Smarte Ganganalyse – einfach, mobil und hindernisfrei

Im Projekt SMARTGAIT wurde eine KI-basierte Ganganalyse entwickelt, die im Klinikalltag für PatientInnen mit neurologischen Erkrankungen eingesetzt werden soll. Durch eine Smartphone-Bewegungsanalyse kann das Gangbild präzise erfasst werden, was eine bessere Erkennung und Behandlung von Gangstörungen ermöglicht.
© Subsequent GmbH

Ein zentrales Ziel der neurologischen Rehabilitation ist es, Patientinnen und Patienten mit motorischen Einschränkungen wieder zum Gehen zu befähigen. SMARTGAIT widmet sich genau dieser Aufgabe: „Bei dem Projekt haben wir uns die Frage gestellt: Wie können wir mit modernen Technologien eine Ganganalyse durchführen, die für den klinischen Alltag besser geeignet ist? Und das haben wir mit SMARTGAIT beantworten können“, berichtet Markus Gruber (Leiter des Human Performance Research Centre an der Universität Konstanz).

Die Anwendung der SMARTGAIT-App ist sehr einfach und flexibel im Klinikalltag einsetzbar. Auch lassen sich damit Gangstörungen sehr gut erkennen und behandeln. Wie einfach die App funktioniert, erklärt Michael Schwenk, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Konstanz in der Abteilung Sportwissenschaften: „Die Therapeutinnen und Therapeuten öffnen die App und filmen die Person beim Gehen. Anschließend wird das Video in der App hochgeladen und die Daten kommen bei Subsequent, dem beteiligten Software-Unternehmen, an. Nach einigen Minuten erhält man die Auswertung zurück.“

© Angela Tancredi

Dr. Michael Schwenk und Prof. Markus Gruber

SMARTGAIT ist eine Kooperation zwischen der Universität Konstanz, ihrer Ausgründung Subsequent und den Kliniken Schmieder mit dem Lurija Institut. Hier arbeiten Markus Gruber (Wissenschaftlicher Leiter, Sportwissenschaften der Universität Konstanz), Manuel Stein (Geschäftsführer der Subsequent GmbH), Joachim Liepert (Ärztlicher Leiter Neurorehabilitation der Kliniken Schmieder Allensbach) und das ganze Projekt-Team Hand in Hand zusammen. Im interdisziplinären Team gibt es eine klare Aufgabenverteilung: Subsequent sorgt für die App auf dem Smartphone und integriert darin eine KI-basierte Skeletterkennung zur Ganganalyse. Die Universität Konstanz erweitert den Ansatz mit biomechanischen und sensomotorischen Aspekten und die Kliniken Schmieder sowie das Lurija Institut begleiten und evaluieren das Projekt und bringen Erfahrungen aus dem klinischen Alltag ein.

„Mit biomechanischen Methoden können wir die Bewegung des menschlichen Körpers und die Kräfte, die dabei auftreten, genau messen und physikalisch beschreiben. Die Ursache für diese Kräfte und die daraus resultierende Bewegung (z. B. gehen) ist in unserer Sensomotorik begründet. Mit unserem sensorischen System (z. B. Auge, Gleichgewichtsorgan, Propriozeption) erfassen wir Informationen aus der Umwelt und mit unserem motorischen System setzen wir diese in zielgerichtete Muskelkontraktionen um.“

Markus Gruber (Wissenschaftlicher Leiter, Sportwissenschaften der Universität Konstanz) erklärt was biomechanische und sensomotorische Ansätze sind.

Des Weiteren ist er dankbar für die Zusammenarbeit mit dem Lurija Institut: „Das klinikeigene Forschungsinstitut der Kliniken Schmieder ist diese Schnittstelle, welche uns miteinander verbindet. Wir haben eine enge Kooperation. Dadurch können wir viel leichter Projekte initiieren und über unsere Ideen sprechen.“

Das Besondere an der SMARTGAIT-App ist das Software-System. Es basiert auf einem KI-Algorithmus, der die kurzen Gang-Videos von PatientInnen auswertet. Ein Deep-Learning-Modell erkennt im Video eine Körperstruktur in 2D und rekonstruiert daraus 3D-Gelenkkoordinaten. Dabei lässt sich ein Bewegungsprofil von Knie, Hüfte und Sprunggelenk erstellen. „Das Interessante an dieser Technologie ist auch, dass es ein selbstlernendes System ist. Es lernt mit Patientendaten. Dadurch kann die KI verschiedene Gangbilder identifizieren und immer wieder Neues aufnehmen“, erklärt Markus Gruber. Die Software analysiert typische Gangmerkmale wie Schrittzeit, Geschwindigkeit und Schrittlänge.

https://youtube.com/shorts/HAd5tNCWKpI

Auch im Spitzensport arbeiten Markus Gruber und die Subsequent GmbH zusammen, hier im Video mit dem aktuellen Kugelstoß-Weltmeister Nico Kappel und Goldmedaillen-Gewinnerin Lara Baars.

Insgesamt wurden 24 Patientinnen und Patienten mit neurologischen Erkrankungen in das Projekt einbezogen. Acht von ihnen hatten einen Schlaganfall, acht haben Parkinson und acht eine Polyneuropathie. Die Ganganalysen wurden im Ganglabor der Universität Konstanz erhoben. Die Ergebnisse der Erhebung waren positiv: „Uns war es wichtig, dass eine hohe Messgenauigkeit stattfindet und gleichzeitig auch die Anwendbarkeit einfach und alltagstauglich ist. Beide Ziele haben wir erreicht“, berichtet Michael Schwenk. Die Bedienung am Smartphone ist niedrigschwellig und für klinisches Personal schnell erlernbar. Es sind keine Vorkenntnisse nötig.

Über das Projekt gibt es bisher sechs Publikationen und mehrere Qualifikationsarbeiten: „Viele NachwuchswissenschaftlerInnen haben davon profitiert. Für uns ist es sehr wichtig, diese miteinzubinden“, erklärt Markus Gruber. Philipp Barzyk war ebenfalls Teil des Projekt-Teams. Im Jahr 2024 war er Erstautor der Publikation „Steps to Facilitate the Use of Clinical Gait Analysis in Stroke Patients: The Validation of a Single 2D RGB Smartphone Video-Based System for Gait Analysis“. Dafür erhielt er den Stiftung-Schmieder-Preis 2025. 

Headerbild: Beispielhafte Gangmessung mit den unterschiedlichen erhobenen Parametern (rechts das 3D-Skelett des gemessenen Probanden). Copyright: Subsequent GmbH

 

Angela Tancredi

Von Angela Tancredi - 09.10.2025