Der Generalimpfstoff gegen die Grippe
Einmal geimpft, für immer geschützt: Für die Grippeimpfung wäre dieser Gedanke ein Traum. Leider ermöglichen die bestehenden Impfverfahren bislang keinen dauerhaften Schutz vor der Grippe (Influenza). Der Grund: Influenza-Viren verändern sich durch Mutation sehr schnell. Jährlich bilden sich neue Virenstämme, gegen die bisherige Impfungen nicht oder nur eingeschränkt schützen. Damit künftig nicht mehr jährlich von neuem gegen Grippe geimpft werden muss, wird gegenwärtig ein alternatives Impfverfahren von einem Forschungsverbund der Universität Konstanz, Universität Tübingen und der Technischen Universität Dresden getestet. Dieses neue Verfahren verspricht einen übergreifenden Schutz gegen alle bekannten Influenza-Mutationen und hat somit gute Aussichten, eine dauerhafte Immunität gegen die Grippe zu erreichen: Anders als die bestehenden Grippe-Impfstoffe zielt das neue Verfahren nicht auf die Erzeugung von Antikörpern gegen spezifische Grippestämme, sondern stimuliert stattdessen T-Lymphozyten (weiße Blutzellen) zu einer generellen Immunantwort gegen Influenza-Viren. Das Forschungsteam unter Federführung des Konstanzer Immunologen Prof. Dr. Marcus Groettrup testet das neue Grippe-Impfverfahren augenblicklich in einer präklinischen Studie. Diese überprüft und vertieft die Ergebnisse einer früheren Pilotstudie, die den prinzipiellen Nachweis für die Wirksamkeit des Verfahrens erbracht hat. Die präklinische Studie wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 1,18 Millionen Euro gefördert.
„Wir haben sehr vielversprechende Anzeichen, dass dasselbe Impfverfahren auch auf das Coronavirus und weitere Klassen von Viren anwendbar ist. Das Verfahren könnte ein Ansatz sein, um eine generelle Immunität gegen Virenklassen – über alle Mutationen hinweg – zu erreichen. Wir erforschen gerade in Kooperation mit den Firmen Trenzyme in Konstanz und Riboxx in Dresden die Ausweitung auf SARS-CoV-2 mit gutem erstem Erfolg“, spricht Marcus Groettrup.
Warum bestehende Impfstoffe nur bedingt gegen Grippe schützen
Jedes Jahr verursachen Influenza-Viren weltweit rund drei bis fünf Millionen Fälle von schweren Grippeerkrankungen und eine Viertel- bis halbe Million Todesfälle, vor allem bei Kleinkindern und älteren Menschen. In Deutschland wird jährlich gegen die Grippe geimpft: Da Influenza-Viren sich durch Mutation verändern, wird der Impfstoff jeden Herbst neu zusammengestellt – jeweils gegen die Grippestämme, von denen vorhergesagt wird, dass sie sich im kommenden Winter in der Bevölkerung ausbreiten könnten. „Das ist sehr aufwändig und sehr teuer. Außerdem ist es schwer, größere Teile der Bevölkerung zu motivieren, sich jedes Jahr impfen zu lassen“, schildert Marcus Groettrup.
Die derzeitigen Grippe-Impfstoffe zielen vor allem auf die Bildung von Antikörpern gegen Influenza-Viren. Diese Antikörper wirken passgenau für bestimmte Grippestämme, wie ein Schlüssel für ein Schloss. Kommen jedoch neue Mutationen des Influenza-Virus auf, kann es sein, dass der Schlüssel nicht mehr passt und die Antikörper ihre Wirkung nicht mehr entfalten.
"Wenn neue, unvorhergesehene Virenstämme aufkommen, kann es also passieren, dass die saisonale Grippeimpfung nicht gegen die tatsächlich auftretenden Viren schützt."
Marcus Groettrup
Der „Generalschlüssel“ gegen Grippeviren
Um diese Probleme zu lösen, wäre ein neues Impfverfahren erforderlich, das nicht nur gegen spezifische Grippe-Virenstämme schützt, sondern gegen das Influenza-Virus im Allgemeinen. Ein aussichtsreiches neues Impfverfahren für einen generellen Grippeschutz wird gegenwärtig von den Forschungsteams um Prof. Marcus Groettrup (Universität Konstanz), Prof. Oliver Planz (Universität Tübingen), Prof. Peter Martus (Universitätsklinikum Tübingen) sowie Prof. Jacques Rohayem (Technische Universität Dresden sowie Geschäftsführer des Unternehmens Riboxx) präklinisch an Mäusen getestet. Sie möchten durch die Stimulation von T-Lymphozyten eine Immunantwort auf Ebene der Zelle erreichen.
T-Lymphozyten und im Besonderen eine Unterform von ihnen, die erst kürzlich entdeckten residenten T-Gedächtniszellen, bilden neben den Antikörpern das „Immungedächtnis des Körpers“: Sie erkennen ein Virus wieder und lösen eine Immunantwort dagegen aus. „Wir ‚trainieren‘ die residenten T-Gedächtniszellen auf ein Antigen aus dem Inneren des Viruspartikels, das bei allen bekannten Virusstämmen nicht verändert ist“, schildert Marcus Groettrup den Ansatz. Auf diese Weise erkennen die T-Lymphozyten das Influenza-Virus im Generellen und wirken übergreifend gegen alle bisher bekannten Stämme. Beim Schlüssel-Schloss-Prinzip der Immunantwort erstellen Marcus Groettrup und sein Team sozusagen den „Generalschlüssel“ gegen Grippeviren.
Nasenspray statt Spritze
Die Impfstoffe werden im neuen Verfahren über sogenannte Mikrosphären in den Körper gebracht. Dies sind biologisch vollständig abbaubare, kugelförmige Partikel von der Größe einer kleinen Zelle, die als eine Art „Transportbehälter“ für das Virus-Antigen und immunstimulierende Stoffe genutzt werden können. Diese Mikrosphären werden per Sprühtrocknung verabreicht. Auf lange Sicht bedeutet das, dass die Impfung potenziell per Nasenspray anstelle durch eine Spritze erfolgen könnte.
Bildunterschrift: Mikrosphären aus biologisch abbaubarem Material, die durch Sprühtrocknung hergestellt werden. Sie enthalten Teile eines Influenza-Virusantigens und eine immunstimulierende Substanz. Das Bild wurde mit 3.000-facher Vergrößerung durch Elektronenmikroskopie erstellt.
Aufnahme: Dennis Horvath, Universität Konstanz