Fledermausrettung als Lebensstil

Die Biologin Alona Prylutska und ihre KollegInnen vom „Ukrainian Bat Rehabilitation Center“ in Charkiw setzen sich jeden Tag für die Rettung von Fledermäusen ein. Durch den Krieg wird ihre Arbeit erschwert – doch sie machen weiter. Seit November 2022 setzt Alona Prylutska ihre Arbeit von Deutschland aus fort, in einem Forschungsprojekt am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie.

Als Alona Prylutska im Winter 2012 einen Blick in ihren Kühlschrank warf, war dieser voller Fledermäuse. In Stoffbeuteln hingen etwa 200 der kleinen Säugetiere an den Zwischenböden, um dort Winterschlaf zu halten. Auf dem Balkon ihres Kollegen Anton Vlaschenko sah es nicht anders aus. Er war es, der Prylutskas Begeisterung für die Fledermäuse weckte. Das war während ihres Biologiestudiums an der Universität in Charkiw. Gemeinsam entschieden sie, geschwächte Fledermäuse bei sich zuhause aufzunehmen, sie zu füttern und ihnen beim Überwintern zu helfen. Kühlschränke sind dafür ideal, denn sie halten die Temperatur relativ konstant und kommen so dem natürlichen Winterschlafplatz in einer Höhle recht nahe.

„Es ist nicht nur ein Job, es ist eine Art Lebensstil geworden“

- Alona Prylutska über die Fledermausrettung

Eine bedrohte Art
28 Fledermausarten gibt es in der Ukraine und alle stehen auf der roten Liste der gefährdeten Tierarten. Ein großes Problem stellt der Rückgang an Insekten dar, verursacht unter anderem durch den Einsatz von Pestiziden. Den Fledermäusen geht damit buchstäblich die Nahrung aus. Zusätzlich nimmt die Zahl an geeigneten Schlafplätzen immer weiter ab. Denn Fledermäuse bauen selbst keine Nester, sie nutzen vorhandene Baumlöcher, Höhlen und Spalten als Unterschlupf. Seit etwa 40 Jahren kommen die Tiere im Herbst vermehrt in die Städte, auf der Suche nach Orten für den Winterschlaf. Mehrstöckige Gebäude mit Balkonen und Dachböden sind besonders attraktiv. Spalten und Risse in den Wänden erinnern die Tiere an Felsen, in denen sie von Natur aus überwintern. Auf der Suche nach einem geeigneten Quartier fliegen die Nachtschwärmer in Wohnungen und Häuser, aus denen sie häufig nicht mehr herausfinden. Probleme bereiten zudem Renovierungs- und Umbauarbeiten, durch die Fledermäuse aus ihren Unterschlüpfen vertrieben oder getötet werden. Generell sind Fledermäuse im Winter besonders gefährdet, wenn sie sich aufgrund des Winterschlafprozesses (mit niedriger Körpertemperatur, Herzfrequenz und Atmung) nicht bewegen.

https://www.youtube.com/watch?v=mG0_qGUl7Rg

Das „Ukrainian Bat Rehabilitation Center“
Nachdem die Zahl der geretteten Tiere von Jahr zu Jahr zunahm, gründeten Prylutska und Vlaschenko im Jahr 2013 das „Ukrainian Bat Rehabilitation Center“ in Charkiw. Unterstützt wurden sie dabei von einem privaten Geldgeber, der den Zoo „Feldman Ecopark“ betreibt. Auf diesem Gelände befindet sich auch einer der beiden Standorte der NGO, eine große Voliere – der sogenannte Collider –, in der die Fledermäuse non-stop in Runden fliegen und überwintern können. Inzwischen erhalten die FledermausretterInnen geschwächte Tiere aus der gesamten Ukraine, die nach dem Aufpäppeln in speziellen Kühlschränken Winterschlaf halten. Verletzte oder kranke Tiere werden von der einzigen Veterinärin in der Ukraine, die Fledermäuse behandelt, versorgt. Im Sommer ziehen die TierschützerInnen außerdem verwaiste Fledermausjunge groß. Mehr als 25.000 Tiere konnten so bisher gerettet werden, allein in diesem Jahr waren es über 6.000. Nebenbei beraten die MitarbeiterInnen des „Ukrainian Bat Rehabilitation Center“ besorgte BürgerInnen, die Fledermäuse in Not gefunden haben.

