Der Personaltrainer für die Hosentasche

In Konstanz treffen sich junges Unternehmertum, Spitzenforschung und Gesundheitswesen, um grundlegende Technologien für die personalisierten Sport- und Gesundheitsanwendungen von morgen zu entwickeln. Wie funktioniert diese Zusammenarbeit in einem aktuellen Projekt?
© Universität Konstanz, Inka Reiter

Sind Sie schon einmal in die Situation gekommen, eine Physiotherapie in An­spruch nehmen zu müssen? Dann ken­nen Sie das vielleicht: In der Praxis wir­ken die Übungen unter Anleitung noch ganz einfach – mit logischen, leicht zu merkenden Bewegungsabläufen. Doch kaum sollen die Übungen in den eige­nen vier Wänden wiederholt werden, schleichen sich erste Zweifel ein: Wie war noch mal die genaue Körperhal­tung? Sollte die Bewegung nach vorne oder doch eher leicht seitlich vom Kör­per weg ausgeführt werden? Und wie musste dabei das Fitnessband angelegt werden? Dabei ist eine korrekte Ausfüh­rung der Übungen entscheidend für den Therapieerfolg, und falsche Bewegun­gen bleiben im schlimmsten Fall nicht nur wirkungslos, sondern verstärken die Beschwerden sogar.

Jetzt stellen Sie sich vor, Sie hätten rund um die Uhr jemanden an Ihrer Sei­te, der genau solche Fragen beantwor­tet – egal ob zu therapeutischen Übun­gen oder beim Fitnesstraining. Bei jeder Einheit, die Sie zu Hause durchführen, erhielten Sie direkte Rückmeldungen: Wurde die Übung korrekt ausgeführt? Oder müsste etwas anders gemacht werden, um den bestmöglichen Effekt zu erzielen? Was nach Personaltrai­nerIn klingt und damit für viele uner­schwinglich sein dürfte, könnte schon bald für alle zugänglich sein: als digitale Lösung für Smartphone und Tablet. Er­möglichen sollen dies moderne Bildana­lyse-Technologien sowie Knowhow und der nötige Unternehmergeist aus Kons­tanz. Federführend bei der Entwicklung ist das Konstanzer Start-Up Subsequent GmbH.

Bewegungsanalyse per künstlicher Intelligenz
Die Subsequent GmbH steht – kurz ge­sagt – für hochmoderne Bewegungs­nachverfolgung und -analyse mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI). Im Jahr 2021 vom Konstanzer Informatiker Manu­el Stein gegründet, arbeitet das junge Unternehmen vor allem mit KundInnen aus dem Gesundheits- und Sportbereich zusammen. So war Subsequent bereits offizielle Datenpartnerin der österreichi­schen Fußballnationalmannschaft und kooperiert derzeit unter anderem mit dem Deutschen Eishockey-Bund oder dem Deutschen Alpenverein – mit letzterem in einem Projekt zum Speed Climbing.

Das Besondere an den KI-basierten Verfahren, die das Subsequent-Team entwickelt: Sie rekonstruieren aus ein­fachen 2D-Videobildern die dreidimen­sionalen Skelettbewegungen von Per­sonen. Dafür benötigen sie nicht einmal besonders hochwertige Videoaufnah­men. Vergleichbare Bewegungsanalysen erfordern sonst meist teures, zeitaufwändig kalibriertes Equipment.

„Unsere Methoden ermöglichen es, menschliche Bewegungsabläufe im Raum anhand von Bildmaterial aus­zuwerten, das mit ganz normaler Con­sumer-Hardware – etwa einer Smart­phone-Kamera – aufgenommen wurde. Und das in Echtzeit und mit vergleichs­weise geringer Rechenleistung. Damit sind wir der Konkurrenz deutlich vor­aus.“

Manu­el Stein, Gründer der Subsequent GmbH

Um die Nase weiterhin vorn zu be­halten, entwickeln Stein und sein Team ihre Verfahren kontinuierlich weiter. Da­bei arbeiten sie oft eng mit Forschen­den der Universität Konstanz zusammen – so zum Beispiel im aktuellen Projekt „THERESA“, das vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raum­fahrt gefördert wird. THERESA ist ein Gemeinschaftsprojekt der Subsequent GmbH, der Hochschule Trier und der Arbeitsgruppe von Daniel Keim am Fach­bereich Informatik und Informationswis­senschaft der Universität Konstanz, in der Stein vor seiner Zeit als Gründer selbst promovierte.

