Quagga-Muschel: Prognosen für betroffene Seen
Die invasive Quagga-Muschel hat bereits in zahlreichen europäischen Gewässern Fuß gefasst und ist vor ca. zehn Jahren im Bodensee angekommen. Für den Bodensee und zwei ebenfalls betroffene Seen, den Genfer See und den Bielersee, wurde nun im Rahmen des Projekts SeeWandel in einer Zusammenarbeit von Forschenden des Wasserforschungsinstituts Eawag, der Universitäten Genf und Konstanz und weiterer Institute erstmals eine Vorhersage gemacht, wie stark sich die Quagga-Muschel weiter ausbreiten wird. Demnach wird die Biomasse pro Quadratmeter im Bodensee, Genfersee und Bielersee in den nächsten zwei Jahrzehnten voraussichtlich um das neun- bis zwanzigfache zunehmen, verursacht vor allem durch eine stärkere Besiedlung der tieferen Bereiche der Seen.
Die Forscher erwarten in den tiefen Voralpenseen eine vergleichbare Dynamik wie in den Großen Seen Nordamerikas, wo die Quagga-Muschel mehr als 20 Jahre früher als in Europa eingeführt wurde. In beiden Regionen verursacht die Quagga-Muschel Probleme bei der Wasserentnahme und bei Heiz- und Kühlanlagen, da sie Rohre verstopft. Dies führt zu Schäden in Millionenhöhe. Zudem hat die Quagga-Muschel die Nährstoffdynamik in den Großen Seen verändert. Der Phosphorkreislauf in den eingedrungenen Großen Seen wird jetzt durch die Populationsdynamik einer einzigen Art dominiert: der Quagga-Muschel.
„Eine solche Vermehrung der Quagga-Muscheln kann zu großen Veränderungen im Ökosystem führen, insbesondere zu einer Verlagerung der biologischen Produktivität aus der Freiwasserzone des Sees in die Uferzone mit einem Rückgang der Algen im Freiwasser und einer Zunahme der Makrophyten und Fadenalgen in Ufernähe. Diese Produktivitätsverschiebung könnte auch das Nahrungsangebot für Fischarten im offenen Wasser wie den Felchen verringern, während das Nahrungsangebot für Fische im Uferbereich steigt, insbesondere für diejenigen, die Quagga-Muscheln fressen.“
Dietmar Straile, AG-Leiter am Konstanzer Limnologischen Institut
Veränderungen im Ökosystem
In bereits betroffenen Seen kann die Dynamik aufgrund der Invasivität der Muscheln nicht mehr aufgehalten werden. „Das ist leider eine schlechte Nachricht für die tiefen Voralpenseen, die von der Quagga-Muschel bereits betroffen sind“, sagt der Biologe Piet Spaak, Schweizer Quagga-Muschel-Spezialist und Gruppenleiter an der Eawag sowie Letztautor der Publikation. Laut Spaak lassen sich die Folgen aber noch abmildern, zum Beispiel indem die Infrastruktur so gestaltet wird, dass die Muscheln und ihre Larven nicht eindringen können. „Dies ist gleichzeitig eine Warnung für Seen, in denen die Quagga-Muschel noch nicht gefunden wurde, wie zum Beispiel im Zürichsee und im Vierwaldstättersee. Mit geeigneten Maßnahmen, zum Beispiel der obligatorischen Bootsreinigung und gezielten Informationskampagnen, kann die Ausbreitung in neue Gewässer noch verhindert werden.“
https://youtu.be/K6L-x8LqyAg?feature=shared
Ein Blick über den Atlantik ermöglicht einen Blick in die Zukunft
Während die Quagga-Muschel in Deutschland 2004 und im Bodensee 2016 das erste Mal nachgewiesen wurde, breitete sie sich in nordamerikanischen Seen bereits seit Ende der 1980er Jahre aus. In ihrer jüngsten Publikation haben die Forscher um Erstautor Benjamin Kraemer von der Universität Konstanz deshalb Daten über den Beginn der Ausbreitung aus vier der fünf nordamerikanischen Großen Seen (Huron, Ontario, Michigan und Erie) mit Daten aus dem Bodensee, Genfersee und Bielersee verglichen. Tatsächlich stimmen die Ausbreitungsmuster weitgehend überein. „Wir gehen deshalb davon aus, dass die Ausbreitung der Quagga-Muschel in den Voralpenseen genauso schnell vonstattengehen wird“, sagt Kraemer. Wie in Nordamerika dürfte diese Zunahme durch einen Trend zu größeren Individuen und damit zu einer höheren Biomasse pro Fläche sowie durch eine Verlagerung in größere Tiefen gekennzeichnet sein. Kraemer meint, dass „Quagga-Muscheln die Klarheit des Wassers erhöhen und durch den Aufbau ihrer Schalen Nährstoffe und Kohlenstoff binden werden“. Es gibt aber noch viele Fragezeichen:
„Die endgültigen Auswirkungen der Quagga-Muscheln werden davon abhängen, wie sie mit dem Klimawandel und anderen zukünftigen Umweltveränderungen interagieren."
Benjamin Kraemer, Erstautor der Studie, Limnologisches Institut der Universität Konstanz
Mögliche Folgen für Gewässer, die von Quagga-Muscheln betroffen sind, sind unter anderem:
- Rückgang des Planktons, da Quagga-Muscheln große Mengen an Phytoplankton herausfiltern
- Klareres Wasser aufgrund des Rückgangs des Planktons
- Veränderungen der Artengemeinschaften und des Nahrungsnetzes
- Veränderungen der Fischbestände
- Erhöhte Instandhaltungskosten für die Wasserinfrastruktur
- Mehr Muschelschalen im Uferbereich
- Zunahme von Makrophyten und Fadenalgen in der Uferzone der Seen
Monitoring für genauere Daten
Das umfangreiche seeweite Monitoring im Bodensee wird in Zusammenarbeit zwischen der Eawag, dem Institut für Seenforschung und dem Limnologischen Institut der Universität Konstanz mit den Forschungsschiffen Kormoran und Lauterborn durchgeführt. Spaak betont, dass das Monitoring und der Vergleich mit den nordamerikanischen Seen etwa alle fünf Jahre wiederholt werden sollte, um die Dynamik kontinuierlich zu erfassen. Neue Methoden, wie sie zum Beispiel von der Gruppe von Laura Epp am Limnologischen Institut in Konstanz durchgeführt werden und auf Umwelt-DNA basieren, werden die Forscher dabei unterstützen. Mit diesen neuen Methoden können Neuansiedlungen in bisher unbeeinflussten Seen möglichst früh erkannt und Verbreitungsmuster und Populationsdynamik möglicherweise noch genauer untersucht werden.
Dieser Artikel erschien im Original auf der Webseite der EAWAG.