Stadt, Land, Spaltung? Was unser Land (noch) zusammenhält

© Ines Janas

Volles Haus im Bodenseeforum Konstanz: Hunderte BesucherInnen verfolgten am 15. Oktober 2025 die Podiumsdiskussion „Stadt, Land, Spaltung? – Was hält unser Land noch zusammen?“, veranstaltet vom Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz. Auf dem Podium diskutierten Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Claudia Alfons (Oberbürgermeisterin der Stadt Lindau), Marius R. Busemeyer (Sprecher des Exzellenzclusters und Professor für Vergleichende Politische Ökonomie) und Thomas Wagner (Deutschlandfunk). Durch den Abend führte Journalist Andreas Schneider.

Schon in der Einführung wurde klar, dass die vermeintliche Spaltung zwischen Stadt und Land über politische Schlagworte hinausgeht. Hinter Begriffen wie „urbane Elite“ und „abgehängte Provinz“ stehen reale Erfahrungen, die viele Menschen bewegen. Özdemir, der aus einer Kleinstadt auf der Schwäbischen Alb stammt und der als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg antritt, sprach offen über Spannungen, aber auch Chancen: „Wir kriegen die Probleme nur gelöst, wenn wir sie nicht als Stadt-Land-Gegensatz begreifen, sondern das Verbindende und nicht das Trennende in den Vordergrund stellen“, sagte er. Politik müsse zeigen, dass DemokratInnen Probleme tatsächlich lösen können.

Der frühere Bundespolitiker kritisierte, dass Politik oft zu sehr auf kurzfristige Wahlgeschenke setze, statt langfristig in Bildung, Infrastruktur und Zusammenhalt zu investieren. Es brauche, so seine Forderung, eine „Konzentration auf alles, was mit der Zukunft zu tun hat“. Sein Appell: Verantwortung übernehmen, zuhören und auch unbequeme Wahrheiten aussprechen.

Die wissenschaftliche Einordnung lieferte Marius R. Busemeyer, Sprecher des Exzellenzclusters. Die Forschung des Clusters habe gezeigt, dass die gesellschaftliche Spaltung weniger tief verläuft, als oft behauptet, und dennoch gefährlich ist.

„Die Institutionen haben sich als ziemlich resilient erwiesen.“

Marius R. Busemeyer, Sprecher des Exzellenzclusters

Gleichzeitig gebe es eine gefährliche Wahrnehmungskrise: Ein Großteil der Menschen glaube, politische Entscheidungen hätten kaum noch mit ihrem Alltag zu tun. Diese Entfremdung reiche über geografische Unterschiede hinaus und betreffe das gesamte demokratische System.

Claudia Alfons brachte die kommunale Perspektive ein. Sie schilderte, dass politische Arbeit in Städten und Gemeinden oft weniger von Parteigrenzen geprägt sei. Entscheidungen würden dort stärker an konkreten Problemen und gemeinsamen Lösungen orientiert getroffen. Dieser Ansatz täte ihrer Ansicht nach auch der Landes- und Bundespolitik gut.

Das Publikum beteiligte sich aufmerksam und offen. Viele der Anwesenden kamen aus ländlichen Regionen, und in ihren Wortmeldungen spiegelten sich Sorgen, die über die Stadt-Land-Debatte hinausgehen. Zur Sprache kamen dabei auch Themen wie die Zukunft der Rente und die Belastung jüngerer Generationen.

Diese Beiträge machten deutlich, dass die Frage nach gesellschaftlichem Zusammenhalt weit über regionale Unterschiede hinausreicht und auch soziale Sicherheit, Generationengerechtigkeit und wirtschaftliche Perspektiven einschließt. Thomas Wagner betonte in diesem Zusammenhang, dass sich Entfremdung dort besonders verfestige, wo Menschen kaum noch miteinander ins Gespräch kommen – es fehle an Orten und Anlässen, um Sorgen und Meinungen auszutauschen.

Nach Ende der offiziellen Diskussion nutzten die BesucherInnen die Gelegenheit, mit den Podiumsteilnehmenden und anderen Gästen ins Gespräch zu kommen. So fand der Abend einen offenen Ausklang und machte zugleich deutlich, dass die Frage nach Spaltung zwischen Stadt und Land weiterhin viele beschäftigt.


 

Sophia Schillers und Annalena Kampermann

Von Sophia Schillers und Annalena Kampermann - 04.12.2025