Doch wie genau sieht die Zusammen­arbeit im THERESA-Projekt aus – und wie bringt sie uns dem Ziel eines digita­len Personaltrainers näher? „In dem Pro­jekt geht es darum, unser bereits sehr leistungsfähiges Bewegungstracking für Trainings- und Therapieübungen auf die nächste Stufe zu heben. Wir wollen künftig nicht nur die reinen Bewegun­gen im Raum analysieren, sondern auch den Einsatz von physiotherapeutischen Kleingeräten wie Hanteln oder Fitness­bändern in unsere Auswertungen ein­beziehen. Das ist technisch bislang nicht möglich“, so Stein. Vorrangiges Projekt­ziel ist es daher, neue KI-Modelle zu trai­nieren und zu testen, die diese erweiter­ten Funktionen ermöglichen sollen.

Eine breite Datenbasis als Schlüssel
Die ersten Schritte dafür wurden bereits im Frühjahr 2025 auf dem Campus der Universität Konstanz unternommen. Wer zu dieser Zeit den Imaging Hangar der Universität betrat, konnte Zeuge einer eher ungewöhnlichen Szene werden: Mitten in dem fast turnhallengroßen Hightech-Labor des Konstanzer Exzel­lenzclusters „Collective Behaviour“, in dem sonst das Verhalten ganzer Heu­schreckenschwärme erforscht wird oder Robotergruppen lernen, im Kollektiv zu­sammenzuarbeiten, absolviert eine ein­zelne Sportlerin auf ihrer Yogamatte ein Workout mit verschiedenen Kleingerä­ten. Ihre Kleidung und die Trainingsgerä­te sind an mehreren Stellen mit punktför­migen Reflektoren versehen. Ein wahres Meer aus Kameras – von professionel­len Fernsehkameras über Action-Cams bis hin zu einfachen Handykameras und Web-Cams – ist dabei auf die Sportlerin gerichtet und erfasst jede Bewegung, während sie ihr 30-minütiges Trainings­programm durchläuft.

Was hier auf den ersten Blick passiert, ist schnell erklärt: Die unzähligen Kame­ras zeichnen das Trainingsmaterial für die KI-Modelle auf, die im THERESA-Projekt entwickelt werden und die später Auf­nahmen unterschiedlichster Qualität und Herkunft zuverlässig auswerten können sollen. „Nur wenn wir unsere Bildanalyse-KIs mit möglichst vielfältigem Bildmate­rial füttern, lernen sie, Bewegungen und Objekte aus verschiedenen Perspektiven, in unterschiedlichen Kontexten und bei variierender Bildqualität zu erkennen“, er­klärt Philip Zimmermann, Chief Technolo­gy Officer bei Subsequent. „Aus demsel­ben Grund haben wir die Trainingseinheit auch nicht nur von einer einzigen Sport­lerin durchführen lassen, sondern nach­einander von insgesamt 25 Teilnehmen­den – Männer und Frauen, Jung und Alt, sportlich Erfahrene und eher Ungeübte. Diese Vielfalt in den Trainingsdaten ist entscheidend für die spätere Robustheit der Modelle.“

Ohne Referenz keine Bewertung
Die vielen Kameras und der Platz, den sie benötigten, waren jedoch nicht der Hauptgrund, warum die Trainingsdaten­erhebung im Imaging Hangar der Univer­sität Konstanz stattfand – eine gewöhn­liche Turnhalle hätte dafür ausgereicht. Entscheidend ist vielmehr, was sich unter der Decke des Hangars befindet: ein System zum Motion Capturing. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, das vor allem in der Film- und Videospielindust­rie eingesetzt wird, um virtuelle Charak­tere auf Basis der Bewegungen echter Menschen zu animieren. Dazu verfolgen spezielle Infrarotkameras die Position von Markierungen auf den Körpern von SchauspielerInnen. Die erhaltenen Be­wegungsdaten werden anschließend auf die virtuellen Charaktere übertragen, um deren Bewegungen möglichst realistisch wirken zu lassen. Die Markierungen, de­ren Positionen im Raum dabei präzise nachverfolgt werden, sind kleine Reflek­toren – genau wie die auf dem Trainings­outfit unserer Sportlerin.

Das Subsequent-Team hat die Reflek­toren auf der Kleidung seiner ProbandIn­nen gezielt an den Gelenkpunkten an­gebracht, also an den Stellen, zwischen denen die KI später die „Knochen“ des digitalen Skelettmodells rekonstruieren soll. „Wir erhalten dadurch sogenannte Ground-Truth-Daten – also Referenzwer­te, die wir für die Entwicklung unserer Ver­fahren benötigen. Da das Motion-Captu­ring-System sehr genau arbeitet, können wir davon ausgehen, dass die erfassten Gelenkpositionen objektiv korrekt sind. Sie können uns deshalb als Maßstab beim Testen und Bewerten der Genauigkeit un­serer Modelle dienen“, führt Zimmermann aus. Und die Reflektoren auf den Hanteln und Fitnessbändern? Sie ermöglichen ebenso die präzise räumliche Nachverfol­gung der Kleingeräte während der Übun­gen – und beim Fitnessband über den Abstand der Reflektoren sogar die Erfas­sung des Dehnungszustands.

