Wie Glyphosat die Brutpflege bei Hummeln beeinträchtigt

Hummelkolonien, die Glyphosat ausgesetzt sind, sind in Zeiten von Ressourcenknappheit erheblich beeinträchtigt. Das zeigt Dr. Anja Weidenmüller, Biologin am Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour der Universität Konstanz, in einer in der Fachzeitschrift Science erschienenen Studie.
© Lasse Kling

Der Rückgang der Insekten und insbesondere der bestäubenden Insekten bedroht Ökosysteme und Volkswirtschaften auf der ganzen Welt. Die Ausmaße sind enorm: Zwischen 1989 und 2016 gab es in Deutschland einen Rückgang von 76 Prozent aller fliegenden Insekten, so die Krefelder Studie (2017). Der immer weiter zunehmende Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft gilt als ein Treiber dieses Phänomens. Das weltweit am meisten verwendete Herbizid Glyphosat ist hierbei möglicherweise stärker beteiligt als bisher bekannt, so eine neue Studie der Forscherin Dr. Anja Weidenmüller vom Exzellenzcluster „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ der Universität Konstanz.

Die Biologin untersucht die Fähigkeit von Hummelkolonien, die Temperatur ihrer Brut zu regulieren. Hummelvölker, die ausreichend Nektar als ‚Brennstoff‘ zur Verfügung haben, halten ihre Brut konstant auf etwa 32 Grad. „So wie wir Menschen unsere Körpertemperatur konstant halten, so zeigen die Tiere einer Kolonie kollektiv Homöostase in der Temperaturregulation ihrer Brut“, sagt Weidenmüller. Diese gemeinsame Wärmeregulation ist für die Kolonie-Entwicklung von herausragender Bedeutung. Nur bei solch hohen Temperaturen entwickelt sich die Brut schnell vom Ei zur Hummel und die Kolonie von einer einzelnen Königin zu einem Volk mit mehreren hundert Tieren. Die aktuelle Studie zeigt nun einen deutlichen Einfluss von Glyphosat auf die kollektive Wärmeregulationsfähigkeit von Hummelkolonien.

Zeitdruck für Hummelkolonien bei Ressourcenknappheit

„Wenn die Ressourcen knapp werden, sieht man sehr deutlich, dass Kolonien, die chronisch Glyphosat ausgesetzt waren, eine Beeinträchtigung im kollektiven Wärmeverhalten zeigen“, sagt Weidenmüller. „Sie sind weniger lang in der Lage, ihre Brut warm zu halten.“ Diese Auswirkung ist das Hauptergebnis ihrer Untersuchung, die sie gemeinsam mit vier Forschenden der Universität Konstanz, des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie aus Konstanz und der Universität Otago, Dunedin, Neuseeland, durchführte. „Hummelkolonien stehen unter ganz enormen Druck, innerhalb kurzer Zeit möglichst schnell groß zu werden“, so Weidenmüller. Wird die notwendige Bruttemperatur nicht gehalten, entwickelt sich die Brut langsamer oder gar nicht. Das limitiert das Wachstum der Kolonie. „Nur wenn sie während der relativ kurzen Wachstumsperiode eine gewisse Koloniegröße erreichen, sind sie in der Lage, Geschlechtstiere, also Königinnen und Drohnen, zu produzieren.“

Fortpflanzung gefährdet

In Zeiten von Ressourcenknappheit können mit Glyphosat belastete Hummelkolonien ihre Brut allerdings schlechter oder sogar gar nicht warmhalten. Aufgrund der in Deutschland vorherrschenden Agrarlandschaft stehen den Insekten weniger Wildblüten zur Verfügung, sodass es vermehrt zur Ressourcenknappheit kommt. „Das Zusammentreffen von Ressourcenknappheit in ausgeräumten Agrarlandschaften und Pestiziden kann daher ein massives Problem für die Fortpflanzung der Kolonie darstellen“, sagt Weidenmüller.

Zulassungsverfahren für Pestizide überdenken

„Es lohnt sich, genauer Hinzugucken“, betont Weidenmüller. Bisher wird in Zulassungsverfahren lediglich getestet, wie viele Tiere nach Fütterung oder Kontakt mit einer Substanz nach 24 oder 48 Stunden gestorben sind. „Subletale Effekte, also Effekte auf Organismen, die nicht tödlich sind, sich aber zum Beispiel in der Physiologie oder im Verhalten zeigen, können erhebliche Beeinträchtigungen abbilden und sollten bei Zulassungen von Pestiziden zukünftig mit in Betracht gezogen werden“, fordert sie. In ihrer Studie lebten auch die mit Glyphosat belasteten Hummeln im Schnitt 32 Tage, erreichten also ein durchschnittliches Hummel-Alter.

© Dr. Elisabeth Böker

Die Studie wurde vom Exzellenzcluster Centre of the Advanced Study of Collective Behaviour gefördert. Beteiligt daran waren: Anja Weidenmüller, Andrea Meltzer, Alica Schwarz, Christoph Kleineidam und Stefanie Neupert (nicht im Bild).

Glyphosat ist derzeit bis zum 15. Dezember 2022 für die Verwendung in der EU zugelassen, so die Information der Behörde European Food Safety Authority (EFSA). Die Unternehmensgruppe Glyphosate Renewal Group (GRG) beantragte 2019 die Verlängerung.

Grundsätzlich ist Weidenmüllers Forschungsansatz auf alle Pestizide übertragbar. Bei vielen der häufig verwendeten Pestizide, etwa weitere Herbizide und Fungizide, wissen wir noch so gut wie nichts über Effekte auf Wildbienen und andere Bestäuber, meint sie. Es müsse stärker denn je über Testverfahren nachgedacht werden in der Diskussion, wie wir in Zukunft Landwirtschaft gestalten wollen.

 

Dr. Elisabeth Böker

Von Dr. Elisabeth Böker - 03.06.2022