Was hast du eigentlich gemacht in deiner Doktorarbeit?
Die erste Einstellung, die im untenstehenden Video zu sehen ist, wurde tatsächlich als eine der letzten Aufnahmen schon ziemlich weit in den Abendstunden gedreht. Trotzdem sieht Michaela Prothiwa darin aus, als käme sie frisch vom Morgenkaffee. Da lagen bereits mehr als zehn Stunden Dreharbeiten für den Videobeitrag auf dem Campus der Universität Konstanz hinter ihr. In Auftrag gegeben hatte ihn die Klaus Tschira Stiftung, die seit den 1990er-Jahren den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation verleiht. Zehn Stunden Interviews, Agieren vor der Kamera, Warten – und das alles fast ohne Pause. Das daraus hervorgegangene Video beweist einmal mehr: Hinter dem leichthin Daherkommenden steckt viel Arbeit.
https://www.youtube.com/watch?v=qi5ll0LBAgY
Wer wüsste das besser als Michaela Prothiwa. Der KlarText-Preis, den die Chemikerin gemeinsam mit fünf weiteren jungen Forschenden aus den Naturwissenschaften, der Mathematik und Informatik für das Jahr 2020 bekommen hat, verlangte Ähnliches von ihr ab: Die Aufgabe hieß, ihre Doktorarbeit „Inhibition of Quinolone Biosynthesis in Pseudomonas aeruginosa and Burkholderia species” für ein breites Publikum verständlich darzustellen. Für Michaela Prothiwa, die ihre Dissertation über die Antibiotikaresistenz von Bakterien an der Universität Konstanz in der Arbeitsgruppe von Dr. Thomas Böttcher geschrieben hat, war das der erste Versuch überhaupt, ihre Forschung unter dem Aspekt der Wissenschaftskommunikation anzugehen. Dass sie den Preis gleich gewinnt, damit hat Michaela Prothiwa nicht unbedingt kalkuliert:
Eigentlich konnte man gar nicht verlieren. Alle, die mitmachen, bekommen einen Kurs in Wissenschaftskommunikation gesponsert.
Dr. Michaela Prothiwa
Der Kurs ist nur ein Teil der Auszeichnung. Der Hauptpreis für die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler besteht in der Veröffentlichung ihrer Beiträge zum besseren Verständnis von wissenschaftlichen Inhalten im stiftungseigenen Wissensmagazin „KlarText“, das dem Wochenmagazins „Die Zeit“ vom 8. November 2020 beigelegen hat. Mit der Frage „Was hast du eigentlich gemacht in deiner Doktorarbeit?“ werden die frisch Promovierten zum neuen Nachdenken über die eigene Forschung aufgefordert. Bevor sich Michaela Prothiwa an die Beantwortung der Frage machte, ging sie erstmal daran zu analysieren: Wie sind journalistischen Texte zu wissenschaftlichen Themen aufgebaut, wenn ich sie gern lese?
Ich hab schon immer gern solche allgemeinverständlichen Wissenschaftstexte aus der ‚Zeit‘ oder aus ‚Spektrum der Wissenschaft‘ gelesen, egal aus welchem Bereich
Dr. Michaela Prothiwa
Dass Michaela Prothiwa mit der Antibiotikaresistenz von Bakterien für ihre Dissertation ein Thema gewählt hat, das in den klinischen Alltag hineinwirkt, hat möglicherweise auch damit zu tun, dass sie vor ihrem Studium bereits eine Ausbildung als Medizinische Fachangestellte gemacht hat. Sicher hat es jedoch damit zu tun, dass ihr der Bezug zum Thema Gesundheit sehr wichtig ist. Immerhin geht es in ihrer Doktorarbeit mit Pseudomonas aeruginosa um einen der weltweit gefährlichsten Krankenhauskeime und damit um eines der wichtigsten Gesundheitsthemen der Zukunft: „Das Ganze gleicht einer Aufrüstungsspirale“, schreibt sie in ihrem Artikel, der den Titel „Zum Schweigen gebracht“ trägt. „Die Entwicklung neuer Wirkstoffe wird immer komplizierter und teurer, sodass Pharmaunternehmen immer weniger darin investieren. Zugleich führt der exzessive Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung nachweislich zu immer neuen Resistenzen.“
Der Ansatz in der Arbeitsgruppe Böttcher an der Universität Konstanz war (Thomas Böttcher hat seit Wintersemester 2020/2021 eine Professur an der Universität Wien), Bakterien nicht abzutöten, sondern stattdessen ihre biochemische Kommunikation untereinander zu unterbrechen. „Wir brauchen dringend Alternativen zu traditionellen Antibiotika. Selbst bei neuen Antibiotika gibt es schnell Resistenzen mit entsprechender Wirkungslosigkeit. Unser Ansatz ist, sie nicht abzutöten, sondern auszutricksen“, erklärt Michaela Prothiwa die innovative Strategie ihres früheren Chefs Thomas Böttcher, der selbst KlarText-Preisträger des Jahres 2010 ist.
