Wissenschafts­verlage: in guter Gesellschaft?
Der Konstanzer Exzellenzcluster war der einzige seiner Art, der einen eigenen Verlag gründete. Was motivierte ihn dazu?
Alexander Schmitz: Die Universität Konstanz hatte nach meiner Kenntnis selbst schon längere Zeit darüber nachgedacht, einen Universitätsverlag ins Leben zu rufen. Konkretisiert haben sich die Planungen aber erst mit dem damaligen Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“. Eine Überlegung war, dass insbesondere die Geistes- und Kulturwissenschaften, die ihre Qualifikationsschriften nach wie vor in monographischer Form vorlegen, von einem wissenschaftlichen Lektorat profitieren.
Inwiefern unterscheidet sich Konstanz University Press von anderen universitären Verlagen?
Bernd Stiegler: Die meisten Universitätsverlage in Deutschland verstehen sich als Hausverlag. Also als Publikationsorgan von bestimmten Projekten, die an den jeweiligen Universitäten entstanden sind, von Sammelbänden über Monographien bis hin zu Dokumentationen von Forschungsverbünden.
Dagegen diente uns das anglo-amerikanische Modell als Vorbild. Wenn man an Cambridge oder Oxford University Press denkt, oder an die amerikanischen Buchverlage wie Harvard UP, stellt man sehr rasch fest, dass das Programm strukturell offen ist. Wir haben von Anfang an versucht, den Verlag inhaltlich so auszurichten, dass wir ein attraktives interdisziplinär, aber zugleich auch kulturwissenschaftlich ausgerichtetes Programm auf die Beine stellen, bei dem auch Konstanzer AutorInnen vertreten sind, für die aber die gleichen Bedingungen gelten wie für alle anderen auch.
Was bedeutet dies für die Auswahl von Manuskripten?
Bernd Stiegler: Unser Editorial Board, das über die Zu- und Absagen entscheidet, ist mehrheitlich aus Nicht-KonstanzerInnen zusammengesetzt. Das heißt, auch Alexander Schmitz und ich können Bücher nicht zusagen, ohne die Zustimmung unseres Beirats eingeholt zu haben. Und das Editorial Board ist wiederum so ausgerichtet, dass es auch nach außen hin seine Kompetenz hinsichtlich der Valorisierung und Einschätzung der Manuskripte signalisiert. Wir haben es dort mit international renommierten KollegInnen zu tun, aus sehr unterschiedlichen Fachbereichen.
© Universität Konstanz, Marion VoigtmannBernd Stiegler (rechts), Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Konstanz und kup-Verlagsleiter, und Alexander Schmitz (links), wissenschaftlicher Lektor von kup.
Inwiefern ist dieses Modell für WissenschaftlerInnen von Vorteil?
Alexander Schmitz: Wissenschaftliche Publikationen durchlaufen in den wissenschaftlichen Institutionen einen Auswahlprozess, in vielen Fällen zusätzlich auch ein externes Peer-Review-Verfahren. Während sich dieses Verfahren bei Zeitschriften in amerikanischen und englischen Verlagen, oft auch bei Monographien schon etabliert hat, ist dies in Deutschland bei Monographien nur teilweise so. Dabei ist für wissenschaftliche Publikationen ganz zentral, dass nicht der Eindruck entsteht, sie seien aufgrund von Befangenheiten in ein Verlagsprogramm aufgenommen worden.
Wenn ein Universitätsverlag von vornherein die im Haus entstandenen Publikationen ins Programm nimmt, ist das sicherlich eine großartige Dienstleistung. Dadurch entsteht aber ganz automatisch der Eindruck von Befangenheit. Hinsichtlich der Begutachtungskriterien und somit der Markenbildung eines Verlags und der dort publizierenden WissenschaftlerInnen ist dies eigentlich keine gute Idee.
Bernd Stiegler, Sie haben lange als Programmleiter Wissenschaft bei Suhrkamp gearbeitet. Inwiefern haben Ihre Erfahrungen die Konzeption von Konstanz University Press beeinflusst?