„Alles ändert sich, wenn man sie sehen und anfassen kann, wenn man fühlt, wie flauschig und warm sie sind.“

– Alona Prylutska

Die Leidenschaft weitergeben
Die Kommunikation nach außen ist neben der Rehabilitation und Forschung in der Arbeit der NGO unverzichtbar. Einige Menschen kennen sich nur schlecht mit Fledermäusen aus und haben Vorurteile. Viele Tiere und Kolonien werden aus Angst vor Krankheiten wie Tollwut getötet. „Deshalb ist es eines unserer Hauptziele, die Meinung der Menschen zu ändern. Wir können nicht alle Fledermäuse retten. Wir versuchen es, aber je mehr wir über sie sprechen, über ihre Probleme, ihren Schutz, desto mehr Menschen werden sich engagieren“, erklärt Prylutska. Ein Highlight ist das seit 2013 jedes Jahr im Frühling stattfindende „Bat Release Fest“, bei dem die Fledermäuse nach ihrem Winterschlaf im „Rehabilitation Center“ gemeinsam mit interessierten BürgerInnen ausgewildert werden. Eine Fledermaus aus der eigenen Hand losfliegen zu lassen sei eine ganz besondere Erfahrung, schwärmt Prylutska.

Retten im Kriegsgebiet
Leider konnte das Fest in diesem Jahr nicht stattfinden. Der Krieg in der Ukraine bedroht nicht nur das Leben der Menschen, auch die Situation der Fledermäuse hat sich in Folge der Angriffe verschlechtert. Gemeinsam mit den Gebäuden werden die dort angesiedelten Kolonien zerstört. Viele Fenster zerbrachen durch den Beschuss oder die entstehenden Druckwellen und werden so zu tödlichen Fallen. Die Fledermäuse fliegen in den Spalt zwischen den Fensterrahmen, aus dem sie sich nicht ohne Hilfe befreien können und so nach ein paar Tagen verenden.
Auch wenn es sehr gefährlich ist, die Arbeit fortzusetzen, ist für Prylutska und ihre KollegInnen, selbstverständlich: „Natürlich können wir unsere Fledermäuse nicht ohne Hilfe zurücklassen“, erklärt die Biologin. Trotzdem ist die Bedrohung deutlich spürbar, denn Charkiw ist nur 40 km von der russischen Grenze entfernt. In der Nähe ihres Büros in der Stadt gab es ein großes Feuer. Das Gebiet rund um den Feldman Ecopark ist vermint und kann nicht betreten werden – ob ihre Voliere noch steht, wissen sie nicht. Da nicht klar war, wie sich die Situation entwickeln würde, mussten die Fledermäuse dieses Jahr früher ausgewildert werden. Kranke und verletzte Tiere wurden von MitarbeiterInnen des „Bat Rehabilitation Center“ mit nach Hause genommen.

„Wir versuchen, unser Bestes zu geben, auch wenn wir uns in dunklen und gefährlichen Zeiten befinden.“

– Alona Prylutska

Gemeinsame Forschung
Als Projektmanagerin der NGO ist Prylutska viel mit Organisation und Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt. Dank einer Förderung durch die Carl-Zeiss-Stiftung wurde es ihr möglich, eine Einladung zu einem gemeinsamen Forschungsprojekt am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie anzunehmen und ihre Arbeit für die Fledermäuse von Deutschland aus fortzuführen. Seit November ist die Biologin in Radolfzell-Möggingen, um gemeinsam mit der AG Dina Dechmann vom MPI Fledermäuse mit Hilfe von Datenanalyse zu erforschen. Sie ist sehr dankbar für diese Gelegenheit, ihr Wissen zu erweitern und sich an einem neuen Projekt zu beteiligen.
Doch auch die ukrainischen Fledermäuse schwirren nach wie vor in ihrem Kopf herum: Um die Aufklärungsarbeit fortzuführen, plant sie momentan eine Infoveranstaltung für ukrainische Geflüchtete in der Region. Wohin sie auch geht, überall erzählt sie den Menschen von den flauschigen Flugkünstlern: „Das macht mir viel Spaß, weil ich die Auswirkungen sehe. Die Einstellung zu Fledermäusen ändert sich nach meinen Vorträgen und den Gesprächen.“

Bildnutzung: mit freundlicher Genehmigung des ukrainischen Fledermausrehabilitationszentrums
 

Elisa Michel

Von Elisa Michel - 16.01.2023