Fledermäuse surfen auf Sturmfronten

Mithilfe ultraleichter Sensoren, die „wie Handys“ in ganz Europa Empfang haben, untersuchen Konstanzer Forschende die Flugwanderungen von Fledermäusen quer über den Kontinent.
© Anton Vlaschenko

Wenn es um beachtliche Flugreisen geht, sind Vögel die unbestrittenen Langstreckenflieger unter den Tieren. Sie sind jedoch nicht die Einzigen: Auch eine Handvoll Fledermausarten ist dafür bekannt, dass sie bei ihren Wanderungen quer über Nordamerika, Europa und Afrika Tausende von Kilometern zurücklegt. Da dieses Verhalten selten und nur schwer zu beobachten ist, sind die Langstreckenflüge von Fledermäusen bisher weitestgehend ein Mysterium geblieben.

Forschende des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie (MPI-AB) und der Universität Konstanz haben die Frühjahrswanderung von 71 Großen Abendseglern – einer in Europa weit verbreiteten Fledermausart – über den europäischen Kontinent nachverfolgt und damit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis dieses geheimnisvollen Verhaltens geleistet. Unter Verwendung ultraleichter, intelligenter Sensoren, die auf das Rückenfell der Fledermäuse geklebt wurden, konnten sie aufklären, welche Strategie die kleinen Säugetiere für ihre Reise nutzen: Um energieeffizient zu fliegen, „surfen“ die Fledermäuse auf den Warmfronten von Stürmen. Die Studienergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.

„Die Daten, die die Sensoren liefern, sind erstaunlich. Wir sehen nicht nur die Flugbahnen, also wo die Fledermäuse entlanggeflogen sind, sondern auch, wie die Tiere während ihrer Reise durch ihre Umgebung beeinflusst wurden. Es ist dieser Umweltkontext, der uns neue Erkenntnisse darüber gebracht hat, welche wichtigen Entscheidungen die Fledermäuse während ihrer energetisch kostspieligen und gefährlichen Reise treffen.“

Edward Hurme

Mit Hilfe neuartiger Sensortechnik gelang es den Forschenden, in Ihrer Studie einen Abschnitt der Gesamtwanderroute der Abendsegler zu erforschen. Sie schätzen, dass die Tiere auf ihrem Weg quer durch Europa Strecken von bis zu 1600 Kilometern zurücklegen können. „Wir sind noch weit davon entfernt, den gesamten Jahreszyklus der Langstreckenwanderung von Fledermäusen zu beobachten – das Verhalten ist für uns immer noch eine Blackbox. Aber zumindest haben wir hier ein Instrument, das etwas Licht ins Dunkel gebracht hat“, so Hurme, Erstautor der Studie und Postdoc am MPI-AB sowie am Exzellenzcluster Collective Behaviour der Universität Konstanz.

Hightech „Marke Eigenbau“
Die verwendeten Miniatursender wurden von IngenieurInnen am MPI-AB entwickelt. Ein einzelner Sender wiegt nur etwa fünf Prozent des Körpergewichts der Fledermäuse und enthält mehrere Sensoren, die sowohl die Aktivität der Tiere als auch die Temperatur der Umgebungsluft aufzeichnen. Wollten Forschende in der Vergangenheit ähnlich detaillierte Langstreckendaten von Fledermäusen erfassen, war es notwendig, die mit entsprechenden Sensoren ausgestatteten Tiere nach ihren langen Reisen erneut aufzuspüren, da die Sensordaten nur aus kurzer Distanz heruntergeladen werden konnten.

Der in der aktuellen Studie verwendete Sender dagegen komprimiert die Daten, insgesamt 1440 tägliche Sensormessungen, zu 12-Byte-Nachrichten, die über ein neues Langstrecken-Funknetzwerk versendet werden können. „Die Sender kommunizieren mit uns, egal wo sich die Fledermäuse gerade aufhalten, weil sie eine europaweite Abdeckung haben – ähnlich wie ein Mobiltelefonnetz“, sagt Timm Wild, Hauptautor der Studie. Er leitete die Entwicklung des sogenannten „ICARUS-TinyFoxBatt“-Senders in seiner Arbeitsgruppe für Animal-borne Sensor Networks am MPI-AB.

Keine einheitliche Reiseroute
In Ihrer Studie setzte das Forschungsteam diese Sender nun beim Großen Abendsegler ein, einer von nur vier Fledermausarten, von denen bekannt ist, dass sie jahreszeitlich über weite Strecken quer durch Europa wandern. Dafür besenderten sie über drei Jahre jedes Frühjahr in der Schweiz ausschließlich Weibchen der Fledermausart, da diese stärkeres Migrationsverhalten zeigen als die Männchen: Sie verbringen den Sommer in Nordosteuropa und halten von Winter bis Frühling in weiter südlichen Regionen ihren Winterschlaf.

