Ein kleines Korallenabenteuer

Wissenschaft ist nur etwas für Erwachsene? Nix da, sagt der Biologe Christian Voolstra von der Universität Konstanz. In spannenden Formaten gibt er sein Wissen über Korallen an Kinder weiter. Jüngst begleitete er die Entstehung des Kinderbuchs ‚Kira Koralle‘. Im Interview erzählt er, wie es dazu kam und warum er es so wichtig findet, dass auch die Jüngsten bereits mit wichtigen Umwelthemen in Kontakt kommen.

Die kleine Koralle Kira schwimmt durch die Weiten des Ozeans. Sie sucht eine Alge, die ihr helfen soll, in bunten Farben zu erstrahlen. Doch warum sind da so viele blasse Korallen am Boden? Und was für seltsame Gegenstände schwimmen überall im Wasser?

"Hach, ich möchte gerne die bunteste Meeresblume im ganzen Ozean sein."

Kira Koralle

Was zunächst nur nach einer lustigen kleinen Geschichte mit vielen bunten Bildern klingt, hat einen durchaus ernsten Hintergrund: Das Korallensterben nimmt weltweit immer weiter zu. Vor kurzem erst wurde die vierte weltweite Korallenbleiche bestätigt – ein Massensterben dieser wichtigen Meereslebewesen. Welche weitreichende Bedeutung das für alles hat, weiß der Forscher Christian Voolstra von der Universität Konstanz. Dass er sein Wissen nun auch in Form eines Kinderbuchs weitergeben durfte, freut ihn besonders.

Herr Voolstra, im April ist das Buch „Kira Koralle und das Verschwinden der Meeresfarben“ erschienen. Sie waren als wissenschaftlicher Experte an der Entstehung beteiligt. Wie ist es dazu gekommen?

Christian Voolstra: Alina Gries, die Autorin des Buches, hatte bereits zwei Kinderbücher geschrieben, die sich mit dem Thema Umweltschutz beschäftigen. Als drittes Buch hatte sie sich das Thema Korallen vorgestellt und mir einfach eine Mail geschrieben und angefragt, ob ich den Prozess begleiten würde. Wir kannten uns zu dem Zeitpunkt noch nicht und sie war auch etwas überrascht, dass von mir sofort eine Zusage kam. Das war sie von anderen Anfragen dieser Art wohl nicht gewohnt. Viele WissenschaftlerInnen sind eher zurückhaltend bei der Öffentlichkeitsarbeit. Aber ich war lange im Ausland, wo es oft anders läuft und die Verbindung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft enger ist. Ich finde es wichtig, auch in Deutschland mehr wissenschaftliche Erkenntnisse – auch in einfacher Form – an die Öffentlichkeit zu bringen.

Wie ging es dann weiter?

Alina hat mir erstmal ihre anderen Bücher geschickt und ich fand sie sehr gut. Darin werden auf kindgerechte Weise wichtige Umweltthemen behandelt. Ich bin ohnehin der Meinung, dass man nicht alles Negative von Kindern fernhalten kann und soll. Zwar braucht es nicht immer alle Details, aber sie bekommen ja mit, was um sie herum geschieht. Da ist es auch wichtig, ihnen bestimmte Dinge näherzubringen – wie beispielsweise die Missachtung der Natur und die Folgen. In diesem Fall jetzt die Korallenbleiche.

Was ist eine Korallenbleiche?

Immer häufiger ist von der sogenannten Korallenbleiche die Rede, bei der teilweise ganze Riffe ihre Farbe verlieren. Es wirkt zunächst nur wie ein optischer Makel, doch die Folgen sind verheerend: Bleichen die Korallen aus, sterben viele von ihnen bald darauf auch ab. Eine Katastrophe für die Ozeane und für das Ökosystem der Erde.

Doch was genau passiert dabei eigentlich? Die farbliche Vielfalt der Korallen ist das Ergebnis ihrer Symbiose mit Mikroalgen. Diese liefern den Korallen mittels Fotosynthese einen Großteil der Energie, die sie zum Leben brauchen. Die Farbe ist im Grunde nur ein Nebenprodukt, hervorgerufen durch die Farbstoffe, die das Licht für die Photosynthese einfangen.

