Flughunde wandern mit der grünen Welle

Flughunde passen ihr Verhalten an jahreszeitliche Veränderungen an und stimmen ihre Wanderrouten mit Spitzen im Nahrungsangebot ab, wie Dr. Edward Hurme vom Exzellenzcluster Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour der Universität Konstanz herausfand
© Christian Ziegler

Dr. Edward Hurme und mehrere Freiwillige stehen unter einem Baum in Accra. Ihr Blick ist auf den Himmel gerichtet. Hochkonzentriert zählen sie Flughunde, die über ihnen am Baum hängen. Wie hier in Ghana zählen Forschende und Freiwillige des Eidolon Monitoring Network jeden Monat an mehreren Standorten in Afrika Palmenflughunde (Eidolon helvum), um die Koloniegröße zu bestimmen. Jetzt hat Dr. Edward Hurme die ersten Daten der mehrjährigen Studie ausgewertet. Hurme ist Verhaltensökologe am Exzellenzcluster Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour (CASCB) der Universität Konstanz. Er führte diese Studie gemeinsam mit mehreren KollegInnen, unter anderem mit Dr. Dina Dechmann, Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, und Prof. Dr. Martin Wikelski, Direktor des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie, sowie etlichen Freiwilligen durch. Die Resultate wurden am 28. Mai 2022 in der Zeitschrift Functional Ecology veröffentlicht.

© Edward Hurme

An 17 verschiedenen Standorten zählen Forscher und Freiwillige des Eidolon Monitoring Network jeden Monat die Größe der Kolonien von Palmenflughunden. Hier sehen wir eine Gruppe in Kamerun beim konzentrierten zählen.

 

Diese Flughunde, deren Flügelspannweite bis zu 76 cm beträgt, fliegen in einer Nacht bis zu hundert Kilometer zu einer lukrativen Nahrungsquelle. Während ihrer jahreszeitlichen Wanderschaft legen sie mehr als 2500 km zurück und haben damit eine der längsten gemessenen Wanderrouten für Fledermäuse. Auf ihrem Zug durch Subsahara-Afrika, bilden diese Tiere riesige saisonale Kolonien mit tausenden oder sogar mehr als einer Million Tieren. „Es ist sehr beeindruckend, wenn sie am Beginn der Nacht ausfliegen“, berichtet Hurme.

„Die Rolle der Palmenflughunde im Ökosystem wird unterschätzt. Sie helfen bei der Bestäubung von Blüten und verbreiten Samen von Früchten über Entfernungen, die weit über die der meisten anderen Tiere hinausgehen. Deshalb ist es so wichtig, dass diese Flughunde sich über die Landschaft bewegen, viele Früchte fressen und auf diese Weise das natürliche Ökosystem erhalten und fördern.“

Dr. Edward Hurme

Flughunde folgen der grünen Welle
Die wiederholten Zählungen durch das Netz von Freiwilligen lohnen sich, da sie wichtige Daten liefern, um die Wanderungen der Flughunde besser zu verstehen. „Wir haben festgestellt, dass die Kolonien im Laufe des Jahres schwanken und klar Spitzen bezüglich ihrer Größe aufweisen“, schildert Hurme. Diese Daten hat er nun mit Satellitendaten verglichen. Die Spitzen in der Koloniegröße, so zeigt die neue Studie, gehen mit dem Beginn der Vegetationsperiode einher, die in der Regel kurz vor der Regenzeit beginnt. Gemessen hat Hurme es durch die „Grünheit“, d.h. wie grün die Landschaft auf Satellitenbildern erscheint. Genau dann, wenn die Pflanzen am stärksten wachsen und das Futterangebot voraussichtlich grade stark zunimmt, tauchen die Flughunde in extrem saisonalen Gebieten wie Mali oder Sambia auf. Deshalb vermuten die Forschenden, dass die Tiere wahrnehmen können, wann die Früchte reif werden und dieser Nahrungswelle folgen, die wahrscheinlich durch die sogenannte „grüne Welle“ angezeigt wird.

Grünen Welle / green wave


Karte der grünen Welle, die sich jedes Jahr über Afrika bewegt. Palmenflughunde stimmen ihre Wanderungen so ab, dass sie an der Spitze dieser Welle bleiben.

Hurme fügt hinzu: „Der Palmenflughund scheint seine Wanderungen zeitlich darauf abzustimmen, in stark saisonal geprägte Landschaften zu ziehen, wo es eine kurzzeitige Fülle an Nahrung bei gleichzeitig wenig Konkurrenz durch ansässige Fruchtfresser gibt. Die Tiere scheinen die Landschaft kollektiv auszusondieren, um den besten Zeitpunkt, um weiterzuziehen, zu bestimmen.“ Größeren Kolonien treffen den Beginn der Vegetationsperiode oft genauer.

Die Forschenden vermuten einen Zusammenhang zwischen schnellen Veränderungen der Koloniegröße und der Veränderung der Landschaft. Dies könnte auf eine mögliche kollektive Wahrnehmung der weiteren Umgebung hindeuten. Individuen die einen besonders weiten Weg zur Nahrung zurücklegen, bringen die Information über Veränderungen des Nahrungsangebots in die Kolonie zurück.

