Interview: Peter Bauer
Herr Bauer, Sie dirigieren seit 25 Jahren das Universitätsorchester. Ist Ihre Aufgabe noch immer eine Herausforderung für Sie?
Es kommt darauf an, was man als Herausforderung begreift. Erfahrung – nicht Routine – hilft natürlich bei der Bewältigung vieler der Rahmenbedingungen und Aufgaben eines Orchesterleiters. Wenn es aber um die Musik selber geht, dann ist jedes neue Werk und meist auch die Wiedereinstudierung eines schon vertrauten Stückes immer wieder eine spannende, intellektuell wie emotional herausfordernde Situation. Deren Bewältigung gerade mit jungen, engagierten, aber in der Regel nicht professionellen Musikerinnen und Musikern ist ein kleines Abenteuer.
Welches Instrument spielen Sie?
Meine eigentlichen „Instrumente“ sind und waren schon sehr früh das Orchester oder der Chor, mit denen ich gerade arbeite. Aber natürlich habe ich auch Instrumente gelernt und studiert, als Hauptinstrument zum Beispiel die Querflöte. Dazu ist für ein Schulmusikstudium und für das Dirigieren das Klavier zumindest als Nebenfach obligatorisch. Während des Kirchenmusikstudiums und als Organist an einer kleinen Kirche im Schwarzwald habe ich dazu einige Jahre – leider nicht sehr erfolgreich – auch Orgel gespielt.
Wie kommen Sie an Ihre Musiker?
Die kommen zu uns. Wenn musikalisch aktive Studierende an die Universität kommen, informieren sie sich natürlich auch über die Möglichkeiten des gemeinsamen Musizierens an ihrer Uni. Und wenn nicht durch einen Aushang, dann werden sie spätestens nach dem nächsten Konzert auf das Uniorchester aufmerksam. Sie können am Anfang eines Semesters vorspielen, und wir überlegen gemeinsam, ob sie den doch ziemlich hohen Anforderungen der vom Orchester gespielten sinfonischen Literatur gewachsen sein werden.
Wann haben Sie begonnen, Ihr erstes Instrument zu spielen?
Meine ersten kindlichen Töne auf der Blockflöte, die ich noch immer für ein sehr reizvolles und anspruchsvolles Instrument halte, waren ausgesprochen lustvoll. Nach einigen für Lehrer wie Schüler eher peinvollen Versuchen auf dem Klavier habe ich erst mit etwa 16 Jahren ernsthaft begonnen, mich mit Musik zu beschäftigen – vor allem mit der Flöte, daneben ein wenig mit Trompete und aus eigenem Antrieb auch wieder mit Klavier.
Die meisten Ihrer Musiker sind Amateure. Sie streben einen nahezu professionellen Standard an, wie Sie sagen. Wie ist das möglich?
Zuerst natürlich durch eine gewissenhafte persönliche Vorbereitung durch jedes einzelne Orchestermitglied, danach aber – das ist dann die Verantwortung des Dirigenten – durch präzise, sinnvoll strukturierte und von Verantwortung für die zu erarbeitende Musik geprägte Probenarbeit. Das Streben nach professionellem Standard heißt ja nicht, dass wir den in jedem Takt auch erreichen. Aber wenn wir uns nicht in jeder Probe darum bemühen würden, etwa weil wir doch nur „Amateure“ sind und Spaß haben wollen, dann würden wir den Anspruch der Kunstwerke verraten, mit denen wir umgehen. Mir macht die Arbeit mit diesem jungen Orchester nicht zuletzt auch deshalb noch immer so viel Freude, weil Orchester und Dirigent in diesem Bemühen – fast immer – einig sind.
Habens Sie, was das Erlernen Ihrer Instrumente anbelangt, auch Tiefen durschschreiten müssen?
Welcher Musiker hätte diese Erfahrung nicht gemacht! Da ich aber nie Instrumentalist werden wollte, haben mich solche unvermeidlichen Krisen nicht allzu sehr belastet.
Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Stücke aus?
Das ist eine interessante, vielschichtige und in meinen Augen wiederum höchst verantwortungsvolle Aufgabe. Ihr unterziehe ich mich nach einem längeren Prozess zu Beginn eines Studienjahres gleich drei- oder vierfach, denn ich lasse das Orchester nach einer Einführung in die zur Wahl stehenden Werke in der Regel über drei oder vier sinnvoll konzipierte Programme mitbestimmen. Dabei versuche ich, viele Gesichtspunkte zu berücksichtigen, von denen ich nur einige nennen kann: Natürlich muss das Orchester die Werke einerseits technisch bewältigen können, andererseits nicht unterfordert sein, und es muss zur vorhandenen oder zur erwartenden Besetzung des Orchesters passen. Darüber hinaus sollen die jungen Musikerinnen und Musiker gerade in einem Universitätsorchester auch Musik und Stilrichtungen kennen lernen, die für sie eine neue kulturelle Erfahrung bedeuten oder bekannte Werke in einen neuen Kontext stellen.
Welches Stück favorisieren Sie persönlich am meisten?
Immer das Stück beziehungsweise das Werk, an dem ich gerade probe.
Zum Beispiel?
Das Programm für das Konzert zum 40jährigen Bestehen des Orchesters am 3. Februar. Nach drei Sätzen aus Leonard Bernsteins „Divertimento for orchestra“, in dem ein amerikanischer Komponist sehr locker und fast parodistisch europäische Musikkultur verarbeitet, folgt das tiefgründige und zugleich hochvirtuose Trompetenkonzert „Nobody knows de trouble I see“ von Bernd Alois Zimmermann, einem der wichtigsten Komponisten der Avantgarde der 1950er-Jahre, das mit der Einbeziehung von Elementen amerikanischer Musik in die 12-Ton-Technik eine Überlagerung divergierender kultureller Schichten anstrebt. Die abschließende und mit großer Begeisterung erarbeitete 9. Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ von Antonin Dvořák trägt den konzeptionellen Sinn dieses Programmes ja bereits im Titel.