© Universität Konstanz, Inka Reiter

Die Reflektoren sind nicht nur am Körper der Versuchsteilnehmenden angebracht, sondern auch an den Trainingsgeräten. So kann beispielsweise der Dehnungszustand des abgebildeten Fitnessbandes nachverfolgt und exakt berechnet werden. 

Warum in die Ferne schweifen, …?
Während die technischen Aspekte des THERESA-Projektes von den Informa­tikerInnen der Subsequent GmbH und der Universität Konstanz vorangetrie­ben werden, kommt die therapiewissen­schaftliche Expertise von der Hochschule Trier: Steffen Müller, Professor für Phy­siotherapie mit dem Schwerpunkt Be­wegungswissenschaft und angewandte Biomechanik, und sein Team halfen bei der Auswahl der therapeutischen Übun­gen, bewerten Qualität und Intensität der Ausführung durch die SportlerInnen und werden helfen, die entwickelten KI-Modelle zu validieren. Denn diese sollen künftig nicht nur die Übungen und Geräte erkennen, sondern auch die dabei entste­henden Kräfte und die Trainingsintensität erfassen – für eine Analyse, die weit über das bloße Zählen von Wiederholungen hi­nausgeht und zusätzlich die anfangs ge­schilderte individuelle Leistungsbewer­tung mit Echtzeit-Feedback ermöglicht.

In seinen anderen Projekten arbeitet das Subsequent-Team häufig mit lokalen PartnerInnen aus dem Gesundheitsbe­reich zusammen – und das mit großem Erfolg. So wurde das Unternehmen in der Vergangenheit bereits mehrfach mit renommierten Gründer-Preisen ausge­zeichnet, darunter der 1. Platz deutsch­landweit im Wettbewerb „Digitales Start-Up des Jahres 2023“ des damaligen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Und doch stellt sich die Frage: Muss man irgendwann in eine der deutschen „Start-Up-Metropolen“ ziehen, um dauerhaft innovativ zu bleiben und in der Gründungs-Szene mitmischen zu können? „Tatsächlich werden wir oft ge­fragt, warum wir nicht nach Berlin, Mün­chen oder Karlsruhe gehen“, sagt Stein. „Aber wir haben hier in Konstanz alles, was wir brauchen: eine starke Universität, die uns von wissenschaftlicher Seite bei unserer Weiterentwicklung unterstützt, und engagierte PartnerInnen aus dem Gesundheitswesen, wie das Klinikum Konstanz oder die Kliniken Schmieder, die genau wie wir für Innovation brennen. Wir sehen also keinen Grund, wegzugehen. Im Gegenteil! Wir freuen uns, der Region, in der wir entstanden und gewachsen sind, als Unternehmen auch etwas zurückge­ben zu können.“

Die Subsequent GmbH und die Universität Konstanz
Die Subsequent GmbH ist seit jeher eng mit der Universität Konstanz verbunden: 2019 trat Manuel Stein erstmals mit seiner Gründungs­idee an Kilometer1 heran – die gemeinsame Startup-Initiative der Universität und der HTWG Konstanz. Lisa Kuner, Gründungs- und Fördermittelberaterin von Kilometer1 und Leitung der Stabsstelle Universitätsentwicklung, Forschung und Transfer der Universität Konstanz, unterstützt das Subsequent-Team bis heute in verschiede­nen Belangen. Ein Jahr später warb das damalige Gründungsteam aus Manuel Stein, Philip Zimmermann und Marc Lüttecke – allesamt Ab­solventen der Universität Konstanz – ein EXIST-Gründungsstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie ein. Technisch-fachliches Mentoring erhielten sie in dieser Zeit von Daniel Keim, Professor für Datenanalyse und -visualisierung in Konstanz. Nach der Gründung der Subsequent GmbH 2021 ermöglichte eine Koopera­tionsvereinbarung die weitere Nutzung von Räumlichkeiten und IT-In­frastruktur der Universität. Es folgten mehrere vom Bund geförderte Kooperationsprojekte mit Konstanzer Forschenden – insbesondere aus der Informatik und der Sportwissenschaft.

 

Daniel Schmidtke

Von Daniel Schmidtke - 21.11.2025

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