Die Mikroalgen reagieren jedoch sehr empfindlich auf Temperaturschwankungen und stoßen Stoffe aus, auf die wiederum die Korallen reagieren: Die Algen werden abgestoßen, die Energiezufuhr gestoppt. Was folgt, ist zunächst ein Verblassen der Korallenfarbe und letztlich ein Verhungern und Absterben – alleine oder in Massen.

Das klingt, als hätten Sie schon Erfahrung in der Arbeit mit Kindern?

Ich habe selbst drei Kinder. Meine älteste Tochter hat jetzt sogar eigene kleine Ideen zu den Inhalten des Buches beigetragen und war Testleserin. Was ich beruflich mache, habe ich im Rahmen der Kinder-Uni an der Universität Konstanz bereits an Schülerinnen und Schüler weitergegeben oder im kleinen Rahmen in Schulen vorgetragen. Ganz neu ist das vereinfachte Widergeben der wissenschaftlichen Vorgänge für mich also nicht. Die Entwicklung eines Kinderbuches allerdings schon.

Haben Sie sich dann die Geschichte um Kira selbst ausgedacht?

Nein, das war die Autorin Alina Gries. Nachdem wir im August letztes Jahr den ersten Kontakt hatten, haben wir uns ein paar Mal gesprochen, um den Rahmen abzustecken, und Anfang Dezember hat sie mir dann den ersten Entwurf ihrer Geschichte zugeschickt. Damals noch recht abstrakt in einer Art Tabelle. Die zugehörigen Illustrationen sollten erst später entstehen. Das erforderte schon einiges an Vorstellungsvermögen. Auf dieser Grundlage haben wir dann Details durchgesprochen und überarbeitet. Manchmal waren es nur kleine sprachliche Feinheiten, manchmal war aber auch etwas inhaltlich nicht ganz korrekt. Was schnell passieren kann, wenn man bekannte Muster auf eine neue Materie überträgt. So hat sich der Seeigel Simon in der ersten Fassung vor Schreck zusammengerollt. Das kennen wir alle vom Igel im Garten. Seeigel rollen sich allerdings nicht ein, die sind starr – aber sie können sich ein bisschen zurückziehen. Das wurde dann entsprechend umgeschrieben.

Bei Kira selbst war es dann vor allem die Optik bei den Zeichnungen später. Kira ist eine sechssymmetrische Koralle. Das hat damit zu tun, dass die Tentakel immer sechs oder ein Vielfaches von sechs sind. Kiras „Frisur“ bestand im ersten Entwurf jedoch aus vielen Tentakeln. Auch das wurde dann korrigiert.

Das klingt nach viel Aufwand. Wie lange hat die Arbeit am Buch etwa gedauert?

Erstaunlicherweise gar nicht so lang, wie man annehmen würde. Im August 2023 hat Alina mich kontaktiert. Im November oder Dezember hat sie den ersten Entwurf der Geschichte geschickt und bis März haben wir dann noch editiert, Sachen verschoben und an Details gefeilt. Und im April erschien dann schon die erste Auflage.

Ich war selbst überrascht, wie schnell und gut alles funktioniert hat. Dabei gab es durchaus einige Herausforderungen. Es war gar nicht so leicht, die Namen der Figuren zu finden, da inzwischen vieles schon urheberrechtlich geschützt ist – und dann sollte es ja auch im Englischen gut klingen.

Es gibt auch eine englische Version?

Ja, die wurde direkt mit produziert und zeitgleich veröffentlicht. In der englischen Version habe ich dann auch das Lektorat gemacht und das war fast anstrengender, als ein wissenschaftliches Paper zu schreiben. Da noch einmal ganz genau zu bleiben und zu schauen, dass man sprachlich konsistent bleibt – das habe ich bei dem Kinderbuch ehrlich gesagt total unterschätzt.

