Interview: Prof. Dr. Matthias Armgardt
Herr Prof. Armgardt, waren es praktische Gründe, die Sie bewogen haben, das Spannungsverhältnis zwischen Jurisprudenz und Logik zu untersuchen?
Es geht in dem Forschungsprojekt „Jurisprudenz und Logik“ in erster Linie um Grundlagenforschung. Die Systembildung und das Argumentationsniveau in den Rechtswissenschaften sollen durch die Anwendung von Logik verbessert werden. Das Ergebnis hat natürlich auch Auswirkungen auf die Praxis. Aber das ist erst der zweite Schritt.
Sie sprechen von einem „Spannungsverhältnis“ zwischen Recht und Logik. Was ist damit gemeint?
Gemeint ist eine gegenseitige Befruchtung der Disziplinen. Als Jurist erwarte ich von der Logik eine Verbesserung des juristischen Denkens. Die Logiker suchen ein Anwendungsfeld für nicht-klassische Logiken und erhoffen sich vom juristischen Denken Impulse für die Entwicklung neuer Logiken.
Warum haben Sie Rechtswissenschaften studiert?
Ich habe von der Rechtswissenschaft exaktes Denken außerhalb der Mathematik erwartet. Zu Beginn des Studiums hat man gerade auf dem Gebiet des Zivilrechts das Gefühl, diesem Ideal recht nahe zu kommen. Im Verlauf des Studiums sieht man aber immer deutlicher, dass dieses Ideal nicht erreicht wird. Das jetzige deutsch-französische Forschungsprojekt dient dazu, diesem Ideal ein Stück näher zu kommen.
Wie könnte die Logik für das Recht nutzbar gemacht werden?
Es geht darum, juristische Systeme von Widersprüchen zu befreien und dies nicht nur auf Normebene, sondern auch auf der Ebene der hinter den Normen stehenden Wertungen. Bei der Entwicklung von Recht entstehen oft mit der Zeit Widersprüche, die bereinigt werden sollten. Außerdem bedarf die juristische Argumentation der Kontrolle durch die Logik.
Wie kam es zur Kooperation mit Kollegen der Universität Lille?
Es ist die Geschichte einer alten Freundschaft. Ich habe Shahid Rahman vor zehn Jahren in Saarbrücken kennengelernt und mit ihm einen kleinen Aufsatz verfasst. Danach haben wir uns etwas aus den Augen verloren. Vor einigen Monaten genügten eine Email, das gemeinsame Forschungsinteresse und die Zähigkeit von Karlheinz Hülser, dem ebenfalls beteiligten Konstanzer Philosophen und Experten für stoische Logik, im Hinblick auf die Antragsstellung, um das Projekt ins Leben zu rufen.
Welcher Rechtsfall aus der Antike hat Sie besonders interessiert?
Fälle interessieren mich eigentlich kaum, sie sind nur Anschauungsmaterial. Mir geht es in erster Linie um die Rechtsordnung als System und um die hinter den Nomen stehenden Rechtsprinzipien.
Wäre es für Sie denkbar gewesen, auch mit Kollegen eines anderen Landes zu kooperieren?
Natürlich. Ich arbeite mit Kollegen aus den Niederlanden, den USA und vor allem aus Israel zusammen. Außerdem sind bei unserem deutsch-französischen Projekt Berater aus England und Kanada beteiligt.
Es handelt sich um eine interdisziplinäre Kooperation. Wissenschaftler welcher Bereiche genau arbeiten zusammen?
Im Wesentlichen geht es um Juristen und Philosophen.
Wie bibelsicher müssen Sie für Ihre Forschungstätigkeiten als Rechtshistoriker sein?
Soweit es um die Erforschung des biblischen und talmudischen Rechts geht, muss man sich in der Bibel recht gut auskennen und bereit sein, mit den biblischen Sprachen zu arbeiten. Gerade auf dem Gebiet des mosaischen Rechts ist die Kenntnis des Hebräischen unentbehrlich.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler setzen an drei herausragenden Stellen an, um das Spannungsverhältnis zwischen Jurisprudenz und Logik zu beleuchten. Welche Stellen genau haben Sie ausgewählt und warum?
In der zeitlichen Reihenfolge: Am Anfang steht die Stoische Logik und das römisches Recht, dann folgt die Leibnizsche Rechtslogik, und schließlich geht es um die heutigen Entwicklungen. Die ersten beiden Themen ergeben sich aus dem Umstand, dass sowohl die römischen Juristen als auch insbesondere Leibniz die Logik für das Recht fruchtbar gemacht haben und ich das seit Jahren erforsche. Die Franzosen haben sich ebenfalls mit Leibniz befasst und suchen zudem Anwendungsgebiete der von ihnen entwickelten neuen Logiken.
