Ohne Tod kein Leben – der programmierte Zelltod
Dass die „Dosis das Gift macht“, sprich nahezu jede Substanz potentiell toxisch ist, sofern sie nur hoch genug dosiert wird, ist seit Paracelsus und dem späten Mittelalter bekannt. Wesentlich jünger ist die Erkenntnis, dass Zellen sterben müssen, um Struktur hervorzubringen und somit das Leben überhaupt zu ermöglichen. „Rein biologisch gesehen bilden Leben und Tod ein Kontinuum, ebenso wie Gesundheit und Krankheit sich vielleicht am Treffendsten als zwei Seiten einer Medaille beschreiben lassen“, erklärt Prof. Dr. Thomas Brunner, Professor für Biochemische Pharmakologie am Fachbereich Biologie der Universität Konstanz. Ebenso verhält es sich mit dem Zelltod, der in verschiedenen Zusammenhängen auftreten und somit ganz unterschiedliche Wirkungen entfalten kann – zum Guten wie zum Schlechten.
„Das Leben gibt es nur aufgrund von Tod.“
Prof. Dr. Marcel Leist, In-Vitro-Toxikologie und Biomedizin
Negative Auswirkungen hat der Zelltod unter anderem dann, wenn dadurch, wie im Falle einer zufälligen, Toxin-induzierten, oder „unfallbedingten“ Nekrose, entzündliche Vorgänge in Gang gesetzt werden, die zu schweren Folgeschäden am Organismus führen können, oder wenn krankheitsbedingt abgestorbene Zellen vom Organismus nicht ersetzt werden können. „Das ist insbesondere dann schlimm, wenn das zentrale Nervensystem, also Gehirn oder Rückenmark, betroffen ist“, erklärt der Konstanzer Toxikologe Prof. Dr. Alexander Bürkle. „Sterben dort Neuronen, also die eigentlichen Nervenzellen, ab, kann es zu irreparablen Lähmungen kommen, die zum Beispiel für Poliomyelitis (Kinderlähmung) kennzeichnend sind.“
Gleichzeitig kann eine bestimmte andere Art von Zelltod für die Entwicklung und den Erhalt des Gesamtorganismus jedoch auch förderlich oder sogar erforderlich sein. Dieses Phänomen ist unter dem Begriff der Apoptose, des programmierten Zelltodes, bekannt. Die Apoptose trägt beispielsweise während der embryonalen Entwicklung zum normalen Entstehen von Händen und Fingern bei oder sorgt nach einer Immunreaktion des Körpers dafür, dass aggressive Immunzellen, die nicht weiter benötigt werden, neutralisiert werden, ehe sie ihrerseits Schäden anrichten können.
Kerne (DNA) von menschlichen Neuronen
Links: Kontrollkerne sind hellgrau und groß; Rechts: Kerne, die einem Giftstoff ausgesetzt waren: Die Fragmentierung in kleine helle Kugeln zeigt Apoptose an.
Beim programmierten Zelltod werden einzelne Zellen planmäßig und ohne weitere Nebeneffekte eliminiert, sie gehen de facto in den Selbstzerstörungsmodus. „Die meisten Zellen besitzen bereits das entsprechende genetische Programm“, erklärt Brunner. „Dabei sterben Zellen sehr charakteristisch in einem Prozess, der durch die Aktivierung von speziellen Enzymen in Gang gesetzt wird. Diese spalten gezielt bestimmte andere Eiweiße, was zum inneren Zellabbau führt.“ Dabei tritt Wasser aus, die Zelle schrumpft, der Zellkern wird fragmentiert und die enthaltenen Erbinformationen werden abgebaut. In der Folge können diese Zellen von Fresszellen erkannt und beseitigt werden. Das Besondere daran ist, dass dieser Prozess der Apoptose im Gegensatz zu einer Nekrose still verläuft, also im Normalfall nicht zu weiteren Entzündungsreaktionen im Körper führt.
„Gäbe es ein solches Zelltodprogramm nicht, würden unsere Gewebe und Organe unkontrolliert wachsen“, ergänzt Prof. Dr. Marcel Leist, Professor für In-Vitro-Toxikologie und Biomedizin an der Universität Konstanz und Co-Direktor des Centre for Alternatives to Animal Testing in Europe (CAAT-Europe), das sich für tierversuchsfreie Methoden in der Toxikologie einsetzt. „Außerdem wäre der Tumorbildung Tür und Tor geöffnet. Überspitzt formuliert fungiert der Zelltod als eine Art Sicherheitsfunktion, die in allen Zellen enthalten ist und so unser Überleben erst ermöglicht.“ Auch aus diesem Grund spielt der apoptotische Zelltod auf fast allen relevanten Forschungsgebieten eine entscheidende Rolle. An der Universität Konstanz wird der programmierte Zelltod insbesondere im Zusammenhang mit der Krebsbiologie, extremen Immunantworten und der Entstehung von bestimmten Neuro- und Nephropathien erforscht.
Weiterlesen: Zelltod und Zellalterung in der Tumorbiologie (Kapitel 3 von 10)
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