In wissenschaftlichen Publikationen ist man es auch gewohnt, dass man bis zum letzten Moment noch Änderungen machen kann. Entsprechend sah auch mein Zeitplan aus. Die Autorin und die Illustratorin hat es aber eher irritiert, dass ich kurz vor dem Druck zum wiederholten Male noch mit Anmerkungen vor der Tür stand, aus ihrer Sicht sollte es schon einen Monat davor komplett sein.

War das auch die größte Herausforderung?

Ja, irgendwie schon, denke ich. Irgendwann hatte ich die Lust am Korrekturlesen verloren (lacht). Anders als in der Wissenschaft, wo man das Erscheinen eines Papers ggf. auch noch einmal verschieben kann, stand der Drucktermin hier fest und daran war nicht zu rütteln. Da musste man sich im Endspurt schon sehr konzentrieren.

Und wurde am Ende alles umgesetzt, was Ihnen wichtig war? Vielleicht sogar etwas aus Ihrer aktuellen Forschungsarbeit?

Ja, das Buch ist jetzt schon ziemlich explizit im Hinblick auf die Korallenbleiche und Klimawandel. Das war anfangs nicht ganz so eindeutig, aber auf den letzten Metern habe ich dann nochmal darauf gedrängt, da nachzuschärfen. Am Ende wurde alles umgesetzt, was mir wichtig war, und es war ein gutes Zusammenspiel mit der Autorin. Meine neuesten Ergebnisse wären da zu speziell gewesen. Es ging mehr um eine allgemeine Umreißung des Themas

Und haben Sie Ihre Tantiemen vom Buchverkauf jetzt schon verplant?

(lacht) Nein, ich habe auf alle Einnahmen verzichtet. Mein größter Gewinn an dem Buch ist die Tatsache, dass ich eine Verbindung zwischen den Autorinnen und dem Korallenschutzprogramm SeaChange Indonesia herstellen konnte, mit dem wir auch in der Forschung eng zusammenarbeiten. Des Weiteren wird das Buch offiziell von der International Coral Reef Society (ICRS) – der wissenschaftlichen Gesellschaft für Riffforschung – empfohlen und wurde auch finanziell unterstützt. Für jedes verkaufte Exemplar wird eine Koralle gepflanzt. So wird die Botschaft, dass die Meere geschützt werden müssen, nicht nur theoretisch an die nächste Generation weitergegeben, sondern es geschieht auch direkt in der Realität etwas.

Weiterführende Links

Prof. Dr. Christian Voolstra ist Inhaber des Lehrstuhls für Genetik der Adaptation in aquatischen Systemen. Er erforscht Korallenriffe und kombiniert dabei ökologische, umweltbezogene, mikrobielle und molekulare Ansätze. Zudem ist er der derzeitige Präsident der International Coral Reef Society (ICRS) und Leiter der Sequencing Analysis Core Facility an der Universität Konstanz.

Die Autorin Alina Gries setzt sich sowohl beruflich als auch privat mit Umweltthemen auseinander. Kira Koralle ist ihr drittes Kinderbuch einer thematischen Reihe.

Die Illustratorin Alina Spiekermann hat bereits verschiedene Kinderbücher gestaltet und arbeitet abseits davon unter anderem als Szenenbildnerin im Filmbereich.

Das Korallenschutzprogramm SeaChange Indonesia setzt sich seit 2005 für eine Erhaltung der Korallenriffe in der Bucht von Sekotong, Indonesien, ein.

Die International Coral Reef Society (ICRS) unterstützt seit 1980 die wissenschaftliche Untersuchung von Korallenriffen und die Verbreitung des gewonnenen Wissens.

Die Lebens- und Überlebensbedingungen von Korallen erforscht die Tara Pacific-Expedition, an der auch Christian Voolstra als Forscher und wissenschaftlicher Koordinator teilnahm. Die gewonnen Daten sind open-access für jeden frei nutzbar:

Headerbild: Alina Spiekermann - https://www.alinaspiekermann.com/
 

Mandy Haugg

Von Mandy Haugg - 18.07.2024