Wahlversprechen und ihre Umsetzung erforschen: Wie kommt man an belastbare Ergebnisse?

Im Wahlkampf wird von Parteien viel versprochen – das ist bekannt. Doch inwiefern werden diese Versprechen nachher auch eingelöst? Werden dabei bestimmte Bevölkerungsgruppen bevorzugt und andere vernachlässigt? Fragen, die für die bevorstehenden Europa- und Kommunalwahlen am 9. Juni, aber auch in der Forschung von Elisa Deiss-Helbig eine bedeutende Rolle spielen. Ihre Arbeit leistet einen Beitrag zur Debatte über das stets aktuelle Thema der politischen Ungleichheit.
© © Elisa Deiss-Helbig

Um die Parteien und ihre Wahlversprechen einerseits sowie die Ansichten der WählerInnen andererseits beleuchten und vergleichen zu können, hat die Politikwissenschaftlerin Elisa Deiss-Helbig ein sehr umfassendes Forschungsdesign entwickelt. „Wir haben uns zur Untersuchung unserer Fragestellungen für einen Methoden-Mix entschieden, damit der Unterschiedlichkeit der verschiedenen Arbeitspakete am besten Rechnung getragen werden kann“, erläutert Elisa Deiss-Helbig vom Zukunftskolleg der Universität Konstanz. Die Vielfalt an Methoden und Vorgehensweisen sei auf jeden Fall ein großer Pluspunkt, verlange aber auch vielfältige Erfahrung mit und Wissen von teilweise sehr unterschiedlichen Methoden.

Analyse von Wahlprogrammen, Presseberichten und Bevölkerungseinstellungen
„Konkret haben wir durch eine quantitative Inhaltsanalyse von Wahlprogrammen die Wahlversprechen der deutschen Regierungsparteien und französischen Präsidenten über einen Zeitraum von circa 20 Jahren erhoben und anschließend in einer induktiven Logik die Zielgruppen der Versprechen manuell kodiert“, fährt die Politikwissenschaftlerin fort. Induktiv heißt, dass nicht nach bereits vordefinierten Gruppen in den Texten gesucht wird, sondern die Gruppen so erfasst werden, wie sie in den Texten vorkommen. So wird sichergestellt, dass keine Gruppe übersehen wird. Anschließend werden dann die vielen einzelnen Gruppen unter größere Gruppenkategorien zusammengefasst.

„Aktuell überprüfen wir anhand von Presseberichten oder Bekanntmachungen der Regierung, Parteien oder Ministerien die Umsetzung der Versprechen“, so Deiss-Helbig. Die Auswertung dieser Daten erfolgt dann anhand quantitativer statistischer Verfahren. „Des Weiteren erheben wir aktuell im Längsschnitt – d.h. über die letzten 20 Jahre zu verschiedenen Zeitpunkten - und im Querschnitt – also für Deutschland und Frankreich - verschiedene Merkmale der in den Versprechen identifizierten Zielgruppen.“ Bei den Merkmalen handelt es sich vor allem um die Wahlbeteiligungsquoten dieser Gruppen und das Bild, das diese Gruppen innerhalb der Gesellschaft haben. Letzteres wird anhand der automatisierten Analyse von Mediendaten durch Methoden maschinellen Lernens ermittelt.

Da die Politikwissenschaftlerin auch die Sicht der Bevölkerung interessiert, hat sie zur Ermittlung der Unterstützung von Wahlversprechen durch die Bevölkerung drei Online-Bevölkerungsumfragen durchgeführt - zwei in Deutschland, eine in Frankreich; weitere Umfragen sind für Ende 2024 geplant. Diese Umfragen sollen ganz klassisch Einstellungen der Bevölkerung zu verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, politischen Themen und ihrem Wahlverhalten abfragen, beinhalten aber zudem Survey-Experimente.

„Hier haben wir zum Beispiel den Befragten fiktive Wahlplakate mit Wahlversprechen gezeigt und sie über die Umsetzung dieser Versprechen informiert. Dies soll es uns ermöglichen, kausale Schlussfolgerungen zu ziehen, in diesem Fall von „group appeals“, d.h. die Ansprache bestimmter Gruppen in Wahlversprechen auf zum Beispiel die Unterstützung der Regierungsparteien.“

