Binäre Mesokristalle aus dem Nanobaukasten

Forscherteam unter Konstanzer Leitung erzeugt erstmals dreidimensionale Mesokristalle aus zwei unterschiedlichen Typen von Nanokristallen – Platin und Magnetit. Dies legt den Grundstein für die Synthese neuartiger nanostrukturierter Festkörper mit bisher unerforschten Eigenschaften.
© Christian Jenewein

Mesokristalle sind eine Klasse von Festkörpern, die durch die regelmäßige Anordnung von Nanokristallen entstehen. Das sind winzige Nanopartikel, die aufgrund ihrer geringen Größe einzigartige Eigenschaften besitzen. In Mesokristallen nehmen diese in einem dichtgepackten Gitter eine hochorganisierte, übergeordnete Form an. Einem Deutsch-Schweizerischen Forschungsteam unter Leitung des Konstanzer Chemikers Prof. Dr. Helmut Cölfen ist es nun gelungen, besonders komplexe Mesokristalle mit weitestgehend unbekannten chemischen und physikalischen Eigenschaften zu synthetisieren und deren Struktur aufzuklären.
 
Die Besonderheit: Die neuartigen Festkörper bestehen aus zwei unterschiedlichen Nanokristallen als Grundbausteinen – Platin- und Magnetit-Würfel – und organisieren sich eigenständig zu einer dreidimensionalen Überstruktur. Bisher konnten Mesokristalle aus zwei unterschiedlichen Grundbausteinen, sogenannte binäre Mesokristalle, lediglich als flächige, sprich zweidimensionale Strukturen erzeugt werden.

Mesokristalle entstehen durch Selbstorganisation von Nanokristallen, hier Platin- und Magnetit-Nanowürfel, zu übergeordneten, hochorganisierten Strukturen.
Copyright: Christian Jenewein


 
Der Syntheseweg und der strukturelle Nachweis der binären 3D-Mesokristalle aus Platin- und Magnetit-Nanokristallen sind gerade in der Fachzeitschrift Angewandte Chemie erschienen. Die Ergebnisse der Studie stellen den ersten Schritt in Richtung eines möglichen „Baukastensystems“ dar, mit dem in Zukunft die Eigenschaften verschiedener Nanokristalle gezielt kombiniert und aus der Nano- in die besser handhabbare Mikrowelt transferiert werden könnten – mit einer Vielzahl möglicher Vorteile und Anwendungen.
 
Nanotechnologie im antiken Rom
Die Grundbausteine der Mesokristalle sind sogenannte Nanokristalle. Diese zeigen aufgrund ihrer geringen Größe, die noch kleiner als die von Viren sein kann, einzigartige Eigenschaften, die größeren Partikeln desselben Materials fehlen. Hierzu gehört der kompliziert klingende Größenquantisierungseffekt, welcher bei Halbleiternanopartikeln mit einem Durchmesser im Nanometerbereich durch größenabhängige Farbe zu beobachten ist und der unter anderem bei der Herstellung von LEDs eine wichtige Rolle spielt. Ein weiteres Beispiel ist der sogenannte Oberflächenplasmonenresonanzeffekt, der Metallnanopartikeln größenabhängige optische Eigenschaften verleiht.

Der Lycurgus-Kelch erscheint je nach Lichteinfall und Betrachtungswinkel in unterschiedlichen Farben.
Für die Abbildung wurden zwei Originalbilder durch Daniel Schmidtke zusammengefügt. Copyright der Originale: The Trustees of the British Museum; Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0


Die Menschheit machte sich einige dieser Nano-Eigenschaften bereits zu Zeiten des römischen Reichs zu nutze. Ein berühmtes Anschauungsobjekt ist der Lycurgus-Kelch aus dem vierten Jahrhundert, der heute im Britischen Museum ausgestellt ist und dessen Glaselemente je nach Lichteinfall und Betrachtungswinkel ihre Farbe ändern. Der Grund: Das Glas des Kelches ist mit Nanopartikeln aus Silber und Gold imprägniert, die den Oberflächenplasmonenresonanzeffekt zeigen. Auch die kräftigen und beständigen Farben mittelalterlicher Kirchenfenster basieren in ähnlicher Weise auf diesem Effekt, da sich in dem Glas der Fenster eingegossene Goldnanopartikel befinden.

