Drei Wünsche für das KIM und ein Marathonlauf über Bücherregale
Was hat eine Bibliothek mit einem Rechenzentrum zu tun?
Oliver Kohl-Frey: Man könnte sagen: „Eigentlich war die Bibliothek die erste Core Facility der Universität.“ 2014 wurde die Bibliothek zusammen mit dem Rechenzentrum und der Verwaltungs-EDV zu einer organisatorischen Einheit verbunden, dem heutigen KIM. Die Vision war damals natürlich: Wenn wir Bibliothek und IT-Services zusammenlegen, dann schaffen wir erstens Synergieeffekte. Wir erreichen zweitens eine größere Flexibilität, zugunsten der digitalen Infrastruktur und des Personals. Drittens haben wir eine zentrale Ansprechstelle für alle Anfragen zu Themen der IT- und Informationsversorgung.
Mit der zunehmenden Digitalisierung in allen Universitätsbereichen wurde mehr und mehr klar, dass man schnell Gefahr läuft, Dinge mindestens doppelt zu machen oder aneinander vorbei, die man sinnvollerweise gemeinsam, abgestimmt und in der richtigen Reihenfolge tut. Von daher war es sehr folgerichtig, die Einrichtungen zusammenzufassen.
Geben Sie uns ein Beispiel, warum diese Zusammenführung von Bibliothek und IT sinnvoll ist.
Ein gutes Beispiel ist das Thema Forschungsdatenmanagement. Da gibt es an anderen Universitäten Zuständigkeitsunklarheiten oder sogar Konkurrenz.
- Die Rechenzentren sagen: „Da geht es ums Datenspeichern. Das ist erstmal unser Geschäft.“
- Die Bibliotheken sagen: „Da geht es ganz stark auch um Metadaten, also beschreibende Daten für einen Forschungsdatensatz. Das ist unser Thema.“
Für uns hier in Konstanz es hingegen völlig klar: Das ist ein Thema des KIM! Wir haben das Forschungsdatenmanagement zentral im Team Open Science verankert.
© Inka Reiter2014 wurde die Bibliothek zusammen mit dem Rechenzentrum und der Verwaltungs-EDV zu einer organisatorischen Einheit verbunden, dem heutigen KIM.
Das KIM ist auch ein roter Faden im Labyrinth der Datenbestände.
Wir haben schon vor zehn Jahren gemerkt, dass wir in den verschiedensten Bereichen der Universität unterschiedliche Daten zu Personen, Organisationseinheiten, Studium und Lehre, Projekten und einigem mehr getrennt voneinander pflegen, die nicht immer zueinanderpassen, keine Schnittstellen zueinander haben und nicht „miteinander reden“ können. Ein großes Projekt war daher die Integration dieser ganzen zentralen universitären Daten aus etwa 150 verschiedenen Datenquellen und Tabellen in ein einheitliches Datenmanagement. Da ist völlig klar: Das macht das KIM, gemeinsam mit den Fachabteilungen.
Die digitale Zukunft war der Bibliothek in die Wiege gelegt. Sie hat von Anfang an stark auf Digitales gesetzt.
Richtig, unsere Bibliothek hatte von den ersten Momenten an einen sehr starken digitalen Zweig. Mit der Gründung der bibliothekarischen Arbeitsstelle an der Universität im Jahr 1964 – noch vor der eigentlichen Gründung der Universität Konstanz im Jahr 1966 – haben die Verantwortlichen mit viel Weitblick damals schon mit der Datenverarbeitung angefangen. Alle Daten wurden elektronisch erfasst und damals noch in gedruckten Katalogen ausgegeben. Aber man hatte damit die Grundlage für die elektronische Erfassung und hat sehr früh schon mit dem Rechenzentrum zusammengearbeitet.
Letztlich war der Datenbestand unserer Bibliothek dann auch das Gründungskapital für den Südwestdeutschen Bibliotheksverband, weil wir in Baden-Württemberg die Universität waren, die eben nie mit Zettelkatalogen angefangen hat, sondern von Anfang an die Daten elektronisch erfasste. Sehr früh etablierte sich auch der Open Access-Gedanke: zu sagen, wenn wir digitale Publikationen haben, dann wollen wir sie weltweit möglichst ohne Schranken zur Verfügung stellen.
© Inka ReiterEinblick in die Serverräume des KIM. Die digitale Zukunft war der Bibliothek in die Wiege gelegt. Sie hat von Anfang an stark auf Digitales gesetzt.
