abgeben sollte. 

„In einigen Jahren wird es wahrscheinlich erste elektronische Bauelemente auf atomarer Skala geben – beispielsweise integriert in Halbleiter-Chips. Wir erforschen mit unseren Experimenten schon heute die physikalischen Phänomene, die dann in diesen Bauteilen eine Rolle spielen werden.“

Alfred Leitenstorfer, Professor für Experimentalphysik an der Universität Konstanz

Mit der Option zur Elementaranalyse
Wie bereits erwähnt eignet sich auch das neue Ionenmikroskop der Universität Konstanz zur Nanofertigung – allerdings nicht nach dem Prinzip der Elektronenstrahl-Lithographie. „Die Ionen des Strahls, mit dem das Ionenmikroskop arbeitet, sind deutlich schwerer als Elektronen. Beim Aufprall auf die Probe haben sie daher eine wesentlich ‚destruktivere‘ Wirkung“, so Michael Laumann, Leiter des Electron Microscopy Centers. Dadurch lässt sich der Ionenstrahl verwenden, um direkt in eine Probe „hineinzuschneiden“. Für die Nanofertigung bedeutet dies: Das Ausgangsmaterial kann wie mit einer winzigen Fräse bearbeitet werden. Hochpräzise und kontrolliert wird dabei Schicht um Schicht abgetragen, um Nanostrukturen mit nahezu beliebiger Form herzustellen. 

Was das neue Ionenmikroskop an der Universität Konstanz jedoch wirklich besonders macht, ist die Kombination dieser strukturierenden Fähigkeiten mit einem nachgeschalteten Massenspektrometer. „Mithilfe dieser Analyseeinheit können wir jegliches Material, das durch den Beschuss mit dem Ionenstrahl von einer Probe abgetragen wird, zusätzlich chemisch analysieren. So kann mit hochpräziser räumlicher Auflösung festgestellt werden, aus welchen Elementen sich eine Probe an einem bestimmten Punkt zusammensetzt“, erläutert Laumann.

Leben in der Gallerte
Peter Kroth und sein Team vom Fachbereich Biologie möchten diese Funktion künftig für ihre Forschung zu Biofilmen nutzen. „Biofilme sind komplexe, dreidimensionale Lebensgemeinschaften, in denen Mikroorganismen in einer selbstproduzierten Schleimschicht eingebettet sind. Sie kommen an ganz unterschiedlichen Orten vor – zum Beispiel auf unseren Zähnen, von wo wir sie als ‚Plaque‘ regelmäßig wegputzen müssen“, berichtet Kroth. „Meine Arbeitsgruppe forscht jedoch vor allem an Biofilmen, die von einzelligen Kieselalgen produziert werden, wie sie auch hier im Bodensee vorkommen“. Wer beim Baden im See schon einmal barfuß auf einem glitschigen, mit Algen besetzten Stein gestanden hat, weiß also, wovon die Rede ist.

Diese Biofilme, in denen neben den Kieselalgen auch Bakterien leben, bestehen zu einem großen Anteil aus Kohlenhydraten, die von den Kieselalgen ausgeschieden werden. Auslöser dafür sind bestimmte bakterielle Signalstoffe: Sind die richtigen Bakterien in der Nähe und sondern diese Substanzen ab, beginnen die Algen mit der Sekretion. Dabei profitieren alle beteiligten Organismen von der Lebensgemeinschaft, so Kroth: „Die Bakterien nutzen die Kohlenhydrate als Energiequelle. Die Algen erhalten im Gegenzug Nährstoffe von den Bakterien, die sie selbst nicht produzieren können, wie beispielweise bestimmte Vitamine.“