Wer ist Ihr Lieblingskomponist?
Diese Frage wird erstaunlich oft gestellt. Warum eigentlich?
Unter den Stücken sind auch Werke, die nicht so oft aufgeführt werden. Ist es eine Gratwanderung, die Stücke so auszuwählen, dass sie sowohl für den Amateur als auch für den Profi ein Hörgenuss sind?
Ja!
Vielleicht, weil das selektive Favorisieren von Musik des vermeintlich "eigenen" Geschmacks so massiv gefördert wird?
Wenn wir Musik nicht mehr in ihrer ganzen Vielfalt von Stilen, Herkunft, Wirkungsmöglichkeiten, Funktionen, Qualitäten, Anspruch, artifizieller Komplexität oder Emotionalität erleben und auch angemessen zuordnen, hören und schätzen können, dann hat Musik den größten Teil ihres Sinnes verloren. Hätte ich nicht die Hoffnung, mit meiner Arbeit einer solchen Entwicklung entgegenwirken zu können, müsste ich sofort mit dem öffentlichen Musikmachen aufhören.
Sie dirigieren auch den Chor der Universität. Bisweilen bringen Sie Orchester und Chor zusammen. Was müssen Sie dabei beachten?
Musiker in einem Orchester, auch Amateurmusiker, und Sänger in einem Laienchor reagieren naturgemäß verschieden in der Umsetzung eines Notentextes. Als Orchesterdirigent muss ich die Musiker von den bereits selbst erarbeiteten und geübten Noten zu einer gemeinsamen musikalischen Gestaltung führen, ein Chor erarbeitet den Notentext in der Regel in den Proben, wobei meine Arbeitsweise – und das ist für den Chor nicht immer leicht umzusetzen - mit dem Erlernen der Noten stufenweise bereits den vielschichtigen Prozess des Gestaltens einbezieht. Bei den gemeinsamen Endproben ist es dann tatsächlich ein gewisser Balanceakt, die unterschiedlichen Voraussetzungen und Herangehensweisen miteinander zu verbinden und beiden Teilen gerecht zu werden.
Lexikon
Universitätsmusikdirektor, kurz UMD, ist ein traditionsreicher Ehrentitel, der Musikern, vor allem Dirigenten, von einer Universität verliehen werden kann. Anlass für diese Auszeichnung waren in der Vergangenheit vielfach langjährige oder besondere Verdienste einer Musikerpersönlichkeit für das Musikleben der Universität, der Stadt oder der kulturellen Landschaft, auch wenn der Träger des Titels nicht unmittelbar an der entsprechenden Universität tätig war. Meist wurde und wird dieser Titel jedoch funktionsbezogen dem Leiter oder der Leiterin von Chor und Orchester, dem „Collegium musicum“, verliehen, entweder ebenfalls im Sinne einer besonderen Ehrung oder – vor allem an Universitäten mit langer Geschichte – als konkrete Berufs- bzw. Amtsbezeichnung. Einer der frühesten und sicher der prominenteste Inhaber dieses Amtes war Johann Sebastian Bach, der in Leipzig auch das studentische „Collegium musicum“ leitete. Einer seiner späteren Nachfolger war dort kurzzeitig der Komponist Max Reger.
Planen Sie weitere internationale Gastspiele?
Ja, und wie immer werden wir dabei vom International Office der Universität und, wie ich hoffe, auch wieder von der Universitätsgesellschaft und dem Verein der Ehemaligen der Universität Konstanz, dem VEUK, unterstützt werden.
Immer wieder wird im Kulturbereich über fehlende finanzielle Mittel geklagt. Wie geht es Ihnen?
Im Lauf der vielen Jahre hat sich der Etat von Chor und Orchester so entwickelt, dass wir zwar sehr knapp und sorgfältig kalkulieren müssen, aber doch gerade so hinkommen. Mit gelegentlicher zusätzlicher Unterstützung, die ich bereits erwähnt habe, können wir auch ehrgeizige Projekte und Konzertreisen realisieren.
Peter Bauer...
studierte Kirchenmusik, Schulmusik, Musikwissenschaften und Dirigieren in Esslingen, Karlsruhe und Freiburg sowie bei verschiedenen internationalen Meisterkursen für Chor- und Orchesterleistung. Schon während der Studienzeit hat er mehrere Chöre und Orchester geleitet und musikpädagogisch gearbeitet. Nach dem Referendariat war er von 1975 bis 2008 Musikerzieher an einem Konstanzer Gymnasium und hatte vielfältige Funktionen im lokalen und regionalen Musikleben inne. 1977 gründete er den Universitätschor Konstanz, den er seither leitet. 1989 wurde er zusätzlich zum Dirigenten des Universitätsorchesters Konstanz berufen. 1995 wurde Peter Bauer zum Universitätsmusikdirektor ernannt und 2002 wurde ihm die Verdienstmedaille der Universität Konstanz verliehen. Seit Gründung der „Kammeroper im Rathaushof Konstanz“ im Jahr 1982 ist Peter Bauer deren künstlerischer Leiter und Dirigent. Er ist Träger der Verdienstmedaille der Stadt Konstanz. Daneben hat sich Peter Bauer auch als Dirigent und Gastdirigent mit Konzerten in der Region und in zahlreichen europäischen Städten, mit CD-und Rundfunkaufnahmen und mit einem Repertoire von der Renaissance bis zu Uraufführungen zeitgenössischer Werke einen Namen gemacht.