Ein Fachbereich der Reform

Der Fachbereich Rechtswissenschaft ist 50 geworden – herzlichen Glückwunsch! Wie kommt es aber, dass er acht Jahre jünger als die Universität ist? Wie viel Reform steckt noch heute in ihm? Und was hat es mit den abgeordneten PraktikerInnen auf sich? Höchste Zeit, mit Fachbereichssprecher Marten Breuer zu reden.
© Universitätsarchiv Universität Konstanz

Prof. Breuer, der Fachbereich Rechtswissenschaft feiert in diesem Wintersemester sein 50. Jubiläum. Er ist aber acht Jahre jünger als die Universität – wie kommt das?

Marten Breuer: Als die Universität Konstanz 1966 gegründet worden ist, gab es an der Universität lediglich vier Professoren für Rechtswissenschaft. Diese gehörten zur damaligen sozialwissenschaftlichen Fakultät. Das heißt, sie haben gar nicht angehende JuristInnen ausgebildet, sondern im Grunde genommen Serviceleistungen für Studierende anderer Studiengänge erbracht. Eine vollständige Juristenausbildung war unter diesen Bedingungen auch gar nicht möglich, zum Beispiel war ganz zu Beginn das Strafrecht, eine der drei Fachsäulen der Rechtswissenschaft, nicht in Konstanz vertreten.

Wie ging es dann weiter?

Zu Beginn der 70er-Jahre gab es bundesweit Bestrebungen, das Jurastudium grundlegend zu reformieren. Traditionell ist es so, dass sich das Jurastudium in zwei Teile aufteilt: zunächst das Studium an der Universität, das abgeschlossen wird mit dem Ersten Staatsexamen; dann das Referendariat mit dem Zweiten Staatsexamen als Abschluss. Man wollte nun weg von dieser Zweistufigkeit. In verschiedenen Bundesländern gab es Initiativen im Hinblick auf eine „einstufige“ oder „einphasige“ Juristenausbildung, in der Studium und Referendariat zusammengeführt werden sollten. Ziel war unter anderem, Theorie und Praxis stärker miteinander zu verschränken. Hierfür musste sogar extra eine Experimentierklausel in das Deutsche Richtergesetz eingefügt werden.

In Baden-Württemberg hat sich letzten Endes Konstanz als Standort für den Modellversuch durchgesetzt. Um hier in Konstanz eine einstufige Juristenausbildung anbieten zu können, brauchte man jedoch ein voll ausgebildetes Kollegium. Das heißt, man musste aufstocken von den ursprünglich vier auf später 15 Professuren. Erst ab diesem Zeitpunkt ist es sinnvoll, von einem eigenständigen „Fachbereich Rechtswissenschaft“ zu sprechen.

Feier zum 50. Jubiläum des Fachbereichs Rechtswissenschaft im Festsaal des Steigenberger Inselhotels, dem historischen Ort der ersten Vorlesungen der damals neugegründeten Universität Konstanz. 

Die Konstanzer Rechtswissenschaft verdankt sich also einer Reform der Juristenausbildung?

Ganz genau. Startschuss für diesen einstufigen Reformstudiengang war der 15. Oktober 1974. Da haben die ersten 100 Jurastudierenden mit der einstufigen Juristenausbildung angefangen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als noch gar keine Prüfungsordnung verabschiedet worden war! Die ist dann erst nachträglich, gegen Ende des Wintersemesters, rückwirkend in Kraft getreten.

Prof. Martin Henssler (Universität zu Köln), ein Konstanzer Student der ersten Stunde, schilderte bei der Jubiläumsveranstaltung unseres Fachbereichs, was für idyllische Zustände hier im Jahr ’74 herrschten. Es gab 100 eingeschriebene Studierende, die Vorlesungen wurden aber gedoppelt, das heißt sie saßen mit 50 Studierenden in den Vorlesungen. Davon sind wir heute weit entfernt. Unser Erstsemester zählt aktuell um die 220 Studierende, die Hörsäle sind randvoll besetzt.

"Was ich bei der Beschäftigung mit der Geschichte unseres Fachbereichs gelernt habe: Wie viel von 1974 noch heute in unserem Studienalltag steckt! Da hat sich ganz vieles hinübergerettet in das Hier und Jetzt, auch wenn wir inzwischen zur traditionellen zweistufigen Juristenausbildung mit Studium und Referendariat zurückgekehrt sind."

Marten Breuer

Was hat sich von dem Reformmodell erhalten?

Ein Beispiel: Ein ganz zentrales Merkmal des Konstanzer Reformmodells war die Idee: Wir wollen die Praxisphase, die traditionell mit dem Referendariat stattfindet, in die Mitte des Studiums verlagern, um auf diese Weise den Praxisbezug zu stärken. Dafür hat man gezielt in jeder Vorlesung Abschlussprüfungen angeboten, um die Studierenden zu einem zielgerichteten Studium anzuleiten.

Das setzt sich in Konstanz bis heute fort: Wir haben nach wie vor in der Studieneingangsphase sehr viele Lehrveranstaltungen mit Abschlussprüfungen. Das ist etwas, das an anderen Standorten völlig unbekannt ist – auch ich habe das in meinem eigenen Jurastudium so nicht kennen gelernt.