Elisa Deiss-Helbig

Manöverkritik und Anpassung der Methoden
Die erste Studie hat das Forschungsteam im Herbst 2021 in Deutschland und im Frühjahr 2022 in Frankreich durchgeführt. Dabei sind nach der Auswertung der Daten vor allem zwei Punkte kritisch aufgefallen: „Wir hatten bei den Survey-Experimenten viel Wert auf externe Validität gelegt“, erläutert Elisa Deiss-Helbig, welche die Umfrage während des Bundestags- bzw. Präsidentschaftswahlkampfes durchgeführt hatte. D.h. die Experimente sollten so realistisch wie möglich gestaltet werden, weshalb sie auf echte Versprechen aus den Wahlprogrammen der späteren Regierungsparteien zurückgriffen. „Wir haben dann die Befragten darüber informiert, dass das Versprechen durch die Regierung umgesetzt bzw. gebrochen wurde und untersucht, ob sich dies z. B. auf die Zufriedenheit der Befragten mit der Regierung auswirkt“, berichtet die Politikwissenschaftlerin. Der Rückgriff auf echte Versprechen führte laut Deiss-Helbig jedoch bei der Wahl der Wahlversprechen zu Einschränkungen, sodass die Forschenden bei ihren Analysen sehr darauf achten mussten, dass potentielle Probleme der internen Validität - d.h. möglichst geringer Einfluss potentieller Störvariablen im Experiment - ihre Ergebnisse nicht beeinflussen.

„So mussten wir zum Beispiel sicherstellen, dass die Reaktion der Befragten wirklich auf unser Treatment, also den Umsetzungsstatus und die Zielgruppe des Versprechens, und nicht zum Beispiel auf die konkrete Maßnahme, die versprochen wird, zurückzuführen ist.“

Elisa Deiss-Helbig

Deswegen hat sich das Team dazu entschlossen, in der zweiten Umfragerunde die Befragten mit hypothetischen Szenarien zu konfrontieren, um so möglichst keine Faktoren zu haben, die das experimentelle Design beeinflussen. Dies sollte erreicht werden, indem den Befragten fiktive Wahlplakate vorgelegt wurden, die mehr finanzielle Mittel für Maßnahmen versprechen, die zentral für die im Versprechen angesprochene gesellschaftliche Gruppe sind; wie z. B. Kindergeld für Eltern, Renten für RentnerInnen, bessere Infrastruktur für die ländliche Bevölkerung.

„Zudem haben wir in der zweiten Umfragerunde den subjektiven Aspekt von Gruppenzugehörigkeiten systematisch für eine Vielzahl an sozialen Gruppen abgefragt. Dies hatten wir in der ersten Umfragerunde nur für einzelne Gruppen vorgenommen.“ Dadurch können sie überprüfen, wie groß die Unterschiede zwischen objektiven - gemessen vor allem über sozio-demographische und strukturelle Merkmale - und subjektiven Gruppenzugehörigkeiten sind.

Erste Erkenntnisse
Die Datensammlung zu den Wahlversprechen, vor allem zur Erfüllung der Versprechen, ist laut Elisa Deiss-Helbig noch nicht abgeschlossen. Das bedeutet, hier kann sie noch keine gefestigten Ergebnisse auflisten. „Es kann jedoch schon gesagt werden, dass in den Wahlversprechen eine Vielzahl an gesellschaftlichen Gruppen angesprochen werden und dass diese auch viele in der Forschung als marginalisiert bezeichnete Gruppen beinhalten“, fasst die Politikwissenschaftlerin ihre ersten Erkenntnisse zusammen. „Außerdem ähneln sich die angesprochenen Gruppen in Deutschland und Frankreich. Dieses vorläufige Ergebnis deckt sich durchaus mit der Annahme, dass auf der Ebene der Wahlversprechen, das sogenannte pledge making, eine relativ große Bandbreite an unterschiedlichen Gruppen adressiert wird, um möglichst viele Gruppen zu mobilisieren.“

Als ein vorläufiges Ergebnis aus den Bevölkerungsumfragen stellte das Team fest, dass Befragte immer negativ auf das Brechen von Versprechen reagierten. Allerdings ließen sich keine positiven Effekte für das Erfüllen von Versprechen feststellen. Auch dann nicht, wenn die Befragten eigentlich durch die Erfüllung des Versprechens profitieren müssten bzw. dieses vorteilhaft für Gruppen ist, die man als anspruchsberechtigt auf vorteilhafte politische Maßnahmen betrachtet. Diesbezüglich wird Deiss-Helbig noch weitere Analysen durchzuführen, um zu prüfen, wie robust diese Ergebnisse sind.

Das deutsch-französische Kooperationsprojekt von Elisa Deiss-Helbig mit Theres Matthieß von der Universität Trier und Isabelle Guinaudeau von Sciences Po Paris zeichnet sich durch eine sehr umfassende Methodik aus. Es wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Agence Nationale de la Recherche (ANR) finanziert.
 

Headerbild: So vielfältig wie die Bevölkerung ist, so vielfältig sind auch die Wahlversprechen politischer Parteien. Copyright: Elisa Deiss-Helbig

Bild von Elisa Deiss-Helbig: © Elisa Deiss-Helbig
 

Sigrid Elmer (Zukunftskolleg)

Von Sigrid Elmer (Zukunftskolleg) - 15.05.2024