Tropische Flughundwanderung ist ein seltenes Phänomen
Doch unter den Forschenden macht sich auch Besorgnis breit: „Der allgemeine Rückgang der Fledermauszahlen und verschiedene Bedrohungen könnten dazu führen, dass diese Eigenschaft der großen Kolonien verloren geht“, so Hurme. Laut Hurme gibt es kaum eine andere Fledermausart, die ausschließlich innerhalb der Tropen wandert. Deshalb waren er und seine KollegInnen daran interessiert, dieses seltene Verhalten am Palmenflughund, der außerdem eine der am weitesten verbreiteten und geselligsten afrikanischen Flughundarten ist, zu untersuchen.

Viele migrierende Tiere, von denen bereits bekannt ist, dass sie der grünen Welle folgen, sind Weidegänger aus der gemäßigten Zone, die dem wachsenden Gras und damit direkt der „grünen Welle“ folgen. Der Palmenflughund ist hingegen ein Früchtefresser, dessen Nahrungsangebot nicht direkt durch die „grüne Welle“ angezeigt wird. Dennoch scheinen aufkommende reife Früchte eng daran gekoppelt zu sein. Bislang war zudem nicht bekannt, woher die Flughunde wissen, wann und wohin sie ziehen sollen. „Durch die Wanderung scheint es den Flughunden zu gelingen, dynamischen Veränderungen im Ressourcenangebot einen Schritt voraus zu sein“, sagt Hurme. „Da die Fledermäuse extrem mobil sind, können sie einfach dorthin fliegen, wo es die meiste Nahrung gibt.“

© Christian Ziegler Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie

Ein Flughund labt an einer Zuckerpflaume (Uapaca kirkiana)
 
 

Rückgang der Koloniegröße: Artenschutz nötig
Wie genau individuelle Fledermäuse wandern und wohin sie ziehen, ist großteils noch immer ein Rätsel. Für ein direktes Tracken per GPS sind die vorhandenen Sender einfach noch zu schwer; die Analyse der Koloniezählungen an 17 verschiedenen Standorten in Afrika trägt jedoch wesentlich zum Verständnis der Wanderungen der Palmenflughunde bei. „Am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und am Exzellenzcluster CASCB interessieren wir uns für grundlegende Fragen des Tierverhaltens und das Verständnis der Mechanismen, die dem Zugverhalten von Tieren wie Fledermäusen zugrunde liegen“, sagt Hurme und fügt hinzu: „Aus den Zählungen der Kolonien geht aber auch hervor, dass diese Art in mehreren Gebieten dramatisch abzunehmen scheint.“
 
Hurme hat bei seinen Forschungsaufenthalten erfahren, dass die Tiere nicht allzu beliebt sind. „Oft mögen die Menschen, die in der Nähe der Kolonien leben, die Fledermäuse nicht. Sie wollen die Fledermäuse nicht unbedingt töten, aber fragen sich: Warum können wir sie nicht woanders hinbringen?“ Kein Wunder, denn in warmen Regionen ist Schatten gefragt. Aber wenn ein Baum im Garten oder im Park von Fledermäusen besetzt ist, ist es nicht der beste Platz, um darunter zu sitzen: Es ist gut möglich, dass man von Fledermauskot getroffen wird, und wenn die Fledermäuse die Leute zu sehr stören, dann fällen sie den Baum vielleicht als letzten Ausweg. Da die Menschen versuchen, sie loszuwerden, werden die Fledermauskolonien anscheinend häufig weggetrieben. Hinzu kommt, dass die Flughunde auch gejagt werden, was sich ebenfalls auf die Größe der Kolonien auswirkt. Nicht zuletzt hat auch der Klimawandel Auswirkungen auf das Zugverhalten.

Besserer Artenschutz als wichtiges Ziel
Deshalb möchte Hurme sich für einen besseren Artenschutz einsetzen, und die lokale Bevölkerung über die Ökosystemdienstleistungen und den Einfluss, den die Flughunde auf die biologische Vielfalt im Allgemeinen haben, informieren. Hurme und seine KollegInnen befürchten, dass den Palmenflughunden ohne entsprechende Schutzmaßnahmen das gleiche Schicksal wie der Wandertaube bevorstehen könnte: Diese war ein sehr sozialer Fruchtfresser, welcher plötzlich ausstarb, obwohl die Population scheinbar noch groß war. Wahrscheinlich wurde eine Mindestpopulationsgröße unterschritten, die das korrekte Zugverhalten aus Mangel an sozialer Information zusammenbrechen ließ.
 
Auch deswegen zählen die HelferInnen weiterhin Monat für Monat die Tiere in den Kolonien. Das Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie arbeitet außerdem an neuen Telemetriesystemen, um einzelne Tiere über Monate bis Jahre hinweg zu beobachten und besser zu verstehen, wie sich diese wichtigen afrikanischen Arten über den Kontinent bewegen.
 
Headerbild: Flughunde, die am frühen Morgen (6 Uhr) zu ihren Schlafplätzen zurückkehren.
Bild: Christian Ziegler, Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie

Dr. Elisabeth Böker

Von Dr. Elisabeth Böker - 10.06.2022