Der Nase nach im Schwarm

Heuschrecken passen ihren Geruchssinn an, um auch in gewaltigen Schwärmen bestehend aus Milliarden Tieren spärliche Nahrungsquellen riechen zu können. Das fanden ForscherInnen des Exzellenzclusters Kollektives Verhalten der Universität Konstanz heraus und publizierten diese Ergebnisse im Fachjournal Nature Communication.

„Ich konnte das Ausmaß nicht begreifen, bis ich es mit eigenen Augen sah“, berichtet Einat Couzin-Fuchs. Als eine Heuschreckenplage in Kenia vor vier Jahren ausbrach, waren sie und ihr Team vor Ort:

„Einige Gebiete waren völlig befallen und nach dem Durchzug der Heuschrecken blieben nur noch giftige Pflanzen zurück.“

Einat Couzin-Fuchs, Gruppenleiterin am Exzellenzcluster Kollektives Verhalten der Universität Konstanz

Zurück an ihrem Arbeitsplatz, der Universität Konstanz, planten sie auf der Basis der im Feld erhobenen Daten Experimente und Modellierungen. Sie wollen die Entstehung von Heuschreckenplagen besser verstehen, denn jeder zehnte Mensch auf der Erde ist von den Ausmaßen betroffen. Laut der Welternährungsorganisation FAO verschlingt ein Heuschreckenschwarm mit einer Milliarde Tieren etwa 1,500 Tonnen Nahrung allein an einem Tag. Dies ist so viel wie 2.500 Menschen täglich zum Essen benötigen.

Große Unterschiede zwischen solitären und gregären Tieren

Es ist wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass Heuschrecken nicht immer im Schwarm auftreten. Die Insekten können innerhalb von wenigen Stunden zwischen einem solitären (einzeln lebenden) und gregären (in Gemeinschaft lebenden) Zustand wechseln. Dieser Zustandswechsel hat große Auswirkungen auf das Verhalten des Tieres. Letztendlich sogar auf sein Nervensystem und Körperfarbe, die sich von grün zu auffällig gelb-schwarz ändert.

Solitäre und gregäre Heuschrecke

© Inga Petelski

„Durch diesen extremen Wandel in der Lebensweise verändert sich, wie die Tiere nach Nahrung suchen und auch die Verfügbarkeit verschiedener Informationen, die die Tiere während ihrer Nahrungssuche zur Verfügung stehen haben“, sagt Doktorandin Inga Petelski. Deshalb führte sie Verhaltensexperimente durch, bei denen solitäre und gregäre Tiere zwischen verschiedenen Optionen wählen konnten: Die Optionen konnten entweder visuell oder olfaktorisch oder kombiniert wahrgenommen werden. Mit den gewonnenen Daten erarbeitet ihr Kollege Yannick Günzel ein Entscheidungsfindungsmodell.

„Auf der Basis der Verhaltensexperimente und des Entscheidungsfindungsmodells fanden wir heraus, dass der Geruchssinn bei gregären Tieren bei der Nahrungssuche ungemein wichtig ist.“

Yannick Günzel, Doktorand am Exzellenzcluster Kollektives Verhalten

Schlüssel im olfaktorischen System der Tiere

Für das Forschungsteam war somit klar, dass im olfaktorischen System ein zentraler Schlüssel liegt. Daher schauten sie den Gehirnbereich, der für die Geruchsverarbeitung zuständig ist, mit Hilfe eines in vivo Kalzium-Bildgebungsverfahrens genauer an. Das ist ein Verfahren, bei dem die Informationsverarbeitung über gesamte Gehirnareale hinweg sichtbar gemacht werden kann.

https://www.youtube.com/shorts/Sw8IQhzx-T8

Konfokaler Scan durch den rechten Antennenlappen einer Heuschrecke mit einer anatomischen Färbung der Projektionsneuronen (Ausgangsneuronen des Antennenlappens). Das Video beginnt an der Oberfläche des Antennenlappens und zeigt deutlich einzelne Zellkörper. Tiefer werden Mikroglomeruli (funktionelle Einheiten des Antennenlappens) sichtbar, wobei die Axone der Projektionsneuronen den Antennenlappen durch den medialen Trakt verlassen. Der Nerv der Antenne tritt von links in den Antennenlappen ein. Bildkoordinaten: rechts, medial; oben, dorsal


Das eindeutige Resultat: 
© Gioia Forster / DPA

„Wenn man Essens- und Heuschreckenduft paart, erhält man einen synergetischen Effekt: die Gehirnaktivität ist signifikant stärker ausgeprägt, als man von der reinen Addition vermuten würde. Dieser Effekt ist lediglich in der gregären Heuschrecke zu finden.“

Inga Petelski, Doktorandin am Exzellenzcluster Kollektives Verhalten

Das bedeutet, dass Heuschrecken ihren Geruchssinn anpassen, wenn sie in die gregäre Lebensweise übergehen. Ihr olfaktorisches System scheint nun dafür spezialisiert, Essensgerüche im Geruchscocktail des Schwarms besser wahrnehmen zu können. Ihr Kollege Yannick Günzel schlussfolgert daraus: „Das ist der Grund, warum von Heuschrecken im Schwarm immer noch vernünftig Essen wahrgenommen werden kann.“

Die interaktive Grafik zeigt die Vorgänge im Gehirn der Heuschrecke. Klicken Sie auf einen der roten Punkte und erfahren Sie, wie die Geruchswahrnehmung abläuft:

Heuschreckengehirn

„Durch die Kombination von Kalzium-Imaging-Experimenten und computergestützten Analysen ist es unserem Team gelungen, besser zu verstehen, wie sich Heuschrecken an neue Umweltbedingungen anpassen“, sagt Gruppenleiterin Einat Couzin-Fuchs. „Wir haben jetzt ein besseres mechanistisches Verständnis der neuronalen Veränderungen, die beim Übergang zu Schwärmen stattfinden.“ Sie ist überzeugt, dass ihre Forschung und die Entwicklung neuer Methoden zur Untersuchung von Schwärmen dazu beitragen wird, künftige Ausbrüche von Heuschreckenplagen besser vorherzusagen und damit kontrollierbarer zu machen.

Petelski, I., Günzel, Y., Sayin, S. et al. Synergistic olfactory processing for social plasticity in desert locusts. Nat Commun 15, 5476 (2024). https://doi.org/10.1038/s41467-024-49719-7

Teaserfoto: Heuschreckenplage in Kenia. Copyright: Einat Couzin-Fuchs, Exzellenzcluster Kollektives Verhalten

Elisabeth Böker

Von Elisabeth Böker - 28.06.2024