Was waren entscheidende Meilensteine des KIM?
Gleich ganz am Anfang, kurz nach Gründung des KIM, sind zwei räumliche Themen zentral gewesen: Wir haben 2014/15 nahezu zeitgleich einerseits das sanierte Rechenzentrum und andererseits die sanierte Bibliothek in Betrieb genommen.
Ganz einschneidend war dann die Corona-Pandemie, in der wir alle gelitten haben, aber auch gesehen haben, was möglich ist. Ein gutes Beispiel dafür ist der Anfang März 2020, kurz vor der ersten großen Corona-Welle in Deutschland. Zu dem Zeitpunkt hatten wir noch fünf Wochen Zeit bis zum Semesterbeginn des Sommersemesters 2020. Was innerhalb dieser fünf Wochen dann geleistet wurde, um die digitale Lehre und den digitalen Universitätsbetrieb zu ermöglichen, ist völlig verrückt. Das ging tatsächlich auch nur, weil wir eine unglaublich enge Zusammenarbeit schon im Vorfeld hatten und genau wussten, wen wir dann zusammenstecken müssen: aus den nah an der Wissenschaft arbeitenden Fachreferaten, aus dem E-Learning-Team des KIM, aus der IT. Und das gemeinsam mit den anderen relevanten Bereichen der Uni.
Ein persönlicher Moment war für mich auch der Abschied von Petra Hätscher als KIM-Direktorin im Dezember 2021, und dann natürlich der Übergang der Direktion an mich. Ein jüngster Meilenstein ist die Ressourcenfrage: dass die Universitätsleitung grundsätzlich anerkannt hat, dass wir einen massiven Reinvestitionsbedarf in der Netzwerkinfrastruktur haben. Die Leitungen, die hier in der Wand sind, sind zum Teil 35 Jahre alt. Da ist letztes Jahr die gute Entscheidung gefallen, für den Erhalt Mittel bereitzustellen. Digitalisierung braucht Ressourcen. Wenn wir jetzt zurückfallen, fallen wir massiv zurück.
Ich möchte noch einen weiteren Meilenstein hinzufügen: einen Strategieentwicklungsprozess. Was ist da denn passiert?
Stimmt, wir haben im KIM einen Strategieentwicklungsprozess angestoßen, haben uns darin ein Profil und damit ein Selbstverständnis gegeben. Wir hatten zunächst mit einer Klausurtagung begonnen, in der wir Themen sammelten und diskutierten. Am Ende sind wir da rausgegangen mit der festen Überzeugung: Wir wissen, was wir können – aber bei den folgenden 20 Themen haben wir Arbeitsbedarf. Und diese 20 Themen haben wir mitgenommen und in den letzten zwei Jahren Stück für Stück gut bearbeitet. Ein Ergebnis davon ist das Profil des KIM, unser Selbstverständnis, worauf sich alle berufen können und bei dem wir einen großen Konsens haben: Ja, das sind wir!
Und der Prozess läuft weiter. Wir arbeiten jetzt unter der Federführung von Prorektorin Christine Peter an einer Digitalisierungsstrategie der Universität, die die E-Science-Strategie und die Digital-Aspekte aus dem Struktur- und Entwicklungsplan zusammenfassen und weiter entwickeln wird. Natürlich gehört da auch die Open Science-Policy dazu, die eine der ersten in Deutschland war.
Verraten Sie uns bitte etwas, was kaum jemand über das KIM weiß.
„Wenn man die Leute fragen würde, wie viele Kilometer Regale denn in so einer Bibliothek wie der unseren stehen, wären die Schätzungen sehr verschieden – und die meisten wären falsch. 50 Kilometer sind es. Wenn man alle aneinanderlegen würde, könnte man mehr als einen Marathon über Bücherregale laufen. Genauso spannend sind die Digitalzahlen: darunter 14.370 Netzwerkdosen und 580 WLAN Access Points.“
Oliver Kohl-Frey
Ein unterschätztes Thema ist, dass wir zwar eine Bibliothek sind, die jedes Jahr neue Bücher kauft, aber wir wachsen nicht. Weil wir jedes Jahr mindestens so viele Bücher aussondern, wie wir neu kaufen. Wir haben auch keine freie Regalfläche zum Wachsen. Diese Aussonderung ist eine Bestandspflege. Wir sondern Bücher aus, bei denen ein digitales Exemplar zur Verfügung steht, aber natürlich auch kaputte, verschlissene Bücher. Wir sondern auch veraltete Exemplare aus, wenn zum Beispiel von einem Lehrbuch eine Neuauflage erscheint. Wir sind keine Archivbibliothek, wir sind eine Gebrauchsbibliothek – wir trennen uns auch von Literatur. Natürlich kaufen wir mittlerweile sehr viel mehr elektronisch ein – ca. drei Viertel unseres Literatur-Etats geht in Digitales.
