Interview: Prof. Dr. Giovanni Galizia
Herr Galizia, Sie leiten seit acht Jahren das Zukunftskolleg. Ist Ihre Aufgabe noch immer eine Herausforderung für Sie? Und falls ja, inwiefern?
Ja, auf jeden Fall. Das Zukunftskolleg ändert sich ständig: Es kommen immer neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – unsere Fellows – mit spannenden Projekten hinzu. Jeder bringt durch seine Persönlichkeit und seine Erfahrungen neue Impulse ins Zukunftskolleg, wovon die ganze Gemeinschaft profitiert. Und durch den Austausch der Fellows aus unterschiedlichen Fachbereichen an der Universität entstehen völlig neue Ideen.
Nicht umsonst hat das Zukunftskolleg seinen Namen: Wir schauen nach vorn, fragen uns, was die Wissenschaft von morgen braucht, und versuchen das umzusetzen. Eine permanente Herausforderung also.
Forschen ist klasse.
Prof. Dr. Giovanni Galizia
Was sagen Sie, wenn Sie einem Laien mit wenigen Worten das Zukunftskolleg erklären sollen?
Wir können in unserer modernen Welt nur überleben, wenn wir sie verstehen und verantwortungsvoll gestalten – und dazu ist Forschung notwendig, vor allem auch die Forschung der jungen Leute. Forschen ist klasse, und die Universität Konstanz ist eine besonders starke Forschungsuniversität. Im Zukunftskolleg bieten wir die besten Bedingungen, um schon vor der Professur selbstständig und international vernetzt zu forschen, denn die meisten Menschen haben in jungen Jahren die besten Ideen!
Wie viele Fellows gab es bisher am Zukunftskolleg?
99 Fellows waren seit 2007 am Zukunftskolleg tätig; viele davon sind inzwischen auf eine Professur berufen worden.
Das Zukunftskolleg hat eine Modellfunktion und muss sich ständig weiterentwickeln. Wie wirkt sich das auf die gesamte Universität und auf die verschiedenen Fachbereiche aus?
Viele Initiativen wie bestimmte Angebote aus dem Academic Staff Development wurden im Zukunftskolleg erprobt und mittlerweile auf die gesamte Universität übertragen. Im Zukunftskolleg laden wir Senior Fellows aus der ganzen Welt ein, die auch für die Fachbereiche neue Netzwerke erschaffen. Neue Lehrformate unserer Fellows und der interdisziplinäre Ansatz finden in den Fachbereichen großen Anklang. Um es bildlich mit den Worten von Dirk Leuffen wiederzugeben, unserem Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs und Mitglied im Vorstand des Zukunftskollegs, ist das Zukunftskolleg wie ein Mikrokosmos innerhalb der Universität, der viele positive Signale und Entwicklungen auf das ganze Universum ausstrahlt.
An wen richtet sich das?
Die 2-Jahres Postdoctoral-Fellowships richten sich an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die am Anfang ihrer Postdoc-Phase stehen. Die 5-Jahres-Research-Fellowships sind für erfahrenere Postdoktorandinnen und -doktoranden, die bereits Drittmittel eingeworben haben und sich auf eine Professur hinbewegen.
Sie legen Wert auf exzellente Forschungsbedingungen. Wie sehen diese aus?
Unser Konzept zur Förderung exzellenter Forschung orientiert sich an der 5i-Strategie des Zukunftskollegs: interdisciplinary, intra-university, international, inter-generational und independent. Unser Ziel ist, junge wissenschaftliche Talente aller Fachbereiche an der Universität Konstanz auf ihrem Karriereweg zu unterstützen, eine kreative, internationale und generationenübergreifende Gemeinschaft zu schaffen und die frühe Unabhängigkeit der Fellows zu garantieren.
Herzstück des Zukunftskollegs ist der wöchentliche Jour fixe im eigenen Campus-Gebäude, der ganz im Zeichen der Interdisziplinarität steht.
Prof. Dr. Giovanni Galizia
Sie betonen die Wichtigkeit eigener Räumlichkeiten für das Forschungskolleg. Könnte der Austausch auch virtuell geschehen?
Herzstück des Zukunftskollegs ist der wöchentliche Jour fixe im eigenen Campus-Gebäude, der ganz im Zeichen der Interdisziplinarität steht. Dabei kommen alle Fellows zusammen und tauschen sich aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu einem bestimmten Thema aus. Aber auch andere regelmäßige Veranstaltungen wie Book Clubs, Filmdiskussionen oder Social Fridays würden im virtuellen Raum wahrscheinlich nicht auf so fruchtbaren Boden fallen. Es sind auch oft die spontanen Gespräche auf dem Flur oder beim Kaffee, die ertragreich sind und zu neuen Forschungsinitiativen führen. Vor kurzem hat der wissenschaftliche Beirat des Zukunftskollegs getagt und uns eine wichtige Aufgabe mitgegeben: Um eine Gemeinschaft zu bilden, brauchen wir nicht nur gemeinsame Räumlichkeiten, sondern eine gemeinsame Küche – denn wenn man beim Kochen und Essen miteinander ins Gespräch kommt, dann können auch die unerwarteten, die wirklich neuen, die besonders aufregenden Gedanken für die Wissenschaft von morgen entstehen. Neues entsteht oft, wenn man aus der Alltagsroutine ausbricht.
Wie werden die Fellows rekrutiert?
