Alles ist ein Prototyp

Er ist kein Ingenieur, doch er baut eigenhändig eine Automatisierungsanlage für die chemische Forschung. Möglich machte es das FabLab der Universität Konstanz – und Expertise aus ihren Wissenschaftlichen Werkstätten. Ein Blick über die Schulter von Robert Pazdzior.
© Universität Konstanz, Jürgen Graf

„Everything is a prototype. Nothing is ever truly perfect.“

Robert Pazdzior

Nur knapp fünfzig Schritte. Wenige Meter trennen das FabLab vom Chemiegebäude der Universität Konstanz. Robert Pazdzior kennt diesen Weg sehr gut. Er ist diese fünfzig Schritte häufig gegangen, eigentlich täglich. Hin und zurück, und wieder hin. Jeder Gang zum FabLab bringt ihn seinem Ziel ein Stück näher. Und sein Ziel lautet: mit eigenen Mitteln eine Automatisierungsanlage für die Erforschung und Optimierung von chemischen Reaktionen zu bauen. In komplettem Eigenbau. Individualisiert für die Anforderungen seines Forschungsteams, der Arbeitsgruppe Festkörperchemie (ehemals AG Unterlass).

Pazdzior ist kein Ingenieur. Er ist promovierter Biochemiker und Molekularbiologe. Eigentlich keine Berufsgruppe, von der man erwarten würde, dass sie technische Anlagen baut. „Ich hatte schon immer einen gewissen Tüftlergeist“, erklärt Pazdzior, wie das Projekt überhaupt möglich wurde. In der Tat kam hier eine perfekte Konstellation zusammen: Auf der einen Seite ein engagierter Autodidakt, der die Schraubenschlüssel in die Hand nahm. Auf der anderen Seite das FabLab der Universität Konstanz, eine offene Werkstatt für TüftlerInnen wie ihn. Hier fand sein Erfindergeist eine Heimat – eine Werkstatt für Kreative, um eine Maschine für modernste Forschung zu bauen.

© Jürgen Graf

Besprechung im FabLab: Robert Pazdzior und FabLab-Manager Manuel Bernhardt.

Doch halt, Moment!
Was in aller Welt ist eine Automatisierungsanlage? Um zu verstehen, warum Pazdziors Projekt so besonders ist, müssen wir zunächst einen Blick auf die Maschine werfen. Nein, eigentlich sogar auf die Forschungsgruppe, die dahintersteht. Dieses Team erforscht, wie chemische Reaktionen durch die kluge Wahl der Reaktionsbedingungen verbessert und nachhaltiger gemacht werden können. Eine chemische Synthese läuft anders ab, je nachdem, welche Temperatur herrscht, welcher Druck auf das Reagenz einwirkt, welches Lösungsmittel verwendet wird – und vieles mehr. Die Wahl der richtigen Rahmenbedingungen ist ganz entscheidend für das Ergebnis einer chemischen Synthese – und Reaktionen werden plötzlich möglich, die zuvor undenkbar waren.

Das Problem ist nur: Es erfordert Zeit, um die Reaktionsbedingungen auszutüfteln, und zwar so richtig viel Zeit. Wieder und wieder muss man dieselben Reagenzien in ein Gefäß geben, systematisch die Stellschrauben feinjustieren, schrittweise die Temperatur erhöhen oder senken, um das Ergebnis der Reaktion zu optimieren. Stunden, ja sogar Tage können dafür draufgehen, nur um eine bestimmte Variante zu prüfen. Es ist so zeitaufwändig, dass die meisten Forschungsteams normalerweise nur die aussichtsreichsten Varianten testen würden – und in der Regel nicht zu weit abseits der bekannten Pfade suchen. Den Konstanzer Forscherinnen reicht das aber nicht. Sie wollen neue, innovative Reaktionswege erschließen. Kreativität fängt dort an, wo man die ausgetretenen Wege verlässt. Wissenschaftliche Durchbrüche sind vor allem im Neuland zu finden.

Hier kommt Pazdziors Maschine ins Spiel: Sie soll den zeitaufwändigen Teil übernehmen. Wenn man nicht selbst stundenlang die Reaktionen vorbereiten muss, sondern einer Maschine den lästigen Teil überlassen kann, hat man die Hände und den Kopf frei für kreative Forschung. Bei einem Automaten, der selbstständig eine Sequenz an Reaktionen ausführt, müsste es genau genommen noch nicht einmal ein Mensch sein, der ihr die Instruktionen gibt. An dieser Stelle öffnet sich die Bühne der Forschung für die vielversprechende Welt der Künstlichen Intelligenz und des Machine Learning.

Klingt toll. Also auf zum Online-Shop, ab in den Warenkorb mit der Maschine, Bezahlung bei Anlieferung und die Sache ist erledigt. Wenn es nur so einfach wäre. Denn einfach so kaufen kann man diese Anlage nicht. Sicherlich, es gibt kommerzielle Lösungen für Teile der Aufgaben, aber die hohen Anforderungen der Erforschung hydrothermaler Synthese erfordern eine maßgeschneiderte Lösung.

„Man beginnt mit einem leeren Blatt.“

Robert Pazdzior

Der Plan lautet also, die Maschine selbst zu bauen.
„Man beginnt mit einem leeren Blatt“, schildert Robert Pazdzior die ersten Schritte seines Unterfangens, die Maschine in Eigenbau herzustellen. „Am Anfang wusste ich nicht einmal, wie der Reaktor aussehen wird.“ Er begann mit der Überlegung, wie die Chemikalien in den Reaktor transportiert werden könnten – ohne im Detail zu wissen, wie dieser überhaupt beschaffen sein wird. Aber irgendwo muss man schließlich anfangen. Also baute er ein Greifsystem, das die Probengefäße fassen und bewegen kann. Der erste Prototyp dieser „Roboterhand“ war noch sehr groß, der zweite deutlich kleiner und mit 3D-gedruckten, gummiartigen „Fingern“. Doch letzten Endes entschied sich Pazdzior für eine lasergeschnittene Maßanfertigung.