Bernd Stiegler: Die Erfahrung, die ich bei Suhrkamp gemacht habe, hat relativ wenig damit zu tun, wie ein kleiner Verlag wie Konstanz University Press funktioniert. Suhrkamp ist ein großer Tanker im wissenschaftlichen Verlagswesen und wir allenfalls eine kleine Fregatte. Auch die Infrastruktur und die Rahmenbedingungen eines Wissenschaftsprogramms bei Suhrkamp sind ganz andere. Wo meine Erfahrungen im Verlagsbereich jedoch geholfen haben, war bei Fragen, die vor Verlagsgründung zu klären waren: Wie gründet man einen Verlag, was ist dabei zu beachten? Die Rahmenbedingungen institutioneller und organisatorischer Art haben wir im Vorfeld relativ breit diskutiert.
"Wir wollten ein schlankes, transparentes und gleichzeitig auch ein für die Universität handhabbares Modell entwickeln, das dann keine Kinderkrankheiten aufweist."
Bernd Stiegler
Wie sah dies konkret aus?
Bernd Stiegler: Wir haben nach einer Verlagsmutter gesucht, bei der wir als Imprint untergebracht sein wollten. Diese Verlagsmutter sollte die allermeisten organisatorischen Aufgaben übernehmen, die wir in unserem Rahmen gar nicht hätten erbringen können. Das geht von der Honorarbuchhaltung über den Abschluss der AutorInnen-Verträge bis hin zu Distribution, Druckerei und darüber hinaus. Andernfalls hätten wir einen Verlag mit einer mittleren Anzahl an MitarbeiterInnen gründen müssen. Eine weitere Schwierigkeit: Wir hätten natürlich eine Bilanzrechnung gehabt, bei der wir schwarze Zahlen schreiben müssten, gleichzeitig darf aber die Universität keine Unternehmen gründen, die Gewinne machen.
Als Lösung haben wir dieses Modell gefunden, dass unsere Verlagsmutter, heute Wallstein, die ökonomischen, vertrieblichen und rechtlichen Aspekte unserer Bücher verantwortet, während wir für das komplette Programm zuständig sind, für die Gestaltung und für das wissenschaftliche Lektorat. Es gibt eine Zweiteilung zwischen der eher inhaltlichen Seite und der eher organisatorisch-administrativen-operativen Seite. Das war die Idee.
Ging die Idee auch ökonomisch auf?
Alexander Schmitz: Die Kosten im Verlagswesen bei solchen Verlagen, die noch Bücher drucken, sind in den letzten Jahren explodiert: aufgrund der Energiepreise, aufgrund der Papierpreise, aufgrund ganz banaler Materialkosten. Wenn wir das nicht im Blick hätten, hätten wir sehr schnell ein Problem. Es gibt immer einige wenige Titel, die Gewinn erwirtschaften, und viele, bei denen man etwa bei null herauskommt. Das ist das ganz normale Mischgeschäft, das man mit verschiedenen Produkten an so einem Markt hat.
Wir drucken mindestens 300 Exemplare Erstauflage, was inzwischen viel im Bereich der Wissenschaft ist. Sehr viele Verlage drucken im Bereich der Qualifikationsschriften gar keine Erstauflage mehr, gehen sofort als book on demand oder print on demand an den Markt, zielen also gar nicht mehr auf den Buchhandel, sondern nur noch auf sehr spezifische Fachinteressen, die dann zu Einzelbestellungen führen.
© Universität Konstanz, Marion VoigtmanRudolf Schlögl, Franco Moretti, Levent Tezcan, Isabell Otto und Dorothee Kimmich haben bei kup publiziert.
Was ist der Anreiz für renommierte WissenschaftlerInnen, die eigentlich überall publizieren könnten, zu kup zu gehen?
Bernd Stiegler: Es gibt in Deutschland eine Handvoll von major publishers, die ohne jeden Zweifel attraktiver sind als wir: Verlage wie Hanser, Suhrkamp, Fischer usw. Das sind allerdings nur sehr wenige. Und danach gibt es ein sehr kleines Mittelfeld von Verlagen, die unserer Meinung nach in etwa auf Augenhöhe sind. Hier spielt dann eher eine Rolle: In welchem Verlag fühlt man sich als AutorIn am wohlsten oder meint, man hätte einen guten Kontext? Denn als AutorIn sucht man sich eine gute Gesellschaft, will sich in dem Verlag und mit den Titeln, die dort bereits erschienen sind, wohlfühlen. Dementsprechend trifft man seine Entscheidung, wie attraktiv man das Programm findet, sowohl was die fachliche als auch die politische, weltanschauliche, wissenschaftliche Ausrichtung angeht.
