Mehr Akzeptanz für tierversuchsfreie Methoden

Universität Konstanz Teil des neugegründeten „3R-Netzwerkes Baden-Württemberg“

Die Universität Konstanz und das ansässige „Zentrum für Alternativen zum Tierversuch in Europa“ (CAAT-Europe) unter Leitung des Konstanzer Biologen Prof. Dr. Marcel Leist sind Teil des neugegründeten „3R-Netzwerkes Baden-Württemberg“. Ziel des landesweiten Hochschulnetzwerkes ist, „die wissenschaftliche Forschung und den Tierschutz gleichermaßen zu verbessern“, schildert das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK) in seiner Pressemitteilung. Von den insgesamt 3,8 Millionen Euro Fördermitteln des MWK werden der Universität Konstanz für ihr Vorhaben „Forschungs- und Harmonisierungsmaßnahmen zur Förderung der Akzeptanz tierfreier neuer Ansatzmethoden in verschiedenen Interessengruppen (NAM-ACCEPT)“ rund 495.000 Euro zur Verfügung gestellt. Die Universität Konstanz und das CAAT-Europe möchten mit diesem Projekt tierversuchsfreie Verfahren verfeinern, Transparenz und Akzeptanz für diese Alternativmethoden schaffen sowie den internationalen Austausch zwischen Forschenden, Politik und Wirtschaft stärken.
 
Das „3R-Netzwerk Baden-Württemberg“ vereint führende biomedizinische Einrichtungen des Landes in dem gemeinsamen Anliegen, den Tierschutz in Forschung und Lehre zu verbessern und insbesondere die Forschung im Bereich der Alternativmethoden zum Tierversuch voranzubringen. Es widmet sich dabei der Um- und Fortsetzung des sogenannten 3R-Prinzips, welches sich sprachlich aus dem englischen „replace – reduce – refine“ ableitet. Das Prinzip fordert die Vermeidung (replace) beziehungsweise das Verringern (reduce) von Tierversuchen auf ein Minimalmaß. Dort, wo Tierversuche aktuell noch notwendig oder vorgeschrieben sind, sollen hingegen bestehende Methoden verbessert werden (refine), um Tierleid zu reduzieren.
 
Die Universität Konstanz hat auf dem Gebiet der Alternativmethoden zu Tierversuchen eine Vorreiterrolle: Sie war 2006 die bundesweit erste Universität mit einem Lehrstuhl für „In-vitro Methoden zum Ersatz von Tierversuchen“, welcher durch Prof. Dr. Marcel Leist besetzt und zunächst durch die Doerenkamp-Zbinden Stiftung finanziert wurde. 2010 wurde an der Universität Konstanz außerdem das „Zentrum für Alternativen zum Tierversuch in Europa“ (CAAT-Europe) eingerichtet, welches in Ko-Direktion durch Marcel Leist von der Universität Konstanz und Prof. Dr. Thomas Hartung von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore geleitet wird. Das CAAT-Europe übernimmt auch die Koordination des Konstanzer Vorhabens im Rahmen des „3R-Netzwerkes Baden Württemberg“.
 
Alternative Methoden weiterentwickeln
Ein Bericht der Europäischen Kommission aus dem Jahre 2020 kommt zu dem Schluss, dass die Zahl der jährlich in Europa für Forschungs- und Versuchszwecke gemeldeten Tiere eine im Sinne des Tierschutzes positive Entwicklung zeigt. Um mithilfe von Alternativmethoden eine weitere Reduktion von Tierversuchen voranzutreiben, fahren die Universität Konstanz und das CAAT-Europe im Rahmen des geförderten Landesnetzwerks nun eine Doppelstrategie: Forschung und internationale Standardisierung.
 