Von unserem Modell profitieren wir in Konstanz bis heute: Die Studienstruktur mit Abschlussprüfungen für einzelne Vorlesungen macht es uns nun sehr einfach, den geplanten Bachelor of Laws hier zu etablieren (siehe unten).

Welches Alleinstellungsmerkmal hat die Konstanzer Rechtswissenschaft?

Ein Konstanzer Spezifikum sind die abgeordneten PraktikerInnen, das kennt man aus anderen Fakultäten in Deutschland nicht. Natürlich halten auch an anderen Fakultäten Personen aus der Praxis Lehrveranstaltungen. Aber wir haben die Besonderheit, dass für die Dauer von drei Jahren RichterInnen, StaatsanwältInnen, auch Verwaltungsbeamte oder NotarInnen sich an die Universität Konstanz abordnen lassen können, um hier zu lehren.

Das hängt wiederum mit der Verlagerung der Praxisphase in die Mitte des Studiums zusammen: Man wollte von Beginn an die Studierenden an die Praxis heranführen. Das hat sich bis heute durchgezogen und zeichnet die Ausbildung hier in Konstanz aus: dass man sehr früh mit Menschen zu tun hat, die in der Praxis gearbeitet haben und einem direkt aus dem Berufsalltag berichten können. Das ist eine Grundidee des Konstanzer Modells.

Was zeichnet den Fachbereich in der Forschung aus?

Die starke Interdisziplinarität. Sie ist dem Fachbereich mit in die Wiege gelegt worden, weil wir anfangs ja gar nicht als eigenständige Fakultät konzipiert waren, sondern von vornherein mit anderen Fachbereichen zusammenarbeiteten. Diese stark interdisziplinäre Ausrichtung hat sich über die Jahre beibehalten, gehört aber natürlich auch zur „DNA der Universität“ insgesamt. Das ist ein Spezifikum von Konstanz.

Blicken wir auf die Gegenwart und Zukunft: Was passiert gerade jetzt im Fachbereich? Was brodelt in den Kesseln?

Wir sind gerade mitten in der Einführung eines integrierten Bachelor of Laws (LL. B.), der zum Wintersemester 2025/26 starten soll. Die Genehmigung wurde jüngst im Dezember 2024, auf Grundlage einer neuen Experimentierklausel im Landeshochschulgesetz, durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK) erteilt. Der zentrale Vorteil des neuen Studiengangs: Das Studienangebot führt weiterhin auf das Staatsexamen zu, bietet jedoch alternativ auch vollwertige berufliche und akademische Qualifikationen ohne Staatsexamen.

Die Einführung des LL. B. soll die Studierenden zu einer nachhaltigeren Gestaltung ihres Studiums motivieren. Nach dem bisherigen Studienverlauf spielen die Noten, die in den Vorlesungsabschlussklausuren erbracht werden, gar keine Rolle. Wichtig ist nur, dass man irgendwie mit mindestens 4 Punkten (ausreichend) durchkommt – daher auch das geflügelte Wort „Vier gewinnt!“. Unter dem LL. B. wird das anders sein, weil hier die im Laufe des Studiums erzielten Ergebnisse in die Abschlussnote mit einfließen. Das heißt: Wer mit einer guten LL. B.-Note abschließen möchte, muss schon vorher bessere Leistungen erbringen! Davon profitieren die Studierenden „ganz nebenbei“ auch im Staatsexamen, weil sie mit einer besseren Grundlage in die Examensvorbereitung starten. Unser Ziel ist es ja nicht, das Staatsexamen zu ersetzen, sondern wir bilden mit dem LL. B. die im Laufe des Studiums erbrachten Leistungen lediglich ab.

Darüber hinaus erhoffen wir uns von dem LL. B. eine Entlastung des psychischen Drucks in der Examensphase. Bei der traditionellen Juristenausbildung lastet ein extrem hoher Druck auf den ExamenskandidatInnen, weil sie genau wissen: Nur die zwei Prüfungswochen zählen für’s Examen. Wenn ich da durchfalle oder schlecht abschneide, stehe ich quasi mit dem Abi da und habe ansonsten nichts in der Tasche. Das ist ein Umstand, der immer wieder von Studierendenseite kritisiert wurde.

Welche Änderungen ergeben sich für die Konstanzer Jura-Studierenden sonst noch an der Ausgestaltung ihres Studiums?

"Das ist das Charmante am integrierten LL. B. – am eigentlichen Studium ändert sich inhaltlich praktisch nichts. Nach unserem Modell sollen sich die Studierenden künftig neben dem klassischen Staatsexamensstudiengang zugleich in einen LL. B.-Studiengang „Deutsches Recht“ einschreiben. Wir wollen erreichen, dass die Jura-Studierenden im Wesentlichen keine zusätzlichen Prüfungsleistungen erbringen müssen, sondern das, was sie ohnehin als Prüfungsleistungen haben, für den Bachelor angerechnet bekommen. Der Vorteil ist eine Flexibilisierung der Studien- und Karrieregestaltung, ohne Mehraufwand für die Studierenden."

Marten Breuer

Konstanz ist damit die erste Universität in Süddeutschland, die diesen Modellversuch in der Juristenausbildung wagt. Mit dem Bachelor of Laws möchten wir die 50-jährige Reformgeschichte der Konstanzer Rechtswissenschaft fortschreiben.

Jürgen Graf

Von Jürgen Graf - 05.02.2025