„Hilfe zur Selbsthilfe“ der Korallenriffe

Biologe der Universität Konstanz plädiert für die Optimierung natürlicher Prozesse der Hitzetoleranz von Korallen.
© Anna Roik

Korallenriffe sind die Regenwälder des Meeres. 30 Prozent der marinen Biodiversität ist von Korallenriffen abhängig, wirtschaftlich gesehen sind es global rund eine Milliarde Menschen. Gleichzeitig sind Korallenriffe als Ökosysteme stark vom Klimawandel bedroht. In einer Übersicht, die in der aktuellen Ausgabe des Online-Journals Nature Reviews Earth & Environment erschienen ist, fasst Prof. Dr. Christian Voolstra von der Universität Konstanz gemeinsam mit einer internationalen Gruppe von ExpertInnen natürliche Prozesse zusammen, die die Widerstandsfähigkeit von Korallen als repräsentative Schlüsselarten erhöhen können, um dadurch Korallenriff-Ökosystemen besser zu helfen. Sie plädieren dafür, vielversprechende Ansätze aus der Natur zu identifizieren und daraus Methoden zu entwickeln, um die natürliche Hitzebeständigkeit von Korallen zu erweitern und sie dadurch resistenter zu machen. Ziel ist, ein Arsenal an Methoden für die Hilfe zur Selbsthilfe von Korallen zur Verfügung zu stellen.

© Helena Villela

Das 1,5 Grad-Ziel reicht nicht aus
Die historisch gesehen extrem gute Anpassung von Korallen an das Klima stellt in Zeiten des Klimawandels eine Bedrohung dar: Selbst das Ziel, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, reicht für Korallenriffe nicht aus. Korallen sind in so hohem Maß angepasst, dass selbst kleinste Erwärmungen sie stark beeinträchtigen. Das zeigt sich aktuell etwa in den Korallenbleichen, einem Symptom dafür, dass die Symbiose zwischen Korallen und der Photosynthese assoziierter Algen gestört ist. „Man muss etwas tun“, so die Überzeugung der an der Studie beteiligten Forschenden.

„Wir bewerben eine Herangehensweise, die davon ausgeht, dass die Natur selbst die besten Lösungen findet bzw. gefunden hat. Was könnten also Lösungen in der Natur sein, wo sind sie zu finden und wie können wir sie am besten einsetzen?“

Prof. Dr. Christian Voolstra, Professor für Genetische Adaption in aquatischen Systemen an der Universität Konstanz

Korallenriffe zu restaurieren, indem Korallen fragmentiert werden, um daraus neue Kolonien wachsen zu lassen, hat sich als nicht besonders effizient erwiesen: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese neuen Korallen beim nächsten Hitzestress wieder absterben. Deshalb konzentrieren sich die Forschenden auf die Frage, wie die Erfolgsaussichten der Restauration verbessert werden können.

Resistente und weniger resistente Kolonien
Eine Möglichkeit besteht darin, das Ausgangsmaterial besser auszuwählen. Tatsächlich sind nicht alle Korallen überall gleich sensitiv. So gibt es Riffe mit extrem resistenten Korallen, die bei der Restauration von Kolonien ihre robusten Eigenschaften weitergeben können. Für die Identifizierung solcher Korallenarten wurde in der Arbeitsgruppe von Christian Voolstra eigens der Schnelltest CBASS („Coral Bleaching Automated Stress System“) zur Überprüfung der Hitzeresistenz von Korallen entwickelt, der gerade von ihm selbst im Roten Meer zum Einsatz kam. „Es gibt tatsächlich eine große natürliche Varianz von sehr resistenten Kolonien und sehr anfälligen Kolonien selbst innerhalb eines Korallenriffs“, konnten Christian Voolstra und sein Forschungsteam feststellen.

Korallenlarven werden an härtere Umweltbedingungen gewöhnt
Ein zweiter Ansatz, Restaurationsmethoden zu optimieren, ist, die Korallen durch Konditionierung resistenter zu machen. Die Methode des „Environmental Hardening“ besteht darin, ganz junge Korallen, Korallenlarven, an härtere Umweltbedingungen heranzuführen, indem sie nach und nach auf einem geringen Level gestresst werden. Wie sich bereits gezeigt hat, können diese so „geprimten“ Korallen mit dem realen Stress besser umgehen. Ein Forschungszweig beschäftigt sich eigens damit, die Umweltbedingungen zu finden, bei denen die Korallen gelernt haben, unter extremen Bedingungen zu leben. Kolonien nahe der Küste etwa sind starken Temperaturschwankungen ausgesetzt, da an solchen Stellen die Wassertemperaturen tagsüber wärmer und nachts kälter sind. Das macht die Korallen widerstandsfähiger.

