Flüssiger Kontinent

Seit dem Wintersemester 2018/2019 forscht und lehrt Prof. Dr. Manuel Borutta an der Universität Konstanz zur Geschichte des modernen Mittelmeerraumes.
© Elisée Reclus, Nouvelle géographie universelle. La terre et les hommes, Bd. 1, L’Europe méridionale, Paris 1876: 50

Mit vier neu besetzten Professuren hat das Fach Geschichte an der Universität Konstanz innerhalb von nur zwei Jahren einen kleinen Generationenwechsel vollzogen. „Das erzeugt natürlich eine gewisse Umbruch- und Aufbruchsstimmung“, sagt Manuel Borutta, Professor für Neuere und Neueste Geschichte mit Schwerpunkt 19. und 20. Jahrhundert. Seit Oktober 2018 arbeitet er in Konstanz zur Geschichte des modernen Mittelmeerraums. Sein Schwerpunkt lässt sich dabei kongenial mit den Studien des Kollegiums verbinden: „Es gibt hier epochenübergreifend große Kompetenz, vielfältige Anknüpfungspunkte und ernsthaftes Interesse an der Geschichte der Region.“

Das Fach Geschichte sei hervorragend aufgestellt, die Universität aufgrund ihrer relativ kleinen Fachbereiche und der einladenden Campusarchitektur besonders geeignet für den interdisziplinären Dialog. „Die starke Theorieorientierung in den Kulturwissenschaften erleichtert es, über Fachgrenzen hinweg miteinander ins Gespräch zu kommen“, begründet er seine Entscheidung für Konstanz.
Die Arbeiten von Manuel Borutta und seinem Team reichen vom späten 18. bis ins frühe 21. Jahrhundert. Thematisch geht es um die Entstehung und Auflösung von Imperien, die Begegnung und den Konflikt verschiedener Religionen und Weltanschauungen, Nationalismus und Faschismus, Schmuggel und organisiertes Verbrechens, Migration und Erinnerung, aber auch um den Wandel unserer Vorstellungen von Zeitlichkeit.

Im Zentrum steht der „flüssige Kontinent“ des Mittelmeerraumes, der als eine Kontaktzone Afrikas, Asiens und Europas gefasst wird, die bereits vor der neuzeitlichen Globalisierung eng vernetzt war und in der sich Grenzen seither immer wieder verschoben haben. Mediterrane Geschichte wird so als ein Ansatz verstanden, der europäische und nicht-europäische Perspektiven auf fruchtbare Weise zu verbinden vermag. Zugleich sollen die Kategorien „europäisch“ und „nicht-europäisch“ aber auch kritisch hinterfragt werden, denn während sich die Grenzen zwischen Europa, Asien und Afrika hier derzeit zu verfestigen scheinen, verschwimmen sie in der Vergangenheit buchstäblich.

Auf vergleichsweise kleinem Raum zeige die Region beeindruckende interkontinentale Dynamiken. Der globalhistorische Zugriff dürfe daher nicht auf die Erforschung weiträumiger Beziehungen begrenzt werden.

„Wir blicken deshalb nicht nur auf die Region selbst, sondern auch auf ihre Beziehungen, Verbindungen und Wechselwirkungen mit anderen Teilen der Welt.“

Manuel Borutta, Professor für Neuere und Neueste Geschichte mit Schwerpunkt 19. und 20. Jahrhundert.
Darüber hinaus lasse sich der Mittelmeerraum gut mit anderen maritimen Interaktionsräumen wie der Karibik, der Nordsee oder dem Schwarzen Meer vergleichen. „In diesem Sinne sind die Forschungen der Arbeitsgruppe auch Teil des ‚Maritime Turn‘, den die Geschichtswissenschaft derzeit vollzieht“, erklärt der Historiker.

Um die historische Forschung zum modernen Mittelmeerraum zu bündeln und sichtbarer zu machen, leitet Manuel Borutta seit 2018 das Netzwerk „Modernes Mittelmeer: Dynamiken einer Weltregion 1800-2000“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dessen Mitglieder an internationalen Einrichtungen der Mittelmeerstudien mit anderen Forschern zusammentreffen, um eine integrierte Perspektive auf die Region und ein besseres Verständnis ihrer gegenwärtigen Probleme zu gewinnen. Sein individuelles Forschungsinteresse gilt derzeit den mediterranen Verflechtungen Frankreichs und Algeriens in kolonialer und postkolonialer Zeit. Im Netzwerk sollen solche räumlichen und thematischen Schwerpunkte im größeren Kontext des gesamten Mittelmeerraums betrachtet werden, um Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Beziehungen zu identifizieren. So wird sich etwa das nächste Netzwerk-Treffen am Orient-Institut Beirut den arabischen Perspektiven auf die Region widmen.

Zur Person

Bevor Manuel Borutta seine Professur an der Universität Konstanz zum Wintersemester 2018/2019 antrat, war er Juniorprofessor für Kulturgeschichte des Mittelmeerraums an der Ruhr-Universität Bochum. Seit Februar 2018 leitet er das DFG-Netzwerk „Modernes Mittelmeer: Dynamiken einer Weltregion 1800-2000“.

Janne Tüffers

Von Janne Tüffers - 10.09.2019