Der Oktopus und seine außergewöhnliche Jagdgesellschaft
Die Tauchausrüstung ist angelegt, die Kameras liegen griffbereit – der Biologe Eduardo Sampaio und seine KollegInnen sind startklar. Sie tauchen hinab ins Rote Meer. Dabei suchen sie die Unterwasserwelt links und rechts ab – und fragen sich: Wo können wir hier einen jagenden Oktopus finden? Schließlich entdecken sie einen. Das Forschungsteam schaltet zwei Kameras an und positioniert weitere, um Aufnahmen vom Geschehen zu bekommen. Dann heißt es warten. Monate später, nach der Analyse von mehr als 100 Stunden Filmmaterial aus Tauchgängen in Israel, Ägypten und Australien, ist Eduardo Sampaio mehr als zufrieden mit den erhobenen Einblicken. Die zwei Kameraperspektiven haben es ihm ermöglicht, eine 3D-Ansicht der Jagdszene im Roten Meer zu erstellen. Dadurch erhielt er neue Erkenntnisse zur gemeinschaftlichen Jagd verschiedener Arten.
Unter Nutzung fortschrittlicher 3D-Aufnahmen und von Feldexperimenten beobachtete Eduardo Sampaio, dass Gruppen, die aus unterschiedlichen Tierarten bestehen, einzigartige Verhaltensweisen zeigen. „In Gruppengefügen aus dem Oktopus Großer Blauer Krake (Octopus cyanea) und verschiedenen Fischarten ist der soziale Einfluss nicht gleichmäßig verteilt, sondern hierarchisch über mehrere Dimensionen strukturiert. Das spiegelt das spezialisierte Rollenverhältnis innerhalb der Gruppe wider“, sagt der Biologe. Insbesondere Fische, vor allem Meerbarben (Mullidae), sind für die Umwelterkundung verantwortlich. Sie bestimmen die Richtung, in welche die Gruppe sich bewegt, während der Oktopus den Zeitpunkt festlegt und die Gruppenbewegung einleitet.
In einer faszinierenden Darstellung ökologischer Synergie fungieren Fische als erweitertes Sensorsystem für Oktopusse. Sie decken größere Bereiche ab und erhöhen die Effizienz der Beutedetektion.
„Dieses vorteilhafte Zusammenspiel ermöglicht es Fischen, sonst unerreichbare Beute zu erlangen. Oktopusse sparen Energie, indem sie sich auf hochwertige Nahrungsquellen konzentrieren, während sie die Kontrolle ausüben und Feedback innerhalb der Gruppe geben. Das unterstreicht die ausgeklügelte Dynamik der marinen Zusammenarbeit.“
Eduardo Sampaio
Neue Perspektive auf Führung
Führungsverhalten in Tiergruppen, sei es bei Fischen, Vögeln oder Primaten, wird üblicherweise mit dem Vorwärtstreiben der Gruppe in Verbindung gebracht. Diese Studie zeigt jedoch, dass Führung sowohl durch die Stimulation als auch durch die Hemmung der Bewegung anderer entstehen kann, wobei der Oktopus die Bewegung durch Hemmung am stärksten beeinflusst. Darüber hinaus beeinflusst die Zusammensetzung der Gruppe erheblich den individuellen Einsatz und das kollektive Handeln, wobei zugleich aufgedeckt wird, wenn bestimmte Gruppenmitglieder die Gemeinschaft ausbeuten. Dies führt zu Kontrollmechanismen durch Partner, hauptsächlich durch den Oktopus, der Schmarotzer schlägt und so seine Position als de facto Anführer stärkt. Diese Aktionen helfen dem Oktopus, die Vorteile, die er aus der Zusammenarbeit zieht, zu bewahren.
https://youtu.be/8gCDfiZtkoo?feature=shared
Bezogen auf die Oktopusjagdsituation bedeutet das: „Wenn der Oktopus die Beute fängt, tötet er sie auch“, beschreibt Eduardo Sampaio. „Ein Beutestück wird nicht geteilt, es wird von demjenigen genommen, der die Beute zuerst fängt. Da sich die Interaktion zwischen Fischen und Kraken während einer Jagd jedoch mehrmals wiederholt, wird die Beute in dem Sinne „geteilt“, dass manchmal der Krake die Beute fängt und ein anderes Mal die Fische die Beute schnappen.“
Die Forschung von Eduardo Sampaio und KollegInnen zeigt, dass der sonst einzelgängerische Große Blaue Krake (Octopus cyanea) bemerkenswerte soziale Kompetenz und kognitive Flexibilität aufweist und sein Verhalten als Reaktion auf die Handlungen verschiedener Arten anpasst. „Diese Ergebnisse erweitern unser Verständnis von Führung und Sozialität und betonen die Komplexität und Anpassungsfähigkeit sozialer Interaktionen in der Natur“, fasst Eduardo Sampaio zusammen.
Originalpublikation: https://www.nature.com/articles/s41559-024-02525-2
Artenvielfalt
Diese Jagdgruppen können beeindruckend vielfältig und groß sein: Hier wird ein Großer Blauer Krake von zwei Gelbsattel-Meerbarben (Parupeneus cyclostomus), einem Baskenmützen-Zackenbarsch (Epinephelus fasciatus), einem Mondsichel-Juwelenbarsch (Variola louti) und einem Besenschwanz-Prachtlippfisch (Cheilinus lunulatus) begleitet.Oktopus mit Gelbsattel-Meerbarbe
Besonders die Meerbarben (Mullidae) sind für die Erkundung der Umgebung verantwortlich. Sie bestimmen die Richtung der Gruppenbewegung, während der Oktopus die Führung übernimmt, den Zeitpunkt festlegt und die Gruppe in Bewegung setzt. Dieses Zusammenspiel ermöglicht es den Fischen, an sonst unerreichbare Beute zu gelangen, während der Oktopus Energie spart, indem er sich auf hochwertige Nahrungsquellen konzentriert.Unterwasserkameras
Eduardo Sampaio und sein Team filmen mit 360 Grad Unterwasserkameras, die zehn Kilogramm schwer sind. Dadurch können sie die Jagdszenen aus verschiedenen Blickwinkeln festhalten. Die Aufnahmen ermöglichen es den WissenschaftlerInnen, eine 3D-Ansicht der Jagdszene zu erstellen und tiefergehende Einblicke in das Verhalten der Tiere zu gewinnen.
Zitatbild: Martim Seco