Eine Frage der Gruppengröße
Gibt es eine optimale Gruppengröße für wild lebende, soziale Tiergruppen? Ein Forschungsteam der Universität Konstanz und des Konstanzer Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie ging dieser Frage in einer aktuellen Studie nach. Die Forschenden zeigten anhand von Geierperlhühnern – am Boden und in sozialen Gefügen lebende Vögel, die in der ostafrikanischen Savanne zu finden sind –, dass sich aufgrund der Größe und Zusammensetzung von Vogelgruppen vorhersagen lässt, wie effizient diese ihren Lebensraum nutzen und sich fortbewegen. Die in der Fachzeitschrift „eLife“ veröffentlichte Studie legt nahe, dass mittelgroße Gruppen von Geierperlhühnern den effektivsten Kompromiss zwischen einerseits einer erschwerten Koordination der Gruppe und andererseits einer gesteigerten Präzision ihrer Navigationsfähigkeit aufweisen. Die Studie zeigt zugleich, warum die erfolgreichsten Gruppengrößen in der Natur nichtsdestotrotz seltener zu finden sind.
„Bei vielen sozialen Tieren profitieren größere Gruppen von einer Informationsbündelung, da der kombinierte Input zahlreicher Individuen präzisere Navigationsentscheidungen ermöglicht“, erklärt Erstautorin Danai Papageorgiou, Doktorandin in der Abteilung für Kollektivverhalten am Max-Planck-Institut und am Exzellenzcluster Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour der Universität Konstanz. „Je größer eine Gruppe ist, desto schwieriger wird es jedoch, gemeinsame Aktionen zu koordinieren: Zum Beispiel wenn es darum geht, sich zu einigen, wohin es als nächstes gehen soll, oder wenn beim Durchstreifen der Vegetation alle beisammengehalten werden sollen.“
Gleichgewicht aus Koordinations- und Navigationsfähigkeit
Papageorgiou und der Betreuer ihrer Doktorarbeit, Prof. Dr. Damien Farine (Universität Zürich und Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie ), untersuchten das Verhältnis zwischen Gruppengröße und kollektiver Fortbewegung bei Geierperlhühnern. Sie prognostizierten, dass sich die optimale Gruppengröße für diese Vögel aus dem Gleichgewicht zwischen guter Gruppenkoordination sowie ihrer Fähigkeit, präzise Navigationsentscheidungen zu treffen, ableitet.
Das Team brachte GPS-Sender an Vögeln aus 21 verschiedenen Tiergruppen an und sammelte deren Bewegungsdaten über fünf zweimonatige Zeitabschnitte hinweg. Anhand dieser Daten berechneten die Forschenden die Habitatnutzung der Gruppen, einschließlich der Größe ihrer Aktionsräume, der täglich zurückgelegten Strecken und wie schnell sie unterwegs waren. Durch eine wöchentliche Beobachtung der Gruppen konnten sie zudem die einzelnen Gruppengrößen messen und ihre Zusammensetzung dokumentieren. Bei der Dokumentation achteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor allem auf die Anzahl der Küken in jeder Gruppe. Sie vermuteten, dass eine größere Zahl von Küken die Vögel in ihrer Fortbewegung einschränken könnte, da diese langsamer und besonders wehrlos gegenüber Raubtieren sind.
Mittelgroße Gruppen: Erfolgreicher, aber trotzdem seltener
Die Forschenden stellten fest, dass mittelgroße Gruppen von 33 bis 37 Vögeln zwar kürzere tägliche Strecken zurücklegten, aber dabei insgesamt in einem größeren Gebiet unterwegs waren als kleinere und größere Gruppen. Sie erschlossen auch die meisten neuen Gebiete. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die mittelgroßen Gruppen den Raum effizienter nutzten, möglicherweise mit weniger Energieaufwand mehr Ressourcen erschlossen und gleichzeitig das Risiko minimierten, von Raubtieren aufgespürt zu werden. Die gesammelten Daten zum Fortpflanzungserfolg der Vögel bestärkten zudem die Schlussfolgerung, dass mittelgroße Gruppen von dieser Fortbewegungsweise profitierten, da sie auch mehr Nachwuchs hatten.
Die Studie befasste sich darüber hinaus mit der Frage, welche Folgen eine für die Fortbewegung günstige Gruppengröße hat. Die Vorteile, die eine optimale Gruppengröße mit sich bringt, beeinflussen gleichzeitig die Beständigkeit dieser Gruppengröße. So führt eine höhere Reproduktionsrate beispielsweise unweigerlich dazu, dass die Gruppe ihre optimale Größe überschreitet. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass mittelgroße Gruppen infolgedessen tatsächlich seltener waren als kleinere und größere Gruppen.
Ferner haben Gruppen mit vielen Küken trotz optimaler Größe einen eingeschränkteren Aktionsraum. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Jungvögel auf verstärkten Schutz vor Raubtieren angewiesen sind und daher mehr Zeit in geschützter Vegetation verbringen. Zudem halten sie mit ihrer kleineren Körpergröße die Gruppe bei ihrer Fortbewegung auf.
„Unsere Studie verdeutlicht, wie sich Gruppen durch ihre Größe unterscheiden. Die Größe und Zusammensetzung einer Gruppe spielen eine wichtige Rolle dabei, wie soziale Arten ihren Lebensraum nutzen“, so Damien Farine. „Besonders interessant ist für uns, dass Gruppen optimaler Größe nicht die Norm sind. Künftige Studien sollten untersuchen, ob sich diese Verhältnisse bei unterschiedlichen Umgebungsbedingungen ändern und wie die Tiergruppen mit den jeweiligen Herausforderungen umgehen, die jede Jahreszeit mit sich bringt.“
Originalpublikation: Danai Papageorgiou, Damien Roger Farine, Group size and composition influence collective movement in a highly social terrestrial bird, eLife, 10.11.2020, https://doi.org/10.7554/eLife.59902