„Globale Produktionsnetzwerke sind mit massiven Ungleichheiten zwischen den Menschen verbunden“
uni’kon: Professor Bartley, wie lang bleiben Sie an der Universität Konstanz?
Timothy Bartley: Ich werde bis Ende Juli 2020 hier sein. Das ist ein schöner, langer Aufenthalt, und ich habe genug Zeit, mich hier wirklich zu Hause zu fühlen.
Warum Konstanz – hatten Sie schon vorher Verbindungen zu unserer Universität?
Ja, hatte ich. Ich habe mit Sebastian Koos vom Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft zusammengearbeitet, der auch ein Cluster-Mitglied ist. Sebastian und ich haben gemeinsam an „Looking behind the Label“ gearbeitet, einem Buch über bewussten Konsum. Ich war im Sommer 2018 auch ein paar Monate als Gast des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ hier. Es war die Zeit kurz vor der Entscheidung über die neuen Anträge für die Exzellenzcluster. Das war sehr aufregend, und als
die Zusage für den „The Politics of Inequality“ dann kam, war das erst recht ein Grund zurückzukommen.
Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Ungleichheit und Verantwortlichkeit in globalen Produktionsnetzwerken. Können Sie uns erklären, was Sie darunter verstehen?
Wenn Sie ein Kleidungsstück, ein Elektrogerät oder Nahrungsmittel kaufen, dann kaufen Sie ein Produkt, das das globale Produktionsnetzwerk durchlief. Die Produkte wurden in fernen Ländern von einem anderen Unternehmen hergestellt, einem Auftragnehmer oder Unterauftragnehmer des Unternehmens, von dem Sie
das Produkt dann kaufen. Heutzutage wird global in Netzwerken produziert und nicht mehr in großen integrierten Konzernen, so wie das früher war. Ich gehe der Frage nach: In welchem Ausmaß erzeugt diese
Struktur lokal und global Ausbeutung, Nicht-Nachhaltigkeit und Umweltschäden? Und die nächste Frage wäre dann: Wie können Konsumentinnen und Konsumenten und die breite Bevölkerung diese Strukturen beeinflussen? Die schrecklichen Arbeitsbedingungen in Schuh- und Bekleidungsfabriken kamen das erste Mal in den 1990er Jahren ans Licht. Traurigerweise hat sich auch heute, mehr als 20 Jahre später, nicht viel geändert. In globalen Produktionsnetzwerken gibt es immer noch moderne Formen der Sklaverei und Raubbau an der Umwelt in den schlimmsten Formen. Ich hoffe aber weiterhin, dass sich etwas ändern wird.
Sprechen wir nun über Ihren Gastgeber, das Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“. Wie passt Ihr Schwerpunkt dazu?
Ich habe sehr viel Feldforschung in Indonesien und China gemacht. Nun konzentriere ich mich darauf, wie die Menschen in den USA und Europa die weltweite Ungleichheit und Ausbeutung wahrnehmen. In Konstanz zu sein gibt mir die Möglichkeit, hier von den vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
zu lernen, die eine ausgewiesene Expertise mit Umfragestudien haben. Auch der Fokus des Clusters auf die systematische Erforschung von Ungleichheit ist mir sehr wichtig. Globale Produktionsnetzwerke sind mit massiven Ungleichheiten zwischen den Menschen verbunden: Denen, die auf der einen Seite die Kleidung herstellen oder die Früchte ernten, und auf der anderen Seite den Konsumenten in den Wohlstandsländern. So ist Ungleichheit – und die daraus resultierende Ungerechtigkeit – direkt mit den Produktionsketten-
und Netzwerken verknüpft.
Kann Forschung Ihrer Meinung nach eine Wirkung auf die realen Verhältnisse haben?