Sie erforschen antike Rechtsgeschichte und IT-Sicherheit. Kommt das bisweilen einem Spagat gleich?
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) konnte noch viel mehr und viel heterogenere Wissensgebiete erfolgreich bearbeiten. Er sagte einmal sinngemäß, ihn habe nicht die Ruhe, sondern die Abwechslung erhalten. Ich glaube, dass es nicht gut ist, wenn man sich dauerhaft nur auf eine einzige Sache konzentriert. Zudem werden Fortschritte oft durch Grenzüberschreitungen erzielt. Von Leibniz habe ich auch die Vorstellung übernommen, dass die Logik der Kern aller Wissenschaften und damit auch der Rechtswissenschaft ist.
Untersuchen Sie bei Ihrem Forschungsprojekt auch aktuelle Gerichtsurteile?
Darum geht es weniger. Grundlegende rechtstheoretische und dogmatische Fragen werden eher von der juristischen Literatur als von der Rechtsprechung erörtert. Diese wendet die Ergebnisse dann – im günstigsten Fall – an.
Könnten die Ergebnisse Ihrer Arbeit auch qualitative Bewertungen von Rechtsordnungen ermöglichen?
Ja. Je mehr Wertungswidersprüche und Systembrüche ein Rechtssystem enthält, desto weniger ist es wert.
Lexikon
Römisches Recht: Man kann zeigen, dass die römischen Juristen die stoische Logik meisterhaft beherrschten. Das römische Recht war auf scharfe Argumentation angewiesen. In erster Linie schuf nicht der Staat Recht durch Gesetze, sondern der Kaiser erteilte besonders qualifizierten Juristen das ius respondendi, wodurch ihre Gutachten Gesetzeskraft erhielten. Durch diese freie Entwicklung der Jurisprudenz ist das römische Recht im zweiten Jahrhundert zu voller Blüte gelangt. Nach dem Untergang des weströmischen Reiches wurden die Schriften der großen klassischen Juristen unter Kaiser Justinian im sechsten nachchristlichen Jahrhundert im Corpus Iuris Civilis auszugsweise zusammengestellt und so überliefert. Das Corpus Iuris Civilis hat die nationalen zivilrechtlichen Kodifikationen Europas maßgeblich beeinflusst.
Das Projekt ist vorerst auf drei Jahre ausgelegt. Gehen Sie davon aus, dass diese Zeit ausreichen wird?
Nein. Wir hoffen aber, einige wesentliche Fortschritte auf allen drei Feldern zu erzielen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat bereits angedeutet, dass eine Verlängerung des Projektes grundsätzlich möglich ist.
Könnten die Ergebnisse Ihres Forschungsprojekts auch auf europäischer Ebene Auswirkungen haben?
Die Ergebnisse, die wir erzielen wollen, sollen grundsätzlich auf jedes Rechtssystem anwendbar sein und können daher auch bei der Erschaffung eines europäischen Zivilrechts Berücksichtigung finden. Ob von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, ist eine andere Frage.
Prof. Dr. Matthias Armgardt...
ist seit Oktober 2009 Inhaber der Professur für Bürgerliches Recht, Antike Rechtsgeschichte, Römisches Recht und Neuere Privatrechtsgeschichte an der Universität Konstanz. Er studierte Rechtswissenschaften in Bochum und Köln und war Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Matthias Armgardt promovierte über die Anwendung der mathematischen Logik auf das Recht bei G. W. Leibniz. Von 1999 bis 2009 war er als Sozius einer Wirtschaftskanzlei auf den Gebieten Geschäftsübernahmen und Fusion, Privates Bau- und Anlagenbaurecht und IT-Recht tätig, von 2005 bis 2007 war er Assistent am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Antike Rechtsgeschichte und Römisches Recht der Ruhr-Universität Bochum. Sein Hebraicum legte der Rechtswissenschaftler an der Fakultät für Evangelische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum ab. In seiner Habilitation an der Universität Köln beschäftigte er sich mit antikem Lösungsrecht.
- Matthias Armgardt ist maßgeblich am Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ beteiligt. Das deutsch-französische interdisziplinäre Forschungsprojekt „Jurisprudenz und Logik“ leitet er zusammen mit Prof. Dr. Shahid Rahman von der Université de Lille III.