Und so gibt es, glaube ich, sehr gute Gründe, ein Buch bei Konstanz University Press zu verlegen, zumal wir mittlerweile segensreicherweise auch ganz gute Erfahrungen haben, was Rezensionen anbetrifft. Sehr viele unserer Titel werden auch in den überregionalen Zeitschriften und nicht nur in den Fachzeitschriften rezensiert.
Wir haben schon über attraktive Verlagsprogramme gesprochen. Welche Schwerpunkte setzt das Verlagsprogramm von kup?
Alexander Schmitz: Die Universität Konstanz hat seit ihrer Gründung im Bereich der Geistes- und später in den Kulturwissenschaften einen Schwerpunkt. Um dieser universitären Forschung, die in Konstanz immer interdisziplinär war, auch nach außen ein Gesicht zu verleihen, hat man diesen Verlag gegründet. Es war daher immer der Anspruch, Veröffentlichungen vorzulegen, die nicht nur für den engsten Fachkreis relevant sind, die theoretisch weit ausgreifen und sich nicht in Details verlieren.
Bernd Stiegler: Die interdisziplinäre Ausrichtung sämtlicher Titel bedeutet, dass wir nicht auf Fachpublikationen für einzelne Bereiche zielen. Stattdessen interessieren wir uns für Bücher, die auch von anderen Fächern mit Gewinn gelesen werden können.
Ein wissenschaftliches Lektorat setzt auch eine fachliche Kompetenz voraus, weil Manuskripte aus Fachbereichen, in denen man sich überhaupt nicht auskennt, eben schwer zu lektorieren sind. Das ist eine Erfahrung, die ich auch bei Suhrkamp gemacht habe. Dort wurden eine Zeit lang auch im Bereich der Naturwissenschaften Titel herausgebracht, was einen als Lektor an die Grenzen der Möglichkeiten treibt. Das gilt aber für Geistes- und Kulturwissenschaften in gleicher Weise.
Was würden Sie sich für die Zukunft des Verlags wünschen?
Bernd Stiegler: Erstmal das, was sich alle wünschen: Nachhaltigkeit. Das scheint mir aber zumindest für eine absehbare Zeit gewährleistet zu sein. Und darüber hinaus Handlungsfreiheit und Spielräume, die von unterschiedlichen Faktoren abhängen, wie z. B. einem gewissen Etat für Übersetzungen. Wir haben eine ganze Reihe von Übersetzungen aus verschiedenen Sprachen ins Programm genommen, die uns für deutsche Diskussionszusammenhänge wichtig zu sein schienen oder die auch in einem Diskussionskontext standen, der für die Konstanzer Forschung relevant ist. Zuletzt etwa ein Buch von Peter Probst über die viel debattierte Frage „Was ist afrikanische Kunst?“ oder auch Titel von Georges Didi-Huberman, die einen festen Platz in unserem Programm haben.
Alexander Schmitz: Aus der Erfahrung der vergangenen Jahre würde ich mir einerseits natürlich interessante AutorInnen mit tollen Publikationsvorschlägen wünschen, mit Themen, die einen selber überraschen. Als Lektor lese ich diese Werke ja auch und freue mich dann, dabei etwas zu lernen. Ganz generell schätze ich es, wenn man WissenschaftlerInnen über Jahre begleitet. Manche fangen mit Qualifikationsschriften bei uns an, kommen später auf interessante Stellen innerhalb der Universität oder an andere Positionen und kehren dann mit ihren Publikationen wieder zu uns zurück. Das ist ja auch Teil der Nachhaltigkeit im Publikationswesen.
Einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben wir von der Promotion bis zur Professur publizistisch begleitet. Levent Tezcan, inzwischen Professor in Münster, war als Fellow im Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“. Das in dieser Zeit entstandene Buch Das muslimische Subjekt haben wir herausgebracht. In diesen Tagen erscheint sein neues Buch Alles Rassismus? bei kup.
Headerbild: Universität Konstanz, Marion Voigtmann