Grundsätzlich kann Forschung auf jeden Fall auf die Verhältnisse einwirken. Ideen aus den Wirtschaftswissenschaften zum Beispiel hatten großen Einfluss auf die Regulierung der Märkte, zumeist in
Form von Deregulierung. Ungleichheitsforschung steht da vor einer größeren Herausforderung, weil die Märkte meist nicht sehr gut darin sind, Ungleichheiten selbst abzubauen, und auch die Gesetze oft zu kurz greifen. Aber vielleicht sind wir an einem Zeitpunkt angekommen, an dem Bürger und Politiker nach neuen Ideen für Strategien suchen, die funktionieren, besonders wenn wir die zwei großen Herausforderungen unserer Zeit angehen wollen: Zunehmende Ungleichheit und Klimawandel.
Auf der Agenda des Exzellenzclusters stehen viele Dimensionen von Ungleichheit: Wie Ungleichheit wahrgenommen wird, wie Ungleichheit zu politischer Mobilisierung führt, und welche Antworten das politische System findet. Der Cluster möchte auch wirtschaftliche und Bildungsungleichheit
untersuchen, ebenso ungleiche politische Rechte und Privilegien. Welchen Blickwinkel beleuchten Sie?
In der Vergangenheit wie in meinem Buch „Rules without Rights“ vom vergangenen Jahr lag mein Fokus auf der Mobilisierung gegen Ungleichheit in Indonesien und China. Momentan gehe ich der Frage nach, wie sich die Haltung der Verbraucher zu politischer Macht formen kann. Mich interessiert besonders, wie Konsumenten in der westlichen Welt wirtschaftliche Ungleichheit wahrnehmen, aber immer in Bezug auf die gesamte Welt. Ich möchte eine mehr globale Perspektive zur Agenda des Clusters beitragen.
Was sind Ihre Pläne für kommendes Jahr?
Ich hoffe, dass ich bis zum Ende meines Aufenthaltes hier in Konstanz Ergebnisse von Befragungen habe, die auf dem Input der Konstanzer Kolleginnen und Kollegen aufbauen. Ich möchte verfolgen, wie die europäische Politik neue Formen der weltweiten Regulierung gegen illegale Produktionsformen – wie zum Beispiel illegale Fischerei oder Abholzung – schafft. Ich hoffe, dass mein Aufenthalt hier auch die Verbindung zur Ungleichheitsforschung in den USA stärkt, die zwar anders, aber auf jeden Fall mit der hiesigen Forschung kompatibel ist. Mein Fachbereich an der Washington University in St. Louis wurde vor vier Jahren genau mit dem Schwerpunkt auf Ungleichheit eingerichtet. Es ist ein sehr guter Zeitpunkt,
um die Verbindung zwischen dem Cluster und unserem neuen Fachbereich, der dieses Jahr ein Ph.D.-Programm starten wird, aufzubauen.
Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Clusters „The Politics of Inequality“ wollen unter anderem in die Gesellschaft wirken und Fakten zur manchmal hitzigen öffentlichen Debatte beitragen. Wie sind Ihrer Meinung nach die Erfolgsaussichten, und welche Stolpersteine könnten auf dem Weg liegen?
Ich habe den Eindruck, dass die Wissenschaft in Deutschland im Augenblick mehr zur öffentlichen Diskussion beitragen kann als in den USA. Dort ist die entsprechende Situation momentan eher frustrierend, aber zum Glück sieht es in Deutschland anders aus. Hier gibt es gute Möglichkeiten, die breite Öffentlichkeit zu erreichen, zum Beispiel in Zeitungen und anderen Massenmedien. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind hier sogar mit dem Gesetzgeber im Gespräch. Ein Stolperstein könnte sein: Von einem wissenschaftlichen Ergebnis zu hören ist eine Sache, eine ganz andere Sache aber ist die persönliche Erfahrung, die die Wahrnehmung beeinflusst. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen aufhören, den Menschen vorzuschreiben, wie etwas gemacht werden sollte. Das führt schnell zu Unmut und Ablehnung. Die Herausforderung, aber auch der Schlüssel zum Erfolg besteht darin, Forschung mit der persönlichen Erfahrung der Menschen in Verbindung zu bringen. Wir müssen erreichen, dass wir die Unterschiede zwischen den Menschen außenvorlassen können und eine stärkere
Verbindung zu anderen Menschen spüren, egal ob diese in der Nähe oder Ferne leben. So könnten, hoffe ich, Verbesserungen in die Wege geleitet werden.