In einigen Bereichen von Industrie und Forschung finden Alternativmethoden zum Tierversuch bereits reguläre Anwendung. Insbesondere für eine breitere Akzeptanz und Anwendbarkeit in den Regulierungswissenschaften und der Biomedizin besteht jedoch weiterer Forschungsbedarf. Daher wird das CAAT-Europe im Rahmen der Landesförderung zusätzlich zu der bereits bestehenden Netzwerk- und Informationsarbeit im Bereich der Alternativmethoden zum Tierversuch selbst forschend tätig werden. Dabei sollen an der Universität Konstanz mitentwickelte Alternativmethoden zum Tierversuch verfeinert und besser charakterisiert werden. Ein Forschungsschwerpunkt des CAAT-Europe wird so auf der experimentellen Untersuchung biokinetischer Prozesse in menschlichen Stammzellkulturen, einer etablierten Alternativmethode zum Tierversuch, und deren mathematischen Modellierung liegen. Neue Erkenntnisse darüber, wie sich zum Beispiel Wirkstoffe über die Zeit in der Zellkultur verteilen und wie sie dabei reagieren oder durch Stoffwechselvorgänge umgesetzt werden, sind erforderlich, um eine bessere Übertragung der Ergebnisse aus tierfreien in-vitro Studien („Reagenzglasstudien“) oder in-silico Studien (Computersimulationen und mathematische Modelle) auf den Menschen zu ermöglichen.
 
Standardisieren und Akzeptanz schaffen
Das zweite Ziel des CAAT-Europe innerhalb des geförderten Projekts ist – neben der Verbreitung der erzielten Forschungsergebnisse im Netzwerk selbst – die stärkere Standardisierung von Versuchsprotokollen, den Validierungs- und Zulassungsprozessen von Alternativmethoden zum Tierversuch sowie der Meldung, Speicherung und Bereitstellung von Forschungsdaten. 

Durch maximale Transparenz und internationale Standardisierung soll die Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen aus dem Bereich der Alternativmethoden zum Tierversuch steigen und deren Förderung und Anwendung für die biomedizinische Forschung sowie für globale Akteure aus Politik und Industrie attraktiver werden.

Dr. Giorgia Pallocca, stellvertretende Direktorin und Koordinatorin des CAAT-Europe

 
Im Bereich der Internationalisierung wird das „3R-Netzwerk Baden-Württemberg“ auch von den Vorarbeiten des CAAT-Europe profitieren. Das CAAT-Europe pflegt als unabhängige Institution bereits umfangreiche Beziehungen zu verschiedenen internationalen Interessengruppen und Entscheidungsträgern, darunter die US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel (US FDA) und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). 2014 wurde das CAAT-Europe außerdem offizieller externer Berater des Europäischen Parlaments in Fragen Zukunftstechnologien in den Lebenswissenschaften. 

Diese bestehenden Beziehungen wird das CAAT-Europe nutzen, um die forschenden Mitglieder des ‚3R-Netzwerkes Baden-Württemberg‘ auf Tagungen und bei Entwicklungsworkshops mit internationalen Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft sowie weiteren internationalen Forschenden im Bereich der Alternativmethoden zu Tierversuchen zusammenzubringen. Ziel ist es dabei, das Vertrauen in diese Methoden faktenbasiert zu stärken, weitere Akzeptanz zu schaffen und gemeinsam Zukunftsstrategien zu entwickeln.

Prof. Dr. Marcel Leist

 
Landesweites Forschungsnetzwerk
Am „3R-Netzwerk Baden-Württemberg“ sind neben der Universität Konstanz und dem CAAT-Europe weitere führende biomedizinische Standorte des Landes beteiligt. Hierzu zählen das „3R-Center für In-vitro-Modelle und Tierversuchsalternativen“ (in Tübingen/Reutlingen), das „3R-Zentrum Rhein-Neckar“ (Universität Heidelberg mit dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim), das „3R-US Netzwerk“ (Universität Stuttgart und Robert-Bosch-Krankenhaus), das „Interdisziplinäre Zentrum zur Erforschung von Darmgesundheit“ (Universität Heidelberg) sowie die Universitäten Ulm, Freiburg, Heidelberg, Tübingen, die Hochschule Reutlingen und das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart. Das Netzwerk ist damit laut Wissenschaftsministerin Theresia Bauer in seiner thematischen Tiefe und Breite bundesweit einmalig.

Dr. Daniel Schmidtke

Von Dr. Daniel Schmidtke - 18.02.2021