Die Idee dahinter: Durch die Unterbrechung der Kommunikation wird die krankmachende Wirkung der Bakterien verhindert, da diese sich aber nach wie vor vermehren können, wird ihr Resistenzdruck geringer. Das gibt dem Immunsystem Zeit, gegen die nun harmlosen Bakterien vorzugehen. Michaela Prothiwa ist im Übrigen nicht nur schreibend daran interessiert, ihre Forschung verständlich zu machen. Sie hat außerdem eine Videoanimation entwickelt, mit der die molekularen Vorgänge verständlich gemacht werden und die in einem kleinen gemeinsam mit Kolleginnen produzierten Video zu sehen ist.
https://www.youtube.com/watch?v=siEk6M3cPe8&feature=emb_logo
Die Wissenschaftlerin ist seit Wintersemester 2020/2021 an der Katholieke Universiteit Leuven (KU Leuven) in Belgien. Dort forscht sie an interdisziplinären chemischen Methoden, um mehr über entzündliche Darmerkrankungen herauszufinden und Lymphome, bösartige Tumore, zu klassifizieren. Sie ist an der Entwicklung kleiner molekularer Instrumente beteiligt, die beispielsweise als Biomarker für viele Anwendungen eingesetzt werden sollen und damit auch einen Schritt weiter hin zu individualisierter Medizin bedeuten. Die Kollaborationen mit anderen Forschungsgruppen und der Einblick in den klinischen Alltag hat für die Chemikerin, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München Pharmaceutical Sciences studiert hat, große Bedeutung – überhaupt die Anbindung an die Praxis.
Dass Wissenschaft weit in den Alltag der Menschen hineinwirkt, wurde in Zeiten der Corona-Pandemie unübersehbar. Nicht zuletzt hat dies die Klaus Tschira Stiftung mit einem Sonderpreis 2020 für den Virologen Prof. Dr. Christian Drosten und seiner „verständlichen Kommunikation während der Corona-Pandemie“ zum Ausdruck gebracht. Michaela Prothiwa kann sich vorstellen, weiterhin im Sinne der Wissenschaftskommunikation unterwegs zu sein. Jetzt freut sie sich erst einmal auf den Kurs für Wissenschaftskommunikation, der mit dem KlarText-Preis verbunden ist und im kommenden Jahr stattfinden wird. Wie gesagt: Mit einer Bewerbung beim KlarText-Preis kann man gar nicht verlieren.
Dr. Michaela Prothiwa war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Chemie der Universität Konstanz in der Arbeitsgruppe von Dr. Thomas Böttcher. Michaela Prothiwa studierte von 2008 bis 2014 Pharmaceutical Sciences an der Ludwig-Maximilians-Universität München und absolvierte dabei ihre Master-Arbeit an der Harvard University (USA). 2019 wurde sie an der Universität Konstanz mit ihrer Arbeit zur biochemischen Kommunikation von Bakterien über Signalmoleküle promoviert. Seit dem Wintersemester 2020/2021 setzt Michaela Prothiwa ihre Forschung in der Arbeitsgruppe von Prof. Steven Verhelst an der KU Leuven in Belgien fort.
Über den KlarText-Preis 2020
Die Klaus Tschira Stiftung verleiht den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2020 zum 18. Mal. 191 Beiträge wurden bislang in den Kategorien Biologie, Chemie, Geowissenschaften, Informatik, Mathematik, Neurowissenschaften und Physik eingereicht. Die sechs für 2020 ausgezeichneten Beiträge sowie der Sonderpreis wurden von einer Jury aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Journalistinnen und Journalisten ausgewählt.