Zwischen Wissen und Gewissen
In aktuellen Debatten wird häufig kontrovers diskutiert, was noch wissenschaftliche Erkenntnis und was schon politische Meinung sei. Die Politikwissenschaftlerin Gabriele Spilker kennt dieses Spannungsfeld bestens. Als Wissenschaftlerin beschäftigt sie sich mit dem Klimawandel und dessen Folgen. Zugleich ist sie aktives Mitglied bei „Scientists for Future“. Im Interview erklärt sie, wie sie diese beiden Welten auseinanderhält und bricht eine Lanze für mutige Wissenschaftskommunikation.
Frau Spilker, woher kommt Ihre Motivation, sich als Wissenschaftlerin auch aktivistisch im Kampf gegen den Klimawandel zu engagieren?
Dazu muss ich ein bisschen zu meinem persönlichen Hintergrund ausholen. Bei mir war es ein langer Weg, bis sich meine Rollen als Forscherin und Klimaaktivistin ergänzt haben. Als Wissenschaftlerin vertrete ich das Wissenschaftsbild: Wir produzieren wissenschaftliche Erkenntnisse auf der Basis von wissenschaftlichen Methoden. Das heißt, wir forschen völlig ergebnisoffen, objektiv und reproduzierbar. Lange Zeit hat diese Leitlinie für mich dazu geführt, dass ich meine wissenschaftliche Arbeit und mein Engagement für das Klima strikt getrennt habe.
Über die Jahre habe ich dann verstärkt zum Thema Klimawandel und den Auswirkungen des Klimawandels auf Migration geforscht. Damit einhergehend wurde ich immer frustrierter darüber, wie eindeutig einerseits die wissenschaftliche Erkenntnis zum menschengemachten Klimawandel ist und wie wenig andererseits politisch getan wird, um die dramatischsten Folgen zu verhindern.
„Als 'Fridays for Future' gegründet wurde, war das für mich ein Wendepunkt. Durch mein Engagement bei 'Scientists for Future' möchte ich zum einen wissenschaftliches Hintergrundwissen zur Verfügung stellen und mich zum anderen aktiv am Klimaprotest beteiligen."
Gabriele Spilker
Wer nimmt an den Klimaprotesten teil: die Wissenschaftlerin Gabriele Spilker oder die Klimaaktivistin?
Mir ist es sehr wichtig, das immer transparent zu machen. Wenn ich auf Demonstrationen spreche, mache ich ganz klar deutlich: Ich rede hier in meiner Funktion als Wissenschaftlerin über wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse. Oder aber ich spreche hier als Privatperson Gabi Spilker. Das halte ich für die Glaubwürdigkeit von WissenschaftlerInnen generell für extrem wichtig. Wenn ich als Wissenschaftlerin spreche, dann nur über wissenschaftliche Erkenntnisse, die ich auch als solche deutlich mache. In diesem Moment gebe ich auch keine Spekulationen oder gar Handlungsempfehlungen ab, sondern zeige höchstens die Folgen etwaiger Politikmaßnahmen auf und in welchem Spannungsfeld sie sich befinden. Als Privatperson habe ich in politischen Aushandlungsprozessen natürlich Präferenzen, aber da fängt dann meine private Meinung an. Diese muss ich genauso kenntlich machen.
Der Klimawandel ist eine Thematik, die auch in den Naturwissenschaften erforscht wird. Gibt es einen Unterschied in der Kommunikation zwischen natur- und sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnissen?
Ich glaube, die Kommunikation ist in den Naturwissenschaften manchmal einfacher. Da können die KollegInnen sagen: das sind die Hard Facts und da gibt es keine Debatte. In den Politikwissenschaften gibt es immer Debatten. Wir zeigen auf, wie sich einzelne Maßnahmen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen auswirken. Das macht die Sache für uns SozialwissenschaftlerInnen manchmal ein bisschen komplizierter. Die Naturwissenschaften legen die Basis dafür, dass man sich darin einig ist: Bezüglich des Klimawandels muss etwas getan werden. Aber bei der Frage nach den richtigen Maßnahmen, also im sozialwissenschaftlichen Feld, da steckt der Teufel im Detail.
Könnte es bei den eher emotional aufgeladenen Themen wie Migration oder Klimawandel in der Natur der Sache liegen, dass die Debatten weniger sachlich und rational geführt werden?