Das Beste aus zwei Welten
„Durch die Erzeugung von Mesokristallen aus Nanokristallen kann es nun gelingen, diese und weitere Eigenschaften, die bisher nur den kleinsten Festkörpern vorbehalten waren, auf Festkörper mit Größen im Mikrometerbereich zu übertragen“, erklärt Helmut Cölfen, Professor für Physikalische Chemie an der Universität Konstanz und Leiter des Forschungsprojektes. „Das macht Mesokristalle zu extrem interessanten Objekten in der Materialforschung.“

Die Mikrometer-Skala umfasst Objekte, die bis zu 100.000mal größer als Nanopartikel sind. Das ist zwar immer noch sehr klein, macht aber einen gewaltigen Unterschied in der Handhabbarkeit der Partikel aus. Zum Beispiel lassen sich Partikel mit Größen im Mikrometerbereich deutlich besser filtern als Nanopartikel. Dadurch entfällt bei Festkörpern wie Mesokristallen auch ein entscheidender Nachteil von Nanopartikeln – deren potentielle Toxizität: Nanopartikel sind in der Vergangenheit zunehmend in den Fokus der Gesundheitsforschung geraten, da die Partikel ungebunden leicht über Haut, Nahrung oder Atemluft in den Körper gelangen können. „Aufgrund ihrer geringen Größe können Nanopartikel wichtige Schutzbarrieren des menschlichen Körpers überwinden. Das können die deutlich größeren Mesokristalle nicht“, so Helmut Cölfen.

Mit Geduld ans Ziel
Um die bisher einzigartigen, in der aktuellen Studie beschriebenen binären 3D-Mesokristalle aus Platin- und Magnetit-Nanokristallen herzustellen, werden diese würfelförmigen Grundbausteine zunächst gemeinsam in ein Lösungsmittel gebracht. Es entsteht eine sogenannte Dispersion. Das Mischungsverhältnis spielt dabei eine entscheidende Rolle und spiegelt sich später auch in der Zusammensetzung des Mesokristalls wider. „Würden wir nun einen Tropfen des Baustein-Gemischs nehmen und das Lösungsmittel einfach verdampfen lassen, erhielten wir zwar ebenfalls einen binären Mesokristall, dieser wäre jedoch flächig und nicht dreidimensional ausgedehnt. Um dreidimensionale Mesokristalle zu erzeugen, mussten wir uns daher etwas Neues einfallen lassen“, berichtet Helmut Cölfen.
 

Feldemissions-Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der dreidimensionalen, binären Mesokristalle.
Copyright: Christian Jenewein


Der Schlüssel zum Erfolg: Entschleunigung. Die Dispersion mit den Nanokristallen wird hierfür in einen zusätzlichen, geschlossenen Behälter mit einer Chemikalie gegeben, in der sich die Nanokristalle nicht lösen können – sozusagen ein „Nicht-Lösungsmittel“. Anschließend heißt es abwarten. Langsam, im Verlauf von mehreren Tagen, verdampft das Nicht-Lösungsmittel nach und nach und vermischt sich zunehmend mit der Nanokristall-Dispersion. „Irgendwann beginnen die Nanokristalle aufgrund der Zunahme des Nicht-Lösungsmittels in der Dispersion, miteinander zu interagieren, indem sie aneinander andocken. Normalerweise passiert so etwas schnell und unkontrolliert. Dadurch, dass wir den Vorgang über die Verdampfung des Nicht-Lösungsmittels über mehrere Tage ausdehnen und die Wirkung des eigentlichen Lösungsmittels so nur graduell anstatt plötzlich herabsetzen, läuft er bei uns jedoch deutlich kontrollierter ab. Darum bilden sich bei dieser Methode die ‚großen‘ dreidimensionalen Mesokristalle“, erklärt Helmut Cölfen.
 