© MPI für Verhaltensbiologie / Christian Ziegler

Die Sender begleiten die Tiere bis zu vier Wochen lang. Danach fallen sie ab.


Die Sender lieferten jeweils bis zu vier Wochen lang Daten, während sich die Weibchen auf ihre Reise zurück in den Nordosten begaben. Die übermittelten Daten zeigten, dass die Wanderrouten der Fledermäuse viel variabler sind als bisher angenommen. „Es gibt keinen Migrationskorridor“, sagt Dina Dechmann vom MPI-AB, ebenfalls Erstautorin der Studie. „Wir hatten angenommen, dass die Fledermäuse einer einheitlichen Route folgen, aber anhand der Daten konnten wir sehen, dass sie sich stattdessen überall in der Landschaft bewegen – in einer allgemeinen nordöstlichen Richtung.

Weiter als bisher bekannt
In ihrer Auswertung der Daten unterschieden die Forschenden zwischen den ca. einstündigen Futtersuchflügen und den viel längeren Wanderflügen der Fledermäuse. Sie fanden heraus, dass die Abendsegler in einer einzigen Nacht fast 400 Kilometer zurücklegen können – ein neuer Beobachtungs-Rekord für diese Art. Die Fledermäuse unterbrechen ihren Zug mit häufigen Zwischenstopps, wahrscheinlich weil sie jeden Tag Nahrung aufnehmen müssen. „Anders als Zugvögel bereiten sich Fledermäuse nicht auf die Wanderung vor, indem sie über längere Zeit Fett ansetzen“, sagt Dechmann. „Sie müssen jede Nacht ‚auftanken‘, sodass ihre Wanderung nicht geradlinig, sondern in Sprüngen verläuft.“

Die Forschenden entdeckten dabei ein auffälliges Muster. „In bestimmten Nächten beobachteten wir eine ‚Explosion‘ von Abflügen, die auf dem Bildschirm wie ein ‚Fledermausfeuerwerk‘ aussah“, sagt Hurme. „Wir mussten einfach herausfinden, worauf all diese Fledermäuse in den besagten Nächten reagierten.“

© Hurme et al. Science 2025

Beispielhafte Darstellung der Fledermausflugbahnen über einen Zeitraum von drei Tagen. Es ist zu sehen, dass in einer Nacht mit sinkendem Luftdruck (Mitte) viele Tiere gleichzeitig abfliegen.

Des Rätsels Lösung: Die Abwanderungswellen können durch Wetterveränderungen erklärt werden. Die Fledermäuse zogen in solchen Nächten los, in denen der Luftdruck sank und die Temperatur in die Höhe schnellte. Mit anderen Worten: die Fledermäuse flogen ab, bevor Stürme aufzogen. „Sie ‚ritten‘ sozusagen auf den Sturmfronten und nutzten die Unterstützung durch warme Rückenwinde“, sagt Hurme. Die Aktivitätssensoren der Sender erfassten außerdem, dass die Fledermäuse in diesen Nächten weniger eigene Energie beim Fliegen verbrauchten. Die kleinen Säugetiere nutzen also unsichtbare Umgebungsenergie für ihre Wanderflüge. „Es war bereits bekannt, dass Vögel während ihrer Wanderung den Rückenwind nutzen, und jetzt sehen wir, dass Fledermäuse das auch tun“, fügt Hurme hinzu.

Eine Chance für den Artenschutz?
Die Bedeutung der Studienergebnisse geht über die biologischen Erkenntnisse zu diesem wenig erforschten Verhalten hinaus. Fledermäuse sind auf ihren Wanderungen oft durch menschliches Handeln bedroht, insbesondere durch Windräder und -turbinen, mit denen es häufig zu Kollisionen kommt. Zu wissen, wo und wann Fledermäuse auf Wanderschaft sind, könnte helfen, Todesfälle zu verhindern.

„Vor unserer Studie wussten wir nicht, was die Wanderung der Fledermäuse auslöst. Weitere Studien wie diese werden den Weg für ein Vorhersagesystem für Fledermauswanderungen ebnen. Wir könnten dann die Fledermäuse schützen, indem wir Windparks vorwarnen, die dann wiederum ihre Turbinen in den Nächten abschalten, in denen vermehrt Fledermäuse durchziehen.“

Edward Hurme

Headerbild: Der Große Abendsegler ist eine von nur vier Fledermausarten, die in Europa über weite Strecken wandern

Carla Avolio, Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und Daniel Schmidtke, Universität Konstanz

Von Carla Avolio, Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und Daniel Schmidtke, Universität Konstanz - 14.01.2025