Mit Korallen assoziierte Algenspezies haben unterschiedliche Stressresistenz
Des Weiteren kann der Umstand, dass Korallen mit ihren assoziierten Algen als sogenannte Holobionten in Symbiose leben, dafür genutzt werden, die Stresstoleranz der Korallen zu erhöhen. Auch unter den verschiedenen Algenspezies, die mit Korallen assoziiert sind, gibt es Unterschiede in der Stressresistenz. In der frühen Entwicklungsphase sind die freischwimmenden Korallenlarven meist noch nicht mit Algen assoziiert. In diesem Optimierungsansatz werden den Korallen im Larvenalter bestimmte Algenarten zur Verfügung gestellt. Es hat sich gezeigt, dass sie sich in diesem Stadium sehr gut auf Dauer mit den resistenten Algen vergemeinschaften lassen. Tatsächlich ist es sogar so, dass es den Hitzestress braucht, damit die Symbiose mit den robusten Algenarten bestehen bleibt.

Verpflanzung von resistentem Mikrobiom auf anfällige Korallen
Schließlich besteht die Möglichkeit, auch die Bakterien, mit denen Korallen in Gemeinschaft leben, für das Ziel der optimierten Hitzeverträglichkeit einzusetzen. Das kann entweder durch die Verpflanzung des Mikrobioms gesunder, stressresistenter auf anfällige Korallen passieren oder durch die Gabe eines probiotischen Cocktails, der aus einem Mix verschiedener nützlicher Bakterien besteht, die von besonders resistenten Kolonien gewonnen wurden. In der kürzlich veröffentlichten Studie „Coral microbiome manipulation elicits metabolic and genetic restructuring to mitigate heat stress and evade mortality“, an der Christian Voolstra ebenfalls mitwirkte, konnten die Forschenden zeigen, dass durch eine probiotische Gabe langfristig die Mortalität von Korallen aufgrund akuten Hitzestresses um 40 Prozent gesenkt werden konnte.

Wichtig ist, dass bei dieser Form der Manipulation – im Gegensatz zu Genmodifikationen – kein fremdes Material hinzugefügt wird. Christian Voolstra spricht sich gegen Genmanipulation aus: „Es ist sehr schwer vorherzusagen, was fremdes genetisches Material in komplexen Ökosystemen für Auswirkungen hat, speziell bei Mikroorganismen, die extrem kurze Reproduktionszeiten haben und somit schnell evolvieren können.“

Die Überblicksstudie geht in einem zweiten Teil auch auf die Möglichkeiten ein, Verfahren zu standardisieren, um sie replizierbar und transparent zu machen. So ist bereits eine globale Datenbank mit standardisierten Experimenten und Ergebnissen im Entstehen. Mit künstlicher Intelligenz sollen Stellschrauben für notwendige Eingriffe identifizierbar werden.

„Der Zeitpunkt, an dem sich die Natur selbst regenerieren konnte, ist verstrichen. Es liegt an unserer Generation, dieses Arsenal an Methoden nun zu identifizieren und einzusetzen.“

Prof. Dr. Christian Voolstra

Prof. Dr. Christian Voolstra vom Fachbereich Biologie der Universität Konstanz gibt gemeinsam mit einer internationalen Gruppe von ExpertInnen einen Überblick über natürliche Prozesse, die sich zur Optimierung der Widerstandsfähigkeit von Korallen eignen.

Originalpublikation:
Christian R. Voolstra, David J. Suggett , Raquel Peixoto, John E. Parkinson, Kate M. Quigley, Cynthia B. Silveira, Michael Sweet, Erinn M. Muller, Daniel J. Barshis, David G. Bourne and Manuel Aranda : Extending the natural adaptive capacity of coral holobionts. Nature Reviews Earth & Environment

Maria Schorpp

Von Maria Schorpp - 12.10.2021