Gezielte Biofilmproduktion im Labor
Die Konstanzer Forschenden wollen herausfinden, wie genau die Kieselalgen den Biofilm produzieren. Dafür züchten sie die Algen in Zellkultur und geben die entsprechenden bakteriellen Signalstoffe hinzu, um die Kohlenhydrat-Sekretion gezielt auszulösen. „Wir wissen, dass dabei zwei unterschiedliche Strukturen entstehen können – schleimige Kapseln, die sich um die Algen legen, und lange Stiele, mit denen sich die Algen an Oberflächen festsetzen“, so Kroth. Mithilfe elektronenmikroskopischer Bildgebung hat sein Team diese Strukturen und ihr Wachstum bereits sichtbar gemacht. Dabei fällt auf: das Wachstum startet immer an der gleichen Stelle der Zelle. „Uns interessiert unter anderem, wie die einzelligen Algen es steuern, dass die Biofilmbildung nur von diesem Ort ausgeht.“

© Penyu Ji

Zellen der Kieselalge Achnanthidium minutissimum im Raster-Elektronenmikroskop. Zu Erkennen ist die strukturierte Zellwand aus Silikat sowie erste Kohlenhydrat-Fäden, welche die Zelle am Untergrund fixieren.

Die Massenspektrometrie-Funktion des neuen Ionenmikroskops werden Kroth und sein Team nutzen, um die chemische Zusammensetzung der Kieselalgen und ihrer Biofilmstrukturen mit hoher räumlicher Auflösung zu analysieren – und mit einer besseren Nachweisgrenze als bei alternativen Methoden wie der Röntgenanalyse. „Wir können mit dem neuen Gerät sehr genau feststellen, welche chemischen Elemente sich wo in der Zelle und in welchem Verhältnis befinden. Sprich, ob in einem Bereich der Alge besonders viel Kohlenstoff, Schwefel oder andere Elemente vorkommen. Daraus können wir Rückschlüsse ziehen, aus welchen chemischen Bausteinen einzelne Strukturen bestehen“, erklärt Kroth. Die Forschenden werden dadurch weitere entscheidende Informationen erhalten, um den Biofilm und dessen Produktion durch die Kieselalgen besser zu verstehen. 

„Biofilme sind nahezu allgegenwertig und spielen in einer Vielzahl von Umgebungen eine wichtige Rolle – zum Beispiel als Teil von Nahrungsnetzen, als Resistenzmechanismus von Krankheitserregern oder als ‚Mikrofabriken‘ in der Bioproduktion. Erkenntnisse über ihre Entstehung können folglich für viele Bereiche relevant sein – vom Umweltschutz über die Medizin bis hin zur Biotechnologie.“

Peter Kroth, Biologieprofessor an der Universität Konstanz und Leiter der Arbeitsgruppe „Ökophysiologie der Pflanzen“

Über die Core Facilities der Universität Konstanz
Das Nanostrukturlabor und das Electron Microscopy Center, in denen derzeit jeweils eines der neuen Mikroskope untergebracht ist, zählen zu den sogenannten „Core Facilities“ der Universität Konstanz. Die Idee hinter diesen Core Facilities: wissenschaftliche Großgeräte werden nicht einzelnen Professuren oder Arbeitsgruppen zugeordnet, sondern stehen als Geräte- und Methodenzentren allen Forschenden offen – sogar externen NutzerInnen anderer Universitäten oder aus der Industrie, sofern es die Kapazitäten erlauben. 

Aktuell sind die beiden Einrichtungen noch auf unterschiedliche Gebäude der Universität verteilt. Perspektivisch sollen sie jedoch – gemeinsam mit dem Partikelanalysezentrum, einer weiteren thematisch verwandten Core Facility – in den geplanten Neubau „Forum Konstanz“ umziehen. „Diese drei Core Facilities ergänzen sich im Bereich der Elektronen- und Ionenmikroskopie gegenseitig. Und sie sind eine wichtige Basis für die Arbeit unserer WissenschaftlerInnen in den naturwissenschaftlichen Forschungsschwerpunkten. Die Labore künftig im Forum Konstanz in einem Gebäude zusammenzuführen, ist ein logischer Schritt, um weitere Synergien zu schaffen und nicht nur Arbeits-, sondern auch Wartungsabläufe zu vereinfachen“, so Hagner.

Titelbild: Detailaufnahme des neuen Ionenmikroskops – © Gilian Killiani

Daniel Schmidtke

Von Daniel Schmidtke - 14.10.2025