Ich bin mir da nicht sicher, was Henne und was Ei ist. Sehr lange war der Klimawandel für viele Menschen keine besonders emotionale Geschichte. Das war kein Thema, mit dem du Wahlen gewinnen konntest. Im Vergleich zum Thema Migration übrigens, wo es seit jeher eine relativ klare parteipolitische Sortierung gab und gibt. Das hat sich erst in den letzten Jahren stark verändert. Grund dafür ist aus meiner Sicht, dass wir jetzt an einem Punkt angekommen sind, wo die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels bedeuten, dass distributive Entscheidungen getroffen werden müssen. Das bedeutet, jemand muss für die Kosten von Klimaschutzmaßnahmen aufkommen. Je nachdem, wie diese ausgestaltet sind, betrifft das einige Menschen mehr und andere weniger. Und das ist dann der Punkt, an dem die Debatten losgehen und Emotionalität ins Spiel kommt. Je nach Maßnahmentyp entstehen übrigens andere Reaktionen. Auf Verbote reagieren Menschen zum Beispiel häufig sehr viel emotionaler und begeben sich automatisch in eine Widerstandshaltung.
Laut dem Wissenschaftsbarometer von 2023 wünschen sich zwei Drittel der deutschen Bevölkerung, Politik solle auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Wie erklären Sie sich vor diesem Hintergrund den Eindruck, dass so viele negative und misstrauische Stimmen gegenüber der Wissenschaft existieren?
Das ist eine Tendenz, die mir bezüglich des Klimawandels große Sorgen bereitet. Das Thema Klima wird immer mehr von rechtspopulistischen Parteien besetzt. Sehr viel funktioniert bei diesen Parteien über die Erzählung eines „Anti-Eliten-Narrativs“. Also nach dem Motto „wir sprechen für das allgemeine Volk und im Gegenzug gibt es eine korrupte Elite, die uns vorschreibt, was wir zu tun haben“. Gerade beim Thema Klimawandel wird diese Elite in den Universitäten verortet. Die Skepsis gegenüber der Wissenschaft kommt sehr stark aus der Wählerschaft dieser Parteien, die hier ein Narrativ bedienen.
„Eine 'Gegengeschichte' zu erzählen und klarzustellen: es ist nicht die wissenschaftliche Elite, die sich irgendetwas ausdenkt – das ist wahnsinnig schwierig."
Gabriele Spilker
Haben Forschende vor dem Hintergrund rechtspopulistischer Narrative eine Verpflichtung, sich vermehrt aktivistisch und politisch für Klimaschutzmaßnahmen zu engagieren?
Auf der einen Seite ja, und ich habe auch viele KollegInnen, die sich regelmäßig auf diversen Plattformen einbringen und dort faktenbasierte Informationen zum Klimawandel zur Verfügung stellen. Und auch mir ist es wichtig, nach wie vor auf Klimaschutzveranstaltungen präsent zu sein, dort wissenschaftliche Erkenntnisse vorzutragen und klarzustellen, dass es sich dabei nicht um Meinungsäußerungen handelt. Aber die Frage ist: Reicht das? Gerade in den sozialen Medien bin ich mir nicht sicher, ob man wirklich etwas bewegt oder einen Unterschied macht. Trotzdem dürfen wir den Kopf nicht in den Sand stecken und müssen weiter in diversen Medien präsent sein. Deshalb halte ich auch eine mutige Kommunikationsstrategie an Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen für enorm wichtig.
Also weniger der Appell „Seid aktivistisch!“, sondern eher „Betreibt mutige Wissenschaftskommunikation!“?
Also „Seid aktivistisch!“, das würde ich sowieso nicht sagen. Wissenschaft und Klimaaktivismus sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Als Person Gabi Spilker ist es mir wichtig, dass mehr Politik zum Klimaschutz gemacht wird. Als Wissenschaftlerin betreibe ich Wissenschaftskommunikation und das ist zugegebenermaßen nicht immer unsere Stärke. Dabei ist aber unser Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ eine große Unterstützung und es ist toll, dass wir in diesem Bereich so viele Möglichkeiten haben. Ein wahnsinnig schwieriger Balanceakt bleibt es trotzdem. Was den Klimawandel angeht, sehe ich noch Potential, das Thema besser in den Medien zu platzieren und eine Gegengeschichte zu erzählen. Zusammengefasst würde ich sagen, dass Klimaaktivismus ein persönliches Anliegen und faktenbasierte Wissenschaftskommunikation unsere professionelle Aufgabe ist.
Gabriele Spilker ist Professorin für „International Politics – Global Inequality“ am Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaften der Universität Konstanz und Co-Sprecherin des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“. Dort leitet sie zusammen mit Sebastian Koos das Forschungsprojekt „Climate Inequalities in the Global South: from Perception to Protest“. Seit 2019 ist sie aktives Mitglied in der Initiative „Scientists for Future“, die sich zur wissenschaftlichen Unterstützung der Jugendbewegung „Fridays for Future“ zusammengeschlossen haben.