Wie wir gemeinsam spielen
Konzentrierte Blicke im EEG-Labor der Universität Konstanz. Es ist Experimentiertag. Zwei StudienteilnehmerInnen sitzen in getrennten Laboren. Verbunden über Bildschirme spielen sie eine Variante des Computerspiels Pacman. Die große Frage im Raum: Gelingt es den Personen, die sich zuvor nicht kannten und die auch nicht direkt miteinander kommunizieren können, sich so zu koordinieren, dass sie das Computer-Spiel gemeinsam meistern?
© Universität Konstanz, CasCB„Im Mittelpunkt unserer Forschung stehen kooperatives Verhalten und die Übernahme sozialer Rollen.“
Karl-Philipp Flösch, Doktorand
Karl-Philipp Flösch leitet heute die Durchführung des Experiments. Allerdings stecke die Erforschung von Hirnprozessen bei kooperativem Verhalten noch in den Kinderschuhen. Die Hirnforschung stünde nämlich vor einer zentralen Herausforderung. Wie bekommt man kooperatives Verhalten in eine hochstrukturierte EEG-Laborumgebung, ohne dass es zu künstlich oder langweilig für die StudienteilnehmerInnen ist?
Pacman als wissenschaftliche „Spielwiese“
Dem Forschungsteam rund um Harald Schupp, Professor für Biologische Psychologie der Universität Konstanz, kam die Idee, das Computer-Spiel Pacman als ein natürliches Medium zu nutzen, um kooperatives Verhalten im EEG-Labor zu untersuchen. Im Rahmen eines Projektes am Exzellenzcluster Kollektives Verhalten führten sie die Studie durch und publizierten die Ergebnisse kürzlich im Fachmagazin Psychophysiology.
„Das Spiel Pacman ist weltweit bekannt. Viele haben in ihrer Jugend den gefräßigen Pacman schon einmal durch ein Labyrinth gesteuert, mit dem Ziel, möglich viele Früchte und feindlich gesinnte Geister zu fressen“, meint Karl-Philipp Flösch. Co-Autor Tobias Flaisch entwickelte das Spiel gemeinsam mit seinen KollegInnen weiter. Statt einer Person müssen in der EEG-Spielversion nun zwei SpielpartnerInnen gemeinsam Pacman ins Ziel steuern. Flaisch führt aus: „Auf diese Weise ist es nur durch ein gemeinsames Zusammenspiel, also durch kooperatives Verhalten, möglich, erfolgreich zu sein.“
„Das Spiel vereint aus Sicht der klassischen psychologischen Forschung verschiedene Fähigkeiten, die in einer natürlichen sozialen Situation häufig zum Einsatz kommen.“
Harald Schupp, Professor für Biologische Psychologie
Doch die Forscher haben noch ein besondere Hürde eingebaut: Der Weg durch das Labyrinth ist verdeckt. Wohin Pacman als nächstes gehen kann, erfährt abwechselnd immer nur eine der beiden Personen. „Die Person, die gerade am Zug ist, kann zwar ihrer Mitspielerin oder seinem Mitspieler die Lauf-Richtung mitteilen, aber das geht nur indirekt anhand von bestimmten Symbolen, auf die sich die Spielenden im Vorfeld verständigt haben und die auch nur über den Bildschirm kommuniziert werden können“, erklärt Flösch. Wer sich nicht schnell genug erinnert, dass ein Halbmond auf dem Bildschirm bedeutet, dass Pacman sich nach rechts bewegen muss und dass nur mit der Banane auf der Tastatur Pacman tatsächlich nach rechts bewegt werden kann, macht einen Fehler.
© Flösch, Flaisch, Imhof, Schupp 2023Schematische Darstellung des Pacman-Spiels. Spielaufbau (a): Die Teilnehmer spielen ein dyadisches Spiel, während das 128-Kanal-EEG von beiden Spielern gleichzeitig gemessen wird. (b): Für jede Spielrunde wird ein Spieler über die kommende Bewegungsrichtung informiert. Der informierte Spieler fungiert als Sender von Bild 1, d. h. er wählt einen Bildhinweis (z. B. den Bären) aus, um dem Empfänger die nächste Bewegungsrichtung (z. B. links) mitzuteilen, der auf die Präsentation des ausgewählten Hinweises wartet. Nach der Präsentation von Bild 1 antwortet der Empfänger, indem er das komplementäre Bild (z. B. die Zitrone) auswählt, wodurch die Rollen der beiden Spieler vertauscht werden und er zum Absender von Bild 2 wird.
EEG misst ereigniskorrelierte Potenziale
Bei jedem Spiel wurden die Hirnreaktionen der Spielerinnen mittels EEG gemessen. Die Berechnung von ereigniskorrelierten Potenzialen erlaubt es, die Effekte von den beiden unterschiedlichen Spielrollen mit einer zeitlichen Auflösung im Millisekunden-Bereich abzubilden. Das Team ging davon aus, dass die Spielrolle für die Hirnreaktionen entscheidend ist. Daher untersuchten sie die P3-Komponente, die bei signifikanten und aufgabenrelevanten Reizen einen stärkeren Ausschlag zeigt und deshalb eine der meisterforschten Gehirnreaktionen in den kognitiven Neurowissenschaften ist. Die Ergebnisse bestätigten ihre Vermutung: „Die P3 war nicht nur erhöht, wenn das Symbol die Richtung des nächsten Spielzugs anzeigte, sondern auch dann, wenn man dem oder der Mitspielenden zusehen konnte, ob das richtige Symbol ausgewählt wurde“, sagt Flösch. Daraus schließt das Forschungsteam, dass die Rolle, die wir in einer Kooperation übernehmen, den Informationswert von Umweltreizen situationsabhängig bestimmt. EEG-Messungen erlauben es dabei, die beteiligten Hirnprozesse dynamisch abzubilden.
https://youtu.be/swvfsgnEkp8
Kooperative Rollenübernahmen strukturieren Gesellschaft
„Kooperative Rollenübernahme strukturiert unsere gesamte Gesellschaft“, fasst Schupp den Hintergrund der Studie zusammen. „Ein Mensch allein bringt wenig zustande, die Menschheit als Ganzes fliegt sogar zum Mond. Unsere technologische Gesellschaft wäre ohne kooperatives Verhalten undenkbar“, sagt Flösch und führt weiter aus: Kinder übernähmen früh individuelle Rollen und erlernten dadurch die Fähigkeit für komplexe Kooperation. Daher laufe diese Rollenübernahme für uns jeden Tag nahezu mühelos und wie automatisch ab. „Unser Gehirn ist quasi dafür ‚gebaut‘. Das können wir an den Ergebnissen unserer Studie sehen.“