Korallen im Stresstest „aus der Box“

Beitrag zur Korallenrettung: Mobiler Schnelltest zur Überprüfung der Hitzebeständigkeit von Korallen in internationaler Zusammenarbeit mit der Universität Konstanz entwickelt
© Bild: Anna Roik

Ein weltweites Korallensterben findet augenblicklich in den Ozeanen statt, bedingt durch den Klimawandel. Korallen können sich nur schwer an die Erwärmung der Ozeane anpassen, bereits eine Erwärmung um nur ein Grad führt in manchen Regionen zu einem Massensterben der empfindlichen Organismen. Einige der Korallen sind jedoch resistenter gegen Temperaturerhöhungen. Um die Lebensräume der Korallenriffe effektiv zu schützen, ist es wichtig zu identifizieren, welche der Korallen resistenter sind und somit eine höhere Überlebenschance haben. Ein Forschungsteam um den Konstanzer Biologen Prof. Dr. Christian Voolstra entwickelte zu diesem Zweck einen Schnelltest zur Überprüfung der Hitzeresistenz von Korallen. Das Verfahren CBASS („Coral Bleaching Automated Stress System“) macht es möglich, Korallen mittels einer Testbox binnen eines Tages und vor Ort auf ihre Hitzebeständigkeit zu testen – anstelle von mehreren Wochen im bisherigen Labortest. Das Testverfahren wurde im Wissenschaftsjournal Global Change Biology als Online Early-Artikel am 21. Juni 2020 vorgestellt.

„Für mich ist das Testverfahren eine kleine Revolution, weil es Wissenschaftlern und Umweltschützern erlaubt, mit einfachen Mitteln Korallen in allen Teilen der Welt zu messen und dadurch herauszufinden, wie gefährdet die jeweiligen Korallenriffe sind.“

- Prof. Dr. Christian Voolstra, Professor für Genetische Adaption in aquatischen Systemen an der Universität Konstanz

Auf lange Sicht ist ferner eine CBASS-Online-Datenbank im Aufbau, die Forscherinnen und Forschern weltweit den Zugang zu allen Daten und Messwerten ermöglichen wird, um vergleichende Analysen durchzuführen, Ergebnisse auszutauschen, um grenzüberschreitende Kollaborationen zu ermöglichen und neue Wissenschaftserkenntnisse in Echtzeit bereitzustellen.

Standardisiertes Testverfahren

Das Testsystem ist leicht transportierbar, direkt auf Booten einsetzbar und in seiner Handhabung sehr einfach: Korallen werden vor Ort in Testboxen gelegt, in denen ein Hitzetest bei unterschiedlichen Temperaturen stattfindet – eine Art Stresstest für die Korallen. Über ein genormtes Verfahren wird anhand von Vergleichswerten analysiert, wie die Korallen auf die Temperaturen reagieren.

Die Stärke des Testverfahrens ist seine Standardisierung: Über den Vergleich mit weltweiten Daten wird es möglich, eine profunde Einschätzung der Hitzeresistenz der Korallen zu treffen. „Der beste Vergleich ist ein Belastungs-EKG – darin werden Körperwerte von Patienten unter Belastung ermittelt. Über Vergleichswerte aus Millionen anderen EKGs lassen sich sehr gute Vorhersagen über die Gesundheit des Patienten treffen, ohne dass eine detaillierte Untersuchung nötig ist“, schildert Christian Voolstra. Dasselbe Prinzip trifft auf seinen Stresstest für Korallen zu: Das standardisierte Verfahren vermittelt ein Bild vom Zustand der getesteten Koralle und ermöglichen eine Einschätzung ihrer Resistenz auch ohne aufwändige Laborauswertung.



Mehr davon? Im Online-Magazin-Beitrag "Regenwald der Meere" berichten wir multimedial über die „Tara Pacific Expedition“, einem Projekt eines Wissenschaftsteam, das über zwei Jahre hinweg auf dem Pazifik unterwegs war, um die Lebens- und Überlebensbedingungen der Korallen zu erforschen.  Mit an Bord: Der Konstanzer Biologe Prof. Dr. Christian Voolstra, einer der Koordinatoren der „Tara Pacific Expedition“.

Testbox aus dem Baumarkt

„Wir haben uns darauf konzentriert, die Testboxen aus Materialien zu bauen, die fast alle im Baumarkt oder Aquariengeschäft gekauft werden können. Wir möchten, dass die Testboxen breit genutzt werden, und stellen alle Bauanleitungen sowie erhobene Datensets und Auswerteroutinen zur Verfügung“, schildert Prof. Dr. Christian Voolstra und verweist auf das Online-Archiv. Die Testboxen verwenden herkömmliche Aquarienheizungen, -beleuchtungen und -kühler, um die erforderlichen Temperatur- und Lichtbedingungen zu simulieren. Die Herstellung einer Box im Eigenbau kostet rund 1.000 Euro an Materialkosten, für das vollständige Testsystem sind vier Boxen (insgesamt rund 4.000 Euro) erforderlich.

Die Bauanleitung für die benötigten Testboxen sowie erhobene Datensets und Auswerteroutinen werden von den Autoren in einem Online-Archiv frei zur Verfügung gestellt unter: https://github.com/reefgenomics/CBASSvsCLASSIC.

Globale Karte des Zustands der Korallenriffe

Gerade die einfache Verfügbarkeit des Testsystems soll einen Beitrag dazu leisten, eine globale Karte des Zustands der Korallenriffe zu schaffen.

Diese globale Übersicht der Korallenresistenz könnte eine wichtige Grundlage für Maßnahmen zur Rettung der gefährdeten Spezies schaffen: „Wir werden leider nicht alle Korallen retten können“, bedauert Voolstra, „In unserer ‚50 Reefs‘-Initiative möchten wir die Kapazitäten auf diejenigen Korallenriffe konzentrieren, die die größte Wahrscheinlichkeit haben, den Klimawandel zu überstehen“, erläutert Voolstra.

Zur Person:
Prof. Dr. Christian Voolstra ist Professor für Genetische Adaption in aquatischen Systemen an der Universität Konstanz. Er ist einer der Koordinatoren der „Tara Pacific Expedition“ – einer zweijährigen wissenschaftlichen Expedition zur Erforschung der Lebens- und Überlebensbedingungen von Korallen im Pazifik. Seine Forschung zur Rolle von Mikroorganismen für das Überleben von Korallen wurde jüngst vom „Eco Magazine“ als einer der 15 wichtigsten Beiträge zur Rettung von Korallen („Top 15 Coral Reef Research Contributors“) ausgezeichnet, ebenso die von ihm mitentwickelte Analyseplattform SymPortal.

 

Jürgen Graf

Von Jürgen Graf - 07.07.2020