Als der Greifer funktionierte, ging Pazdzior zum Entwurf der Einspritzstation über: einer Vorrichtung, um die Chemikalien aus den Probengefäßen mittels Spritzennadeln in den Reaktor zu saugen. Zwischen den Arbeitsschritten säubert sich die Einspritzstation selbstständig, bevor sie die nächsten Chemikalien aufnimmt.

Stück für Stück arbeitete Pazdzior sich weiter. Nach und nach füllten sich die Lücken; und auf dem einst leeren Papier nahm eine komplexe Anlage Gestalt an.

Und wieder. Und wieder. Und wieder.
Man baut niemals nur eine Maschine. Man baut unzählige Prototypen. Robert Pazdzior kann selbst nicht mehr sagen, wie viele Varianten er für jede einzelne der Komponenten entwarf – mindestens zwei oder drei, garantiert. Sicher ist er sich aber: Er hätte noch ewig daran weitertüfteln können. „Alles ist ein Prototyp. Nichts ist jemals vollends perfekt. Man kann immer noch nur an dieser einen Kleinigkeit weiterfeilen“, spricht er aus Erfahrung. Für ihn selbst war es eine wichtige Lektion zu lernen, wann etwas „gut genug“ ist und wie man es vermeidet, sich in den Feinheiten des Designs zu verlieren.

Werkstatt für kreatives Denken
Robert Pazdzior startete den Bau der Anlage als Ein-Mann-Projekt, doch Flügel bekam es, als das FabLab hinzukam. Das FabLab ist eine offene Werkstatt der Universität Konstanz, die allen TüftlerInnen Werkzeuge wie 3D-Drucker, Lasercutter und vieles mehr zur Verfügung stellt. Schnell stellte sich aber heraus, dass das FabLab weitaus mehr bietet als nur Werkzeug: Es ist eine Werkstatt für kreatives Denken.

„Das FabLab änderte die Art und Weise, wie ich über das Konstruieren nachdachte“, so Pazdzior. Auch wenn er an diesem Punkt selbst bereits einen 3D-Drucker für seine Arbeitsgruppe gebaut hatte, um Prototypen rasch realisieren zu können, eröffnete ihm das FabLab neue Wege, die Anlage zu planen und zu bauen. Besonders hilfreich war für ihn das Laserschneiden. Neben allen Werkzeugen bot ihm das FabLab aber insbesondere eines: den Austausch mit Gleichgesinnten.

Das FabLab war ein „game-changer“. Für Robert Pazdzior wurde es nun leicht, neue Ideen sehr schnell und unkompliziert auszuprobieren. Wann immer das FabLab auf hatte, war er dort. „Er hat sich auch oft reingeschlichen, wenn es eigentlich nicht aufhatte“, feixt das Team des FabLabs, augenzwinkernd. Robert Pazdzior ist dort ein gern gesehener Gast, fast schon Teil des Teams. Im FabLab war es auch, wo er einen entscheidenden Partner für sein Projekt traf: Thomas Schuchhardt, Elektroingenieur der Wissenschaftlichen Werkstätten der Universität Konstanz.

© Jürgen Graf

Das Team hinter der Maschine (von links nach rechts): Hannah Mehringer (Arbeitsgruppe Festkörperchemie), Thomas Schuchhardt (Wissenschaftliche Werkstätten), Robert Pazdzior und Manuel Bernhardt (FabLab).
 

Einmal pro Woche kommt Schuchhardt ins FabLab und steht dort für Fragen, Tipps und Tricks zur Verfügung. „Wir haben mit dem FabLab eine Kooperation. Ich bin als Ansprechperson für Personen da, die ein Projekt selber machen wollen, aber an ihre Grenzen kommen“, schildert er. Schuchhardt und Pazdzior kamen schnell ins Gespräch. „Robert hat mich mit seinem Projekt fasziniert. Für jemanden, der keinen Ingenieurshintergrund hat, arbeitet er unglaublich sauber. Daraus hat sich eine schöne Partnerschaft entwickelt. Ich habe immer enger mit ihm zusammengearbeitet und Teile des Projekts übernommen, gerade in der Programmierung.“

Was als Einzelprojekt startete, ist längst eine Teamarbeit geworden. Das Team ist es auch, das die Maschine vollenden wird: Wie so oft im Leben eines jungen Wissenschaftlers gibt es einen Ortswechsel, und Robert Pazdzior zog weiter nach New York City. Er hinterlässt das solide Grundgerüst einer fast fertigen Automatisierungsanlage. Für die letzten Schritte gibt er die Maschine nun ganz in die Hände seiner Arbeitsgruppe.

Und Pazdzior, wie geht es bei ihm weiter? Er plant derweil in New York den Bau eines neuen 3D-Druckers, natürlich im Eigenbau. Seine Arbeit im Bereich der Automatisierung will er fortführen, aber diesmal vielleicht ein wenig näher an seinen Wurzeln in der Biochemie und Biologie. So ganz loslassen wird ihn diese Leidenschaft also auch in Zukunft nicht, und wir sind uns sicher, dass es immer ein Projekt geben wird, an dem er weiterfeilen wird. Wie er zu sagen pflegt: Everything is a prototype.

Jürgen Graf

Von Jürgen Graf - 18.12.2024