Die Entstehung neuartiger, unerforschter Eigenschaften
Nach erfolgreicher Synthese der dreidimensionalen Mesokristalle durch die Konstanzer Chemiker um Helmut Cölfen, erfolgte deren genaue Strukturaufklärung in Kooperation mit Schweizer Kolleg*innen des Zentrums für Röntgenanalytik der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in St. Gallen sowie des Paul Scherrer Instituts (PSI) in Villingen. So konnte der Beweis geliefert werden, dass bei der Synthese tatsächlich dreidimensionale, binäre Mesokristalle aus Platin- und Magnetit-Nanokristallen entstehen. Über die vollständigen physikalischen und chemischen Eigenschaften dieser neuartigen Festkörper können die Forschenden bisher nur spekulieren.

„In unseren binären Mesokristallen haben wir erfolgreich Magnetit- und Platin-Nanokristalle zu einer geordneten Überstruktur zusammengeführt. Magnetit ist, wie der Name bereits verrät, magnetisch. Platin hingegen ist ein sehr guter Katalysator – also Beschleuniger – für viele chemische Reaktionen. Es ist davon auszugehen, dass unsere Mesokristalle beide dieser Eigenschaften miteinander vereinen."

Helmut Cölfen, Professor für Physikalische Chemie an der Universität Konstanz und Leiter des Forschungsprojektes

Aus der Kombination der beiden Eigenschaften ergäbe sich dann aufgrund der Platin-Komponente ein sehr guter chemischer Katalysator, der nach Verwendung aufgrund der Magnetit-Komponente mithilfe eines Magneten leicht abgetrennt und so zurückgewonnen werden könnte. Das wertvolle Material Platin ginge so also nicht verloren. Mesokristalle konservieren jedoch nicht nur die Eigenschaften der verbauten Nanokristalle, sie besitzen zusätzlich Eigenschaften, die über die ihrer individuellen Bausteine hinausgehen. „Wenn die einzelnen Nanokristalle in der übergeordneten Struktur des Mesokristalls miteinander interagieren und koppeln, entstehen völlig neue, kollektive Eigenschaften, die die einzelnen Partikel selbst gar nicht haben“, erklärt Helmut Cölfen begeistert und fährt fort: „Diese in Zukunft im Detail zu erforschen wird äußerst spannend.“

Die genaue Strukturaufklärung der dreidimensionalen, binären Mesokristalle erfolgte unter anderem mittels sogenannter Kleinwinkel-Röntgenstreuung (SAXS) am Paul Scherrer Instituts (PSI) in Villingen.
Copyright: Christian Jenewein


Der erste Schritt zu einem möglichen Baukastensystem
Nach Vorstellung der Forschenden soll es jedoch nicht bei der Herstellung von dreidimensionalen Mesokristallen aus Platin- und Magnetit-Nanowürfeln bleiben. Stattdessen sollen sich über das entwickelte Verfahren in Zukunft auch andere Nanokristalle miteinander kombinieren lassen. Die Forschenden sehen ihre Ergebnisse daher vielmehr als den ersten Schritt in Richtung eines möglichen Baukastensystems „Unser Ziel ist es, die Methode so zu verfeinern, dass sich im Idealfall verschiedenste Nanokristalle und ihre Eigenschaften beliebig kombinieren lassen – so ähnlich wie LEGO-Steine“, gibt Helmut Cölfen einen Ausblick und fährt schmunzelnd fort: „Der Platin-Magnetit-Mesokristall wäre dann sozusagen das erste Türmchen, das wir aus unseren Steinen gebaut haben.“
 
Das Forschungsprojekt, in dem die Mesokristalle entstanden sind, stand mit im Zentrum des Sonderforschungsbereichs „Anisotrope Partikel als Baueinheiten: Maßschneidern von Gestalt, Wechselwirkungen und Strukturen“ an der Universität Konstanz, der durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert wurde und zum Ende des Jahres ausläuft. „Strukturen wie unsere dreidimensionalen, binären Mesokristalle herzustellen, war genau eines der Ziele dieses Sonderforschungsbereichs. Was jetzt noch fehlt, ist die Charakterisierung der Wechselwirkungen zwischen den Nanobausteinen und die Untersuchung der daraus entstehenden, neuartigen Eigenschaften“, schließt Helmut Cölfen.

Bildunterschrift des Titelbildes: Synthese und Strukturaufklärung dreidimensionaler, binärer Mesokristalle aus Platin- und Magnetit-Nanowürfeln

Dr. Daniel Schmidtke

Von Dr. Daniel Schmidtke - 01.12.2021