Gibt es bibliothekarische Schätze im KIM?
Wir sind keine alte Bibliothek, wir haben keinen großen Altbestand. Aber wir haben ein paar Schätze, zu denen unter anderem eine sogenannte Erdbeerinitiale aus einer mittelalterlichen Handschrift zählt: Der Buchstabe ist wie eine Erdbeere verziert. Das ist ein kleines Fragment aus einer alten Handschrift. Für uns ist es ein bisschen etwas Besonders. Liegt im Rara-Raum, gut gesichert und klimatisiert.
Die sogenannte Erdbeerinitiale aus einer mittelalterlichen Handschrift liegt gut gesichert im Rara-Raum der Bibliothek.
Die sogenannte Erdbeerinitiale aus einer mittelalterlichen Handschrift liegt gut gesichert im Rara-Raum der Bibliothek.
Mit der Gründung des KIM ist auch etwas besonders passiert: Da wurde ein Café, in dem geschwatzt, diskutiert und Kaffee getrunken wird, mitten in eine Bibliothek reingebaut.
Wir verstehen unsere Bibliothek zwar auch als Ort für die Kollektion, vor allem aber als Lern- und Arbeitsraum für die Studierenden. Wenn Sie durch die Bibliothek laufen und die Studierenden fragen, werden viele sagen: „Natürlich ist die Bibliothek mein zweites Zuhause in der Prüfungszeit.“ Und dazu gehören auch Bereiche wie das BibCafé und verschiedenste Arbeitsplätze, an denen man reden, diskutieren und lachen darf.
Das ganze Infozentrum ist ein Bereich, in dem wir sagen: Hier darf, ja hier soll sogar gesprochen und kommuniziert werden! Ich erlebe es häufig, dass ich mit Wissenschaftler*innen oder Studierenden im Gespräch bin und sie sagen: „Das BibCafé, das ist DER Platz an der Uni.“ Es gehört untrennbar zur Bibliothek mit dazu.
Wenn Sie drei Wünsche für das KIM frei hätten – welche wären dies?
Der erste Wunsch: dass wir trotz der wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die jetzt anstehen, den so engagierten Kolleginnen und Kollegen nicht die Motivation nehmen, sich für etwas einzusetzen, wofür sie stehen.
Zweitens würde ich mir wünschen, dass wir auch in den nächsten zehn Jahren weiterhin eine erstklassige Serviceeinrichtung für eine exzellente Uni sein werden: mit sehr guten Services, orientiert an den Bedürfnissen von Forschung, Lehre, Studium und Universitätsverwaltung, mit einem klaren Bekenntnis zu Openness und digitaler Souveränität – und ausgestattet mit den notwendigen Ressourcen, denn ohne die geht es nicht.
Das waren jetzt zwei Wünsche. Einen haben Sie noch.
Man muss schon sagen: Wir haben momentan echt Dampf im Kessel. Exzellenzwettbewerb, Konsolidierungsdiskussionen, Digitalisierungsstrategie mit einem zunehmenden Plus an Anforderungen. Das fordert das Team sehr. Deswegen machen wir auch Aufgabenkritik, schauen unsere Services durch und prüfen: Brauchen wir das alles, müssen wir jedes Erkerchen und jedes Türmchen auch weiterhin bedienen? Wo kommen wir zu mehr Standardisierung? Denn immer nur Draufpacken funktioniert nicht.
Ich wünsche mir daher – und das wäre mein wichtigster Wunsch –, dass unsere Leute hier im KIM gesund bleiben.
Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die nächsten zehn Jahre!
Das Kommunikations-, Informations-, Medienzentrum (KIM) der Universität Konstanz feiert dieses Jahr ein beeindruckendes Triple-Jubiläum: 10 Jahre KIM, 55 Jahre Rechenzentrum und 60 Jahre Bibliothek. Ende des Sommersemesters 2024 wurde der lange Weg dieser Verbindung gewürdigt. Einen Nachbericht über die Feierlichkeiten finden Sie im Online-Magazin der Universität Konstanz.