Das Zukunftskolleg wählt die Fellows in einem kompetitiven, mehrstufigen Verfahren aus. Auf eine Ausschreibung folgt zunächst eine strikte Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten nach formalen Kriterien (zum Beispiel vollständiger Antrag, Jahr der Promotion, disziplinäre Passung zur Universität). Eine Auswahlkommission (bestehend aus den Dekanen aller drei Sektionen an der Universität Konstanz, einem Senior Fellow, einem Alumnus/einer Alumna und einem Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Zukunftskollegs) sichtet alle Bewerberinnen und Bewerber und holt externe Gutachten ein. Auf Basis dieser Gutachten wählt die Kommission die Kandidatinnen und Kandidaten für die 2-Jahres- und 5-Jahres-Fellowships aus. Die Bewerberinnen und Bewerber für eine 5-Jahres-Stelle werden zusätzlich nach Konstanz eingeladen. In einem zweitägigen Symposium entscheidet sich die Kommission schließlich für die neuen 5-Jahres-Fellows.
Können Sie zwei Beispiele für die Laufbahn von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geben, die am Zukunftskolleg waren?
Der Politikwissenschaftler Thomas Bräuninger war von 2001 bis 2008 Fellow am Zentrum für den wissenschaftlichen Nachwuchs (siehe Infokasten) beziehungsweise Zukunftskolleg und von 2004 bis 2008 dessen Direktor. Seit 2009 ist er Professor für Politische Ökonomie an der Universität Mannheim und baute mit seinen Erfahrungen aus dem Zukunftskolleg dort die Graduiertenschule für Wirtschaft und Sozialwissenschaften als akademischer Direktor auf.
Die Sprachwissenschaftlerin Eleanor Coghill kam 2010 aus Cambridge zu uns und war bis 2015 Fellow am Zukunftskolleg. Danach arbeitete sie als Postdoktorandin an der Universität Zürich mit dem Forschungsschwerpunkt „Sprache und Raum“. Seit 2016 ist sie Professorin für Semitische Sprachen an der Uppsala-Universität in Schweden. Ihr ehemaliger Doktorand macht jetzt – als Sprachwissenschaftler – Karriere bei Google.
Woher kommen die Fellows? Wie hoch ist der Frauenanteil?
Von den 99 Fellows waren 58 Prozent international und 38 Prozent davon waren Frauen.
Auch Künstler sind am Zukunftskolleg tätig. Wie werden diese ausgewählt und inwiefern profitieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon?
Das Zukunftskolleg fördert die Gemeinschaft unterschiedlicher Disziplinen und Generationen. Ebenso wie die Fellows etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt als Senior Fellows nominieren und zu einem Forschungsaufenthalt ans Zukunftskolleg einladen können, dürfen auch Künstler als Artists oder Writers in Residence ans Zukunftskolleg kommen. So haben beispielsweise die Künstler Alexander Schellow aus Berlin (2010-2012) und Patrick Tresset aus London (2013) sowie die Autoren Frank Moorhouse aus Sydney (2009) und Heike Schmoll aus Frankfurt (2009) die Kreativität der Fellows durch gemeinsame Projekte an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst angeregt.
Die Künstlerin Julie Pelletier aus Marseille realisierte zusammen mit ihrem Partner, dem Philosophen Julien Bernard, der zwischen 2013 und 2015 Fellow am Zukunftskolleg war, eine Ausstellung im BildungsTURM in Konstanz zum Thema „Gedankengeflechte“.
Im Rahmen des Aufenthalts der Künstler in Konstanz entstanden Werke, die den Common Room beziehungsweise die Kaffeeküche des Zukunftskollegs schmücken, sodass man in jedem Fall von einer kreativen Kaffeepause sprechen kann.
Um eine Gemeinschaft zu bilden, brauchen wir eine gemeinsame Küche.
Prof. Dr. Giovanni Galizia
Erlauben Ihnen die finanziellen Rahmenbedingungen genügend Spielraum für eine erfolgreiche Nachwuchsförderung?
Geld hat man bekanntlich nie genug, aber man lernt, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln sinnvoll umzugehen. Dank der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder und des „Zukunftskolleg Incoming Fellowship Programmes Marie Curie“ der Europäischen Union können wir zufrieden sein. Und ab 2018 wird auch die Hector-Stiftung II ein Fellowship finanzieren. Ab 2019 werden wir sehen, wie es mit der Exzellenzstrategie weitergeht.
Infokasten
Das Zukunftskolleg ging aus dem Zentrum für den wissenschaftlichen Nachwuchs (ZWN) hervor, das bereits seit 2001 an der Universität Konstanz bestand. Dank des Erfolgs der Universität Konstanz mit ihrem Zukunftskonzept in der dritten Förderlinie der Exzellenzinitiative konnte das ZWN im Jahr 2007 auf ein sicheres finanzielles Fundament gestellt werden, was der Ausgangspunkt zur Schaffung des Zukunftskollegs war.
Was ist Ihr Wunsch für die nächsten zehn Jahre Zukunftskolleg?
Dass das Zukunftskolleg auch in den nächsten zehn Jahren dazu beitragen kann, die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an der Universität Konstanz voranzutreiben, damit mindestens weitere 99 junge Menschen strukturelle, finanzielle und persönliche Unterstützung erhalten, um einen Schritt weiter nach oben auf der Karriereleiter zu steigen. Vor allem auch: Viele, ganz neue und aufregende wissenschaftliche Erkenntnisse!
Prof. Dr. Giovanni Galizia...
ist seit 2005 Professor für Neurobiologie und Zoologie im Fachbereich Biologie an der Universität Konstanz und seit 2009 Direktor des Zukunftskollegs. Von 2002 bis 2005 war er zudem Gründungsmitglied der Jungen Akademie, die durch die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und die Akademie Leopoldina in